Kommentar:Wenn auf Worte Taten folgen

Anders als der Landkreis Ebersberg belässt es die Stadt Grafing nicht bei Worthülsen sondern erklärt sich bereit, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. Nicht nur aus moralischer Sicht darf man dem Ausschuss zu seiner Entscheidung gratulieren

Von Thorsten Rienth

Den Brief, den Bürgermeister Christian Bauer (CSU) in den nächsten Tagen ans Innenministerium schickt, um die konkrete Bereitschaft seiner Stadt zur Aufnahme einer weiteren Geflüchteten-Familie, wird dort bestenfalls jemand zur Kenntnis nehmen. Aber dieser Umgang lässt sich womöglich ändern: Wenn immer mehr solcher Schreiben tagein tagaus im Briefkasten liegen. Wenn auf den Absendern kleinere wie größere Städte und Gemeinden stehen. Wenn die Unterzeichner bekannte und weniger bekannte Politiker sind - und sie alle ein anderes Normativ einfordern als das Wegschauen, das Ignorieren und das Hinnehmen der Zustände in den Lagern an den Mittelmeerküsten.

Dass der Grafinger Sozialausschuss dem vor allem symbolischen Beitritt zur "Seenotbrücke" nun Taten folgen lässt, ist nicht nur aus Perspektive der Mitmenschlichkeit lobenswert. Er ist auch politisch-taktischer Sicht klug. Die Maßgabe, die Unterkunft in Eigenregie und jenseits der langen Warteliste für städtisch-verbilligten Wohnraum zu finden, riegelt dem rechten bis braunen Lager den Ausgangspunkt einer zentralen Argumentation ab: Wonach Geflüchtete bei der Wohnungssuche eine Konkurrenz darstellten zu bedürftigen Deutschen.

Treffend, wie FDP-Stadtrat und Physiker Claus Eimer den Effekt einer neuen Grafinger Familie veranschaulichte: Gut 1 500 Menschen nimmt die Bundesrepublik aus dem abgebrannten Lager Moria auf. Davon entfallen rund 240 auf Bayern. Setze man nun die Bevölkerung des Freistaats ins Verhältnis zu den Grafinger Einwohnern, käme man rechnerisch auf 0,2 Personen. "Kommt nun eine Familie mit drei bis vier Mitgliedern nach Grafing, entspricht das einem Faktor zehn bis 20 gegenüber dem üblichen Verteilungsschlüssel." Heißt im Umkehrschluss: Mit einer europaweiten kommunalen Solidaritätswelle wären die Lager ziemlich schnell leer. Und in den Kommunen selbst würden die neuen Nachbarn bestenfalls rechnerisch quantifizierbar.

Die ernüchternde Erkenntnis der vergangenen Tage aber ist: Dazu wird es so schnell nicht kommen, wenn sich selbst Wohlstandslandkreise wie der Ebersberger des Engagements verweigern. Unlängst hätte der Landkreis - symbolisch und noch ohne konkrete Aufnahme-Zusage - der 193. "Sichere Hafen" Deutschlands werden können. Ein Zusammenschluss von CSU/FDP- und AfD-Fraktion wusste dies im Kreis- und Strategieausschuss zu verhindern.

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