Kommentar:Nichts gelernt

Wieder einmal experimentiert die Staatskanzlei in der Bildung. Jetzt werden Deutschklassen eingeführt, Konzepte allerdings nicht mitgeliefert

Von Jonas Wengert

Mit Schildern und choreografierten Sprüchen ging es 2004 auf die Straße: Demo gegen die Einführung des G 8. Allein, es half nichts. Aus einem Fünftklässler, der regulär neun Jahre Gymnasium vor sich hat, wurde über den Sommer ein Sechstklässler mit zukünftig acht Jahren Gymnasium. Heuer, sieben Jahre nachdem die ersten Versuchskaninchen ihr Abitur gemacht haben, beschloss der Landtag die Rückkehr zum G 9. Die Neustrukturierung der Deutschklassen ist also wahrlich nicht der erste bildungspolitische Schnellschuss einer bayerischen Regierung. Die Regelmäßigkeit von Fehltritten auf diesem Gebiet macht den aktuellen Umstand jedoch nicht weniger ärgerlich.

Die Schulen werden (wieder einmal) allein gelassen. Für keines der zusätzlichen Fächer existiert ein ausgearbeiteter Lehrplan. Der zu vermittelnde Inhalt wird mit Worthülsen und Phrasen beschrieben. Es obliegt damit dem persönlichen Engagement der Lehrkräfte und externen Kooperationspartner, die zusätzlichen Stunden sinnvoll zu gestalten. Auch für das organisatorische Drumherum müssen Schulen ohne Ganztagsbetrieb, wie die in Markt Schwaben, zügig und eigenständig Lösungen für Bus und Mittagessen finden.

Die Idee einer frei gestalteten Sprachpraxis im realen Leben, die auch von Kreativen abgehalten werden kann, ist an sich gut. Spracherwerb gelingt nur durch ständiges Üben, selbstverständlich ließe sich das in vorgeschriebenen Bahnen besser sicherstellen als mit reinem Gottvertrauen. Ohne Konzept kann von "sicherstellen" jedoch keine Rede sein.

Gleich in mehreren Facetten grotesk mutet das Fach "Kulturelle Bildung und Werteerziehung" an. Nur Deutschklassen werden in diesem Bereich unterrichtet. Vorgeschlagene Themen und Umsetzungsmöglichkeiten sind beispielsweise: Gesprächsregeln, Fair Play bei Spielen, gemeinsames Kochen, Besuch eines Bürgermeisters - wären diese Unterrichtsinhalte nicht genauso für deutsche Schüler sinnvoll? In den Augen der Staatsregierung offenbar nicht. In Deutschklassen wird dieses Fach dafür gleich vierstündig verordnet, insgesamt kommen die Kinder auf bis zu 39 Schulstunden pro Woche. Das ist das normale Oberstufenpensum eines Gymnasiasten, aber sicher nicht angemessen für einen siebenjährigen Erstklässler.

Es ist zu erwarten, dass sich die betroffenen Schulen vor Ort gute Lösungen überlegen werden. Ihnen wird aber (wieder einmal) mangelhaftes Grundmaterial aus München zur Verfügung gestellt. Ganz im Gegensatz zu vielen Kindern, deutscher wie ausländischer, hat man in der Staatskanzlei auch über Jahre nichts gelernt. Die zu kurz gedachten wahlkampftaktischen Experimente im Bildungsbereich gehen weiter.

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