Süddeutsche Zeitung

Konzert in Markt Schwaben:Was uns der Krautn Sepp noch zu sagen hat

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Ein "Bayerischer Abend" in Markt Schwaben rückt traditionelles Kulturgut ins Licht der Gegenwart - und ist eine gut bekömmliche Medizin gegen die Aufgeregtheiten des Alltags

Von Ulrich Pfaffenberger, Markt Schwaben

Prägende Gestalten des bayerischen Kulturlebens ins Rampenlicht rücken, das ist eine verbindende Idee von Theaterverein und Heimatmuseum Markt Schwaben. Konzerte oder Lesungen mit biografischen Exkursionen haben sich die Verantwortlichen dazu einfallen lassen, um Berührbarkeit herzustellen und die Distanz zu überbrücken, die sich bei Retrospektiven oder Gedenkausstellungen gern einschleicht. Bei Franz Xaver Bogner ist das schon sehr gut gelungen, bei Fredl Fesl auch und nun bei einem "Bayerischen Abend" in Erinnerung an den "Krautn Sepp".

Bei einem also, der die alpenländische Volksmusik mit Herz, Hirn und Ausrufezeichen geliebt, verkörpert und zum Klingen gebracht hat, dessen Andenken aber mit dem Abstand zu seinem Leben verblassen könnte. Wenn es nicht Menschen gäbe wie Karl Haushofer vom Heimatmuseum, der sich schon als Kind die Texte des Krautn Sepp vom Tonband im Stopp-und-Schreib-System verinnerlicht hat und der als Gstanzl-Sänger der Museums Musi (Martin Schimpf, Zither, Gesang; Brigitte Gruber, Zither) bis heute dessen musikalische Erben pflegt. Zur Hommage am Samstagabend in der ausverkauften Halle am Burgerfeld hatte er zwei gern gesehene Gäste zum Konzertieren gewonnen: den vielseitigen Martin Regnat und, im Duo schier untrennbar verbunden, Sepp Kloiber - einem Großneffen des Krautn Sepp und voller Erinnerungen an den "Vetter", wie er innerfamiliär der Einfachheit halber genannt wurde.

Mit ihren Stimmen und Instrumenten verwandelten die fünf Künstler den Abend in eine höchst unterhaltsame Lehrstunde darüber, was Multikultur - diesmal im chronologischen Rückwärtsgang erfahren - im richtigen Leben bedeutet: Die ständige Transformation von Ideen, die ununterbrochene Anreicherung des Bewährten mit Neuem, das Selbstbewusstsein, sich Impulse von anderen zu holen und mit eigener Kreativität zu neuem Leben zu erwecken. Ganz selbstverständlich verwoben sich da historische Gstanzl vom Vetter mit jenen des Großneffen, erweitert um Haushofers Mundartverse mit Lokalkolorit, etwa zum Bürgermeister gewandt: "Ja, der Stolze war früher/bei der Feuerwehr/jetzt löscht er in der Gmoa drin/da brennt's no vui mehr."

Die ironischen Spitzen, das Derblecken, sie gelten als archetypisch für die musikalische Botschaft von Menschen, die Lederhosen tragen. Wobei diese, wie es ein Lied aus dem Oberland verrät, "speckig" sein muss, um echt zu sein. Aber, so macht der Abend nachhaltig hör- und nachdenkbar, diese Spitzen sind nur eine Zutat im vielfältigen Rezeptbuch der kunstvollen Volksmusik. Gerade darum gerät sie über eine Dauer von fast drei Stunden so verträglich: Weil nicht ein Superlativ den anderen jagt, nicht ein Knalleffekt auf den anderen folgt. Das sowieso schon langsamere Grundtempo, auf das sich Gitarren, Steirische und Zithern verständigen, besänftigt schon den Pulsschlag, die natürlich gebrauchte Mundart verfeinert die Atmosphäre noch einmal dazu. Das ist eine gut bekömmliche Medizin gegen die Aufgeregtheiten der Gegenwart allgemein und dieser Tage im Besondern. Wobei, Kloiber zitiert aus einem Brief von Tobi Reiser an den Vetter, "übertriebene Technik und Wohlstand" die Welt zunehmend in Unruhe bringen. Das Datum: 1963.

Wir erfahren an diesem Abend noch andere Zusammenhänge, die man hinter den unterhaltsamen Kulissen der Volksmusik nicht vermutet hätte. Zwischen Krautn Sepp, dem "Chiem Pauli" und Carl Orff sowie Annette Thoma, Komponistin der wohl bekanntesten Bauernmesse, bis hin zu Professor Kurt Huber, einem Kopf der "Weißen Rote", war ein enges Netz von Beziehungen gewoben, das von einem Heimat- und Glaubensbegriff geprägt war, der sich genauso wenig beugen ließ wie Mundart und Musik. Von "Freundschaften in großer Angst" erzählt Kloiber und öffnet das Ohr und den Blick für die hintergründigen, manchmal schwermütigen Botschaften, die in den mehr als 100 Liedern im Nachlass des Vettern enthalten sind. "Es ist ein hartes Los, wenn man verriegelt ist", heißt es im "Zuchthauslied", "da wo koa Vogerl singt und a koa Zither klingt."

Beim Konzertieren wiederum erklimmen Kloiber und Regnat mitunter Dimensionen, die manchen improvisationsfreudigen Jazzer vor Neid erblassen ließen. Allein schon die Reminiszenz an das bekannte Eizenberger-Trio, das immer auswendig spielen musste, weil es keine Noten lesen konnte und deshalb alle Gitarren auf A-Dur gestimmt hatte, macht perplex. Wie das gut eingespielte Duo dann aus dem berühmten Jennerwein-Lied einen lustvollen Country-Song macht, mit welcher Inbrunst es sich dem Ländler Nummer 9 von Johann Kaspar Mertz hingibt, das zeugt von kreativer Größe. Mag Kloiber seine Improvisationskunst auch mit dem launigen Satz verkleiden, er habe manche Lieder "so oft gspiut, dass i's nimmer hearn ko" - der anhaltende, mitunter ehrfürchtige, Beifall des Publikums zeigt den ganzen Respekt für die Art und Weise, wie gekonnt - Zitat von Moderatorin Karin Nahrhaft - die Musikanten "das Gestern ins Heute geholt haben".

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SZ vom 21.09.2020
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