Kommentar:Herber Schlag

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Für viele Viertklässler werden jetzt die Weichen für die schulische Zukunft gestellt. Die Verantwortlichen sollten endlich anerkennen, dass im Krisenmodus andere Regeln gelten müssen

Von Anja Blum

Wir geben alles - versichern die Grundschulen im Landkreis. Gerade in den vierten Klassen, die kurz vor dem Übertritt stehen. Und das ist sicher in den allermeisten Fällen auch die Wahrheit, sehr viele Lehrkräfte arbeiten momentan an der Belastungsgrenze. Alles zu geben bedeutet für sie, sinnvolle Wochenpläne zu erarbeiten, Erklärvideos zu produzieren, Arbeitsproben einzusammeln, zu korrigieren und Feedback zu geben, Videokonferenzen zu halten und bestmöglichst in Kontakt zu bleiben mit Schülern sowie Eltern. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch, die Arbeitsaufträge so zu gestalten, dass sie von den Kindern zuhause selbständig bearbeitet werden können.

Und ja, es gibt Grundschüler, denen dies sehr gut gelingt. Allerdings ist das sicher eine sehr kleine Minderheit. Denn um zum Beispiel einen neuen Merksatz verstehen und dann dazugehörige Aufgaben lösen zu können, dazu gehören nicht nur die entsprechenden kognitiven Fähigkeiten, sondern auch eine gehörige Portion an Motivation und Konzentration. Der große Rest der Kinder tut sich daher schwer mit selbständigem Lernen, zumal jene, die ohnehin Defizite haben. Und da kommen die Eltern ins Spiel. Nur sie können die Distanz zwischen Lehrkraft und Schüler ausgleichen. Indem sie erklären, Beistand leisten, motivieren, ermahnen. Das aber gelingt den einen Eltern besser, den anderen schlechter - aus welchen Gründen auch immer. Weil sie arbeiten müssen zum Beispiel, kaum Deutsch sprechen oder die Verantwortung lieber von sich schieben.

Diese Ungerechtigkeit können die Verantwortlichen in den Behörden freilich auch nicht beheben. Aber sie könnten zumindest anerkennen, dass Grundschule momentan nicht allein zwischen Lehrkraft und Schüler stattfindet. Dass es, mehr denn je, noch eine weitere Größe im System gibt, die entscheidend ist: das Elternhaus. Dies zu negieren, ist ein herber Schlag ins Gesicht für alle Mütter und Väter, die seit Wochen versuchen, allen Anforderungen gerecht zu werden. Auch sie sollten, wie Lehrkräfte und Schulleiter, auf Anerkennung hoffen dürfen - wenn die Politik am Ende wieder verkünden wird, wie hervorragend es diesmal mit dem Distanzunterricht via Internet geklappt habe. Und wer bezüglich dieser unfairen Bedingungen ehrlich ist, wird auch schnell erkennen, dass dieser besonderen Situation beim Übertritt entschieden Rechnung getragen werden muss. Vier Proben weniger, vier Tage mehr Zeit - das reicht vermutlich noch nicht aus.

© SZ vom 08.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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