Kommentar:Krisen und Chancen

Dass Vaterstetten trotz der finanziellen Unsicherheit in der Corona-Pandemie in ein Wohnungsbauprojekt investiert, ist richtig. Denn sonst verschärft sich ein anderes Problem immer weiter

Von Wieland Bögel

Gerade in Krisenzeiten soll die öffentliche Hand bekanntlich kräftig investieren, in der Großgemeinde scheint man sich an diesen Rat zu halten. Für mindestens 35 Millionen Euro sollen am nördlichen Ortsrand etwa 130 bezahlbare Wohnungen entstehen. Am Donnerstag brachte der Gemeinderat das Projekt auf den Weg, das auch in normalen Zeiten nicht einfach umzusetzen wäre. Dass man es trotz Wirtschaftskrise angehen will, ist zwar ein Risiko, aber eines, das sich angesichts einer anderen Krise für die Gemeinde mittelfristig lohnen könnte.

Gemeint ist natürlich die Wohnungskrise, die in der Region München besonders zu spüren ist. Was auch daran liegt, dass zu wenig beziehungsweise das Falsche gebaut wird. Denn für Investoren und Bauträger ist es lukrativer, das Hochpreissegment zu bedienen, Luxusappartements bringen mehr Profit als bezahlbarer Wohnraum. Die Kommunen haben dieser Entwicklung lange zugeschaut - nicht selten wohlwollend, macht sich der Verkauf teurer Immobilien schließlich auch bei der Grunderwerbssteuer positiv bemerkbar. Seit einigen Jahren gibt es indes ein Umdenken, viele Städte, Gemeinden oder auch Landkreise wie Ebersberg steigen wieder in den Wohnungsbau ein. Das geschieht nicht - oder nicht nur - aus reiner Nächstenliebe, sondern folgt ebenfalls marktwirtschaftlichen Interessen, nur dass diese bei einer Kommune eben woanders liegen als bei einem Immobilieninvestor. Liegen, beziehungsweise Lage ist hier das Stichwort, denn bezahlbarer Wohnraum wird für die Kommunen immer mehr zum Standortfaktor. Etwa, wenn Kitas kein Personal finden oder Unternehmen keine Auszubildenden, weil sich die einfach die Wohnpreise nicht leisten können.

Durch die Coronakrise ist dieses Problem ja nicht verschwunden, einige Experten gehen sogar davon aus, dass es noch größer wird. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass die Wirtschaftskrise in vielen Bereichen eine Clusterbildung verursachen wird: Die Kleinen verschwinden, die Großen werden größer. Das gilt für Betriebe wie für Kommunen: Wenn in ohnehin schon schwachen Regionen auch noch der letzte Mittelständler pleite geht, werden die Leute ihr Glück eben dort suchen, wo die Wirtschaft wieder läuft. Der Zuzug in den Großraum München dürfte sich in diesem Szenario noch einmal deutlich verstärken, wohl dem, der vorgesorgt hat. 130 Wohnungen sind da sicher nicht genug, aber immerhin ein guter Anfang.

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