Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Viel verlangt

Die Sorgen der jungen Leute, die jetzt ihr Abitur machen müssen, sind verständlich. Doch auch das ist eine wichtige Lehre: dass in diesen beunruhigenden Zeiten die Prioritäten anders gesetzt werden

Von Anja Blum

Vieles von dem, was die Umfrage unter den Vaterstettener Abiturienten nun offenbart, ist mehr als verständlich. Zum Beispiel, dass die jungen Erwachsenen sehr unter der bildungspolitischen Unsicherheit leiden, die die aktuelle Situation mit sich bringt. Keiner vermag momentan zu sagen, wie es schulisch nach den Osterferien weiter geht, und das trifft die Abschlussjahrgänge freilich besonders hart. Wenig verwunderlich ist es auch, dass sich die Schülerinnen und Schüler in der Corona-Krise "emotional belastet" fühlen. Es ist schließlich ihre Zukunft, die da in den Sternen steht. Und gerade auf das Abitur haben viele von ihnen jahrelang hingearbeitet, mit viel Fleiß und möglicherweise unter großem Druck.

Auch ist es sicher richtig, wenn die Schüler von der Öffentlichkeit und vor allem der Politik gehört werden wollen. Aber damit fangen die Probleme schon an, denn selbst ein Abi-Jahrgang ist mitnichten eine homogene Gruppe. Die einen möchten am liebsten gar keine Abschlussprüfungen schreiben, die anderen ihr Abitur möglichst zu den normalen Bedingungen über die Bühne bringen. Für wieder andere sollten die Prüfungen in irgendeiner Weise einfacher sein, um die besondere Situation abzufedern. Daneben gibt es welche, die die Schule vor allem schnell hinter sich lassen möchten, um ihre weiteren Pläne nicht zu gefährden. Und über allem schwebt die angestrebte "Vergleichbarkeit" (zwischen den Bundesländern) und natürlich das Thema "Sicherheit": Die Ansteckungsgefahr bei den Prüfungen soll, wenn sie denn überhaupt stattfinden können, möglichst gering sein.

Und gerade dieser letzte Punkt führt zu einer Lektion, die momentan das ganze Land lernen muss. Nämlich, dass es Wichtigeres gibt im Leben als wirtschaftlichen Erfolg, als Karrieren und andere Egoismen. Im Moment geht es tatsächlich um Menschenleben, um die Gesellschaft als solche und ihre Solidarität. Dass Abiturienten solche Prioritäten verstehen sollen, ist viel verlangt, gewiss. Im Jahr 2020 aber leider unumgänglich.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2020
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