Kommentar:Falsch gesetzte Daumenschraube

Kinderbetreuung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sollten die Grafinger Eltern nicht noch stärker belastet werden

Von Anja Blum

Wenn irgendwo ein finanzielles Loch klafft, ist es freilich immer am einfachsten, die Daumenschraube bei demjenigen anzusetzen, der sich nicht wehren kann. Im Fall der "massiven" Kita-Defizite in Grafing sind das die Eltern. Denn sie haben in der Regel keine Wahl. Die Lebenshaltungskosten im Landkreis sind dermaßen hoch, dass nur wenige Familien mit nur einem Gehalt über die Runden kommen. Sprich: Die Berufstätigkeit beider Eltern muss mit einer relativ umfangreichen Kinderbetreuung sicher gestellt werden, meist schon vom zweiten Lebensjahr an. Deutlich abzulesen ist dies an den ständig steigenden Betreuungsquoten vor allem bei Krippe und Hort.

Dass die Kommunen wie Grafing bei der Aufgabe, dieser Tendenz mit immer mehr Betreuungsplätzen Rechnung zu tragen, regelmäßig an ihre Grenzen stoßen, ist das eine große Übel - das junge Familien oftmals in existenzielle Nöte stürzt. Und nun kommt in Grafing eine weitere Belastung auf sie zu, steigende Kita-Gebühren nämlich. Dass die Stadt dieses Defizit auf die Eltern abwälzt, mit dem lapidaren Hinweis, es gebe keine andere Möglichkeit, ist purer Hohn. Selbst wenn die Teuerung - zumindest für Kindergartenkinder - von einem neuen Zuschuss des Freistaats abgefedert wird, sendet dieser Beschluss nämlich ein völlig falsches Signal an die Familien, denen man im Rathaus doch angeblich so gewogen ist. Ist es nicht mehr Aufgabe einer Gesellschaft als Ganzes, Familien mit Kindern zu unterstützen? Solidarisch? Mit Steuermitteln?

Außerdem gäbe es mindestens zwei weitere Adressaten, wäre man an einer vernünftigen, fairen und nachhaltigen Lösung interessiert: erstens jene Grafinger Kita-Träger, die in den vergangenen Jahren unwirtschaftlich gearbeitet haben, und zweitens den Freistaat. Nur, dass beide Wege vermutlich um einiges steiniger wären als der nun eingeschlagene. Mit den Verantwortlichen der Kitas darf es sich die Stadt nicht verscherzen, man ist auf sie angewiesen, will man die Betreuung weiter ausbauen. Trotzdem könnte man durchaus verlangen, dass sie die Gründe für ihre finanziellen Probleme offenlegen - anstatt sie einfach hinzunehmen. Und vielleicht sollten auch die Vereinbarungen zwischen Stadt und Trägern, was den Defizitausgleich angeht, einmal auf den Prüfstand gestellt werden. Der Freistaat wiederum entlastet nun alle Familien finanziell - ein schönes Geschenk, das Stimmen bringt. Am schleppenden Ausbau der Betreuung ändert das aber nichts, an ihrer Qualität schon gar nicht. Kein Wunder also, dass die Geduld so mancher Eltern so langsam endgültig aufgebraucht ist.

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