Kommentar:Fehlende Debatte

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Dem Grafinger Stadtrat fehlt der Mut, öffentlich das Für und Wider zu einem Flüchtlingsheim im Gewerbegebiet auszutauschen

Von Jessica Morof

Beinahe täglich ist die Klage zu hören, dass der Platz für Flüchtlinge fehlt; dass die Regierung sich zu wenig kümmert; dass sich private Vermieter nicht genügend einbringen; und dass am Ende immer alles an den Kommunalverwaltungen hängen bleibt. Der Gesetzgeber hat schon im vorigen Herbst versucht, auf den steigenden Druck zu reagieren und mit einer Änderung des Baugesetzbuchs zu helfen. Neue Räumlichkeiten sollen dort entstehen dürfen, wo bislang Gebäude mit wohnähnlichem Nutzungszweck nichts zu suchen hatten: in Gewerbegebieten. Dort gilt jetzt speziell für Flüchtlingsunterkünfte eine Ausnahme.

Der Grafinger Stadtrat hingegen versucht nun, diese Gesetzesänderung zu umgehen. Ein Eindruck, den der Bauausschuss in seiner Sitzung am Dienstagabend durchaus erweckt hat. Denn glücklich war man dort nicht, dass dank der neuen Möglichkeiten ein Asylbewerberwohnheim im Gewerbegebiet Schammach entstehen könnte. Als "Machtwort des Gesetzgebers" bezeichnete die Verwaltung die neue Sonderregelung. Man müsse dem Bauvorhaben zustimmen - "da bleibt uns gar keine andere Wahl".

Nacheinander wurden dann auch die Gründe aufgezählt, die für das Projekt sprechen - bis zu dem Argument, das das Flüchtlingsheim trotz allem verhindern kann: der Bahnlärm. Das nährt den Verdacht, dass bereits lange vor der Sitzung feststand: Man will die Unterkunft an dieser Stelle nicht haben - nur eine wirksame Begründung hat der Stadt noch gefehlt. Diesen Eindruck verstärkt die Tatsache, dass sich Stadträte, Bürgermeisterin und Verwaltungsangestellte schon am Abend vor der Sitzung getroffen haben, um über ein gemeinsames Vorgehen zu entscheiden. Eine öffentliche Diskussion über die geplante Unterkunft wurde so unterbunden. Deshalb ist nun auch nicht mit Sicherheit zu sagen, ob der Bahnlärm der wahre Grund für den letztlich ablehnenden Beschluss ist. Oder ob dieser einfach als bestes Argument vor dem Gesetz standhalten könnte.

Das ist schade. Denn zwar haben die heimliche Absprache und einseitige Begründung gegen das Bauprojekt auch eine positive Seite: Der Stadt Grafing können keine fremdenfeindlichen Gründe für die Ablehnung des Wohnheims vorgehalten werden, und die Stimmung wird nicht zwanghaft aufgeheizt. Jedoch bleiben auf diese Weise auch viele gute Gründe ungesagt - für die Asylbewerberunterkunft ebenso wie dagegen. Eine öffentliche Debatte hätte den Grafinger Bürgern sicherlich mehr Aufschluss über die Möglichkeiten gegeben.

© SZ vom 30.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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