Konzert-Kritik:Rappen für Respekt

Moscow Death Brigade im JIG

Auf der Bühne martialisch und maskiert zeigen sich die Rapper backstage diszipliniert: Anstatt Wodka wird nur Wasser getrunken.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die russischen Rapper von "Moscow Death Brigade" bringen das Grafinger JIG zum dampfen

Von Thorsten Rienth

GrafingDie Typen sind furchteinflößend. Oberkörper unter Trainingsjacken und Gesichter hinter Skimasken versteckt; mit den Händen wild gestikulierend zu brutalen Hardcore-Raps auf magengrubenmassierenden Synthetik-Riffs, zu denen der harte russische Akzent so gut passt. Trotzdem ist die Message von Ski Mask G und Boltcutter Vlad - Boltcutter heißt übersetzt Bolzenschneider - am Donnerstag eine ganz andere gewesen: Freundschaft und Respekt, also Hip-Hop mit Punkrock-Message. Und die wodkagegurgelte Stimme, die nach Exzess und Prügelei kling, kommt aus Hälsen, durch die beim Konzert nur Wasser floss.

Zusammen nennen sich die beiden Rapper Moscow Death Brigade, kurz: MDB. Sie sind ein minimalistisches Duo aus Russlands Hauptstadt. Sie müssen nur irgendwoeine Lichtanlage anstöpseln und brauchen ansonsten nur für Laptop, Mischer und Synthesizer einen Tisch.

In dem Jugendtreff ist das eine unten von ein paar zerbrochenen Back- und Betonsteinen stabilisierte Bierbank. Wie passend. Die JIG-Räume liegen im Erdgeschoss der Rotter Straße 8. Sie gehören zum wenigen, was in dem ehemaligen Schulhaus nicht seit beinahe zehn Jahren brandschutzgesperrt vor sich hinrottet.

Die Rap-Brigade gehört zur russischen Avantgarde des linken Musikspektrums, innerhalb desselben aber nicht zu denen, die nach Brotherhood-Sisterhood-Parolen möglichst schnell einen trinken gehen. "Rassismus, religiöser Radikalismus, Homophobie, Sexismus", umrissen sie vor wenigen Tagen im Vice-Kanal "Noisey", wären die zentralen Probleme der zivilisierten Gesellschaft. Das Problematische daran: Dass diese Geisteshaltung eben nicht nur von aggressiven Hassgruppen, politischen Parteien und extremistischen Organisationen käme - sondern von ganz normalen Menschen. Wie frustrierend! Die meisten Hass-Stereotypen würden sich doch mit ein bisschen Bildung selbst entlarven, finden sie.

Es ist genau diese Diskurstiefe, mit der sich das Duo vom Brachial-Jargon der rigoroseren Linken unterscheidet. Man muss sich dazu halt ein bisschen in die Booklets der Alben hineinfuchsen: Staatliche Unterdrückung und Propaganda, die Duldung von Polizeigewalt, Einschüchterungsversuche gewaltbereiter Neonazihorden sind die eine immerwährende Wiederkehr. Die andere ist die Frustration, dass der Aufschrei dagegen so oft nur aus so kleinem Kreis komme und viel zu selten aus der breiten Mitte der Gesellschaft.

Obwohl live gespielt und bei der Lautstärke kaum mehr als Wortfetzen und Schlagsätze zu verstehen sind, kann das Publikum zumindest die Refrains der Raps auswendig mitsingen. Die Moskauer hatten das Internet geschickt als freien Vertriebskanal ihrer Musik genutzt und es auch in Mittel- und Westeuropa in der Szene zur echten Hausnummer gebracht. So drängen sich ins JIG viele, die für das ausverkaufte Konzert tags drauf in München keine Karten mehr bekommen hatten.

Das alles mag auch mit dem Image von Ski Mask G und Boltcutter Vlad als bedingungslose Idealisten zusammenhängen. Ein Teil ihres verdienten Geldes würde an obdachlose Kinder oder Opfer von Neonazi-Übergriffen gehen, heißt es. Wahrheitsgehalt solcher Sätze und Umfang der Spendenbereitschaft sind freilich immer schwer nachzuprüfen.

Die Tatsache aber, dass die Künstler so etwas erst auf Nachfrage rausrücken, macht sie glaubwürdig. Gleiches mögen Konzertbesucher aus dem Umgang mit Merchandising-Artikeln herauslesen können. Im JIG liegen dort nicht nur "MDB"-Bandshirts - ein Bolzenschneider zwickt übrigens darauf Stacheldrähte durch - herum. Sondern auch allerlei Kram von anderen Bands.

Eine gute Gelegenheit, sich später mit trockenen Anziehsachen auszustatten. Nach der dritten Nummer schmissen die Leute ihre da schon verschwitzen Kapuzenpullis in die Ecken. Die Lüftung blies dicke Dampfschwaden auf den "RO8"-Parkplatz. Und obwohl schon nach einer guten Stunde alles wieder vorüber war, klagte niemand. Bis dahin waren sowieso alle stehend K.O .

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