Süddeutsche Zeitung

Kleider für totgeborene Kinder:Mehr als ein Stück Stoff

Kleidungsstücke so klein, dass sie kaum einer Puppe passen: Die Grafingerin Margareta Kloppenborg versorgt Krankenhäuser mit Kleidern für fehl- oder totgeborene Kinder - in sogenannten Schmetterlingsboxen.

Carolin Fries

Man nennt sie Sternenkinder oder Schmetterlingskinder. Ihr Leben endet bereits vor oder während der Geburt, viele von ihnen kommen deutlich zu früh auf die Welt. In Deutschland sterben jedes Jahr schätzungsweise zehn- bis fünfzigtausend Babys nach dem dritten Monat im Mutterleib. Doch auch diese Kinder werden geboren - still geboren.

"Intrauteriner Fruchttod" lautet der Fachbegriff für Totgeburten nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel. Die Gebärmutter wird dann nicht mehr im Zuge eines operativen Eingriffs ausgeschabt, sondern eine Geburt eingeleitet. "Das ist sanfter für die Gebärmutter und eventuelle Folgeschwangerschaften", erklärt Cornelia Höß, Chefärztin der Gynäkologie an der Kreisklinik Ebersberg. Hier werden jedes Jahr etwa fünf Kinder still geboren.

Für die betroffenen Eltern ist der Verlust des Kindes nicht nur schmerzvoll und traurig. "Ein Hauptproblem der Eltern ist, dass sie ihre Kinder in den allermeisten Fällen nicht bekleiden können", weiß Margareta Kloppenborg aus Grafing. Sie stattet Kliniken und Krankenhäuser im Großraum München darum mit sogenannten Schmetterlingsboxen aus. Die weiße Plastikkiste ist mit einem Aufkleber versehen, auf dem schlicht "Schmetterlingskinder" steht. Behutsam nimmt die 34 Jahre alte Geburtsbegleiterin die in Plastiktüten verpackten Kleidungsstücke heraus. Kleine Mützen und Socken aus dicker Wolle.

Kleidungsstücke so klein, dass sie kaum einer Puppe passen. "Wir bieten die Sachen in drei Größen an", sagt Kloppenborg. "Geeignet sind die Sachen für Kinder ab der 14. Schwangerschaftswoche." In der nächsten Tüte befindet sich ein ganzes Set, bestehend aus Jäckchen, Hose und Mützchen in weiß-gelb. Darunter einfache, doch liebevoll gefertigte Viereckstücher mit Schleifen oder Spitzen versehen, in die die leblosen Kinder eingeschlagen werden können. Stoffe, welche die kleinen Wesen auf ihrem letzten Weg begleiten sollen.

Damit den Eltern ein kleines Andenken bleibt, sind alle Tüten mit einem individuellen Erinnerungsstück ausgestattet, zum Beispiel einer kleinen Blume aus jenem Stoff, in die die Eltern ihr Kind gewickelt haben. Bei dem weiß-gelben Set ist es ein kleines Stück Wolle, auf dem ein kleiner Wurm-Sticker zu sehen ist. Ein solcher klebt auch auf der Mütze.

Ob sie selbst das schon erfahren musste, fragen die meisten Menschen Margareta Kloppenborg, wenn sie von deren Engagement erfahren. "Nein, zum Glück nicht", antwortet die zweifache Mutter. Doch könne sie nachempfinden, wie schmerzvoll und schwierig es ist, ein Kind zu verlieren. Als sie vor etwa eineinhalb Jahren im Internet auf die Klinikaktion der Schmetterlingskinder aufmerksam wurde, war gleich klar, dass sie sich engagieren würde. "Es gibt so viele Möglichkeiten, den betroffenen Eltern zu helfen", sagt sie.

Zunächst meinte sie, vielleicht ein paar Mützen zu stricken und diese an den Verein "Frauenworte" zu schicken, welcher das Projekt der Schmetterlingskinder vor vielen Jahren ins Leben gerufen hat. Inzwischen versorgt Kloppenborg die Kliniken und Krankenhäuser in Rosenheim, Erding, Freising, Wasserburg und Ebersberg mit Schmetterlingsboxen. Nicht in allen Häusern war das Projekt bekannt, doch "bisher waren alle aufgeschlossen".

Die erste Box bringt die Grafingerin stets persönlich vorbei, sie erklärt Inhalt und Idee und hinterlässt ihre Nummer - für Nachbestellungen. "Ich dachte anfangs, das wäre eine Sache für die Hebammen", sagt Kloppenborg. Doch in vielen Krankenhäusern seien es die Chefärzte höchstpersönlich, die sich der Thematik annehmen. "Ich glaube, die Ärzte haben bemerkt, wie wichtig und hilfreich ein würdevoller Umgang mit der stillen Geburt ist", erklärt Kloppenborg.

Auch Cornelia Höß ist dankbar, betroffenen Eltern in Ebersberg mit der Schmetterlingsbox eine Hilfestellung geben zu können. "Wir respektieren es aber auch, wenn das Angebot nicht angenommen wird", sagt sie. Doch eines empfiehlt sie den Eltern stets, nämlich ihr totes Kind anzusehen - oder ein Foto machen zu lassen, um das zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. "Das ist oft wichtig, um zu realisieren und loslassen zu können", weiß die Ärztin. Zwischen 500 und 700 Kinder werden jedes Jahr in der Kreisklinik geboren, nur etwa ein Prozent davon sind Tot- oder Fehlgeburten.

Weshalb Kinder während der Schwangerschaft sterben, hat verschiedene Gründe. Die Ursache spielt für das Projekt Schmetterlingskinder keine Rolle - der Umstand, dass es so ist, ist schlimm genug. Man nimmt Anteil, wünscht Trost und Kraft - und bietet Hilfe an. Neben der Kleidung, die von Handarbeitskreisen oder Helferinnen ehrenamtlich angefertigt wird, erhalten Eltern wichtige Informationen zum Bestattungsrecht, Empfehlungen für Geburt und Abschied eines Sternenkindes. Sie bekommen eine Kerze mit nach Hause, möglicherweise einen gefilzten Engel - und eine Telefonnummer vom Verein Frauenworte.

Für Daniela Deuser aus Bürstadt bei Mannheim ein wichtiger Bestandteil der Box. "Oft werden Familien mit diesem Schicksal alleingelassen", erzählt die Initiatorin des Projekts. Sie selbst hat im November 2008 ihren Sohn in der 21. Schwangerschaftswoche verloren - und weil sie ihn nicht nackt beerdigen wollte, zog sie ihm ein Rüschenkleid und eine viel zu große Frühchenmütze an. Etwas anderes war in der Eile nicht aufzutreiben. Ein Umstand, der sie noch lange mit Kummer erfüllte.

In Internetforen erfuhr sie später, dass es auch anderen Eltern so ging und beschloss, Abhilfe zu schaffen. Inzwischen hat Deuser mit Helferinnen wie Margareta Kloppenborg 200 Kliniken in Deutschland mit Schmetterlingsboxen ausgestattet. "Die meisten Stationen bedanken sich regelmäßig", sagt sie. Bisweilen melden sich auch betroffene Eltern - dankbar, das Unglück irgendwie verarbeitet zu haben.

Die Aktion Schmetterlingskinder sucht Paten für Schmetterlingsboxen sowie Helfer, die Kleider nähen oder stricken. Informationen unter www.schmetterlingskinder.de oder bei Margareta Kloppenborg, info@doula-begleitung.de.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2010/sonn
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