Harald Lesch war beeindruckt. Davon, dass der Landkreis Ebersberg in Sachen Klimaschutz schon recht weit ist. Dass hier engagierte Akteure und Akteurinnen sogar den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gesundheitsgefährdung auf dem Schirm haben. Vor allem jedoch war er beeindruckt, dass schon kurz nach dem Start des Vorverkaufs für die Veranstaltung, wegen der er selbst gerade auf der Bühne stand, keine Tickets mehr da waren. Dass also jetzt fast 500 Leute vor ihm saßen. Und das alles, obwohl der Klimaschutz in den vergangenen Jahren seiner Ansicht nach „kaputt geredet“ wurde. „Sie hören jetzt gerade einem Wissenschaftler zu“, sagte er in Richtung des Publikums. „In diesen Zeiten ist das schon was Besonderes.“
Lesch war am Montagabend aber nicht der einzige Wissenschaftler, der sich an das Publikum im Ebersberger Alten Speicher wandte. Gekommen war auch Martin Hermann. Zwei waschechte Stars in ihrem jeweiligen Metier also: Lesch ist habilitierter Physiker, Mitglied im Bayerischen Klimarat und als Wissenschaftsjournalist eines der bekanntesten Gesichter in Fernsehdeutschland. Hermann ist promovierter Mediziner, Mitgründer und erster Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, kurz KLUG, sowie Mitglied der AG Klima der Bundesärztekammer.

An dem Abend sollte es um die Gründe gehen, „warum die Energiewende das größte Gesundheitsprojekt unserer Zeit ist“ – so der Titel ihres Vortrags. Eingeladen hatte der Ärztliche Kreisverband Ebersberg sowie die hiesige Ortsgruppe von Health for Future. Die Rollen zwischen den beiden Rednern waren klar verteilt: Lesch sprach über den Status quo beim Klimawandel, Hermann über dessen konkrete Auswirkungen auf die Gesundheit.
Eigentlich, so Lesch, sei die Sache mit dem Klimawandel ganz einfach. Erstens: Er ist real. Zweitens: Wir sind die Ursache. Drittens: Er ist gefährlich. Viertens: Die Fachleute sind sich einig. Und fünftens: Wir können noch etwas tun. 20 Wörter, die in der Wissenschaft unumstritten seien. Zack, fertig, aus die Maus, mehr müsse man gar nicht wissen. Wäre da nicht das Problem, das Lesch zu Beginn bereits kurz angedeutet hatte: Nicht jeder hört auf das, worüber in der Wissenschaft Konsens herrscht.
Die Zusammenhänge rund um den Klimawandel sind eigentlich recht einfach und intuitiv
Ach, ob’s jetzt durchschnittlich ein oder zwei Grad mehr sind, eigentlich doch völlig wurst – oder vielleicht sogar ganz schön, wenn’s bisschen wärmer ist. Die typischen Stammtischargumente, so Lesch, die so oder so ähnlich vermutlich jeder schon gehört hat. Und die so falsch sind, dass der Wissenschaftler seine Verständnislosigkeit darüber nicht verbergen konnte, wahrscheinlich auch gar nicht wollte.
Die Meere werden stetig wärmer, Lesch verwies auf eine konkrete Zahl: Anfang 2025 waren sie um 1,62 Grad wärmer als im vorindustriellen Zeitalter. „Das ist eine der schlimmsten Nachrichten, die man haben kann.“ Denn mit steigender Temperatur dehne sich Wasser aus, benötige also mehr Platz, unter anderem deshalb steige der Meeresspiegel – Pech dann für Regionen, die schon jetzt unterhalb des Höhenniveaus der Meeresoberfläche liegen. Um diese Zusammenhänge zu sehen und zu verstehen, „braucht man jetzt eigentlich keinen Physikprofessor hier vorn, das ist ja intuitiv“.
Intuitiv ist ebenso, was Martin Hermann daraufhin darlegte: Fluten beispielsweise sorgen unter anderem für eine mangelnde Sicherheit in Bezug auf Nahrungsmittel, das wiederum wirkt sich auf soziale Faktoren wie Armut oder erzwungene Migration aus und das hat gesundheitliche Folgen, etwa Unterernährung oder psychische Erkrankungen. Hermann nannte noch mehr Beispiele. So führt der Klimawandel auch dazu, dass mehr Menschen von Allergien betroffen oder diese stärker ausgeprägt sind, dass Infektionskrankheiten durch neuartige Erreger häufiger auftreten oder Bluthochdruckpatienten ihre Krankheit nicht mehr oder nur durch viel Aufwand kontrollieren können.

Allergien:„Mitunter sind das ganze Jahr über Pollen in der Luft“
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Blühperioden der Pflanzenwelt – und damit auch auf die Verbreitung und die Intensität von Allergien. Experte Moritz Eder erklärt, was den Menschen blüht und was sie tun können.
Lesch und Hermann machten kein Geheimnis daraus, dass ihre Ausführungen im Grunde keine bahnbrechenden Neuigkeiten sind – all ihre Thesen belegten sie mit wissenschaftlichen Quellen, die teils seit Langem bekannt sind. Und die jede beliebige Suchmaschine im Internet ausspuckt. So zum Beispiel auch, dass im Bereich Mobilität bei einem Stromantrieb um ein Vielfaches weniger Energie verloren geht als bei einem Auto, das mit Benzin oder Diesel fährt. Und das dementsprechend ein sehr hoher Anteil der Energieimporte als Abwärme durch Auspuff und Schornstein im Nirwana verschwindet, 41 Milliarden Euro waren es in Deutschland allein im vergangenen Jahr.
Im Verlauf des Vortrags wurde jedoch klar, dass es gar nicht um das reine Vermitteln von Fakten gehen sollte. Sondern darum, zu motivieren. Denn jeder Wandel hat irgendwann einmal mit nur einer einzelnen Person begonnen, mit einem einzigen Impuls. Wer sich dazu entscheide, den Wandel in seinem eigenen Umfeld weiterzutragen, Allianzen zu bilden oder sich ihnen anzuschließen, der werde sehen, dass jeder noch so kleine Beitrag zählt. Die Ebersberger Health-for-Future-Gruppe, deren Arbeit Vorstandsmitglied und Gynäkologin Yukiko Nave später kurz vorstellte, wäre ein Beispiel. Oder das Ebersberger Hitzeaktionsbündnis, ein Zusammenschluss unterschiedlicher Akteure aus den Bereichen Klimaschutz und Gesundheit.
Die Lacherquote beim Publikum hätte bei einem Kabarettabend wohl auch nicht höher gelegen
Und noch eines haben Lesch und Hermann in gut zwei Stunden eindrücklich gezeigt: Sich gemeinsam für Klimaschutz und damit für Gesundheitsschutz zu engagieren, macht Spaß. Denn die beiden haben es geschafft, dem Publikum zahlreiche Fakten und Daten an die Hand zu geben und trotzdem immer wieder ordentliche Prisen ihres Humors einzustreuen. Was die Quote an Lachern anbelangt, hätten die beiden ohne Weiteres mit anderen Abenden mithalten können, an denen der Alte Speicher mit einem Kabarettprogramm aufwartet.
Übrigens: Wer dieses „Feuerwerk an Inspiration“, wie es am Ende der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands und Health for Future-Mitglied Marc Block völlig zu Recht nannte, verpasst hat, der kann sich kostenlos ein Video von dem Abend anschauen. Spätestens gegen Ende der Woche wird der Film auf der Homepage der Ebersberger Health-for-Future-Gruppe zu finden sein.