Süddeutsche Zeitung

Kirchseeon:Wackeln am Grabstein

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Uli Schartl und Horst Ranzinger überprüfen Denkmale auf ihre Standfestigkeit. Eine Plakette der Kontrolleure bedeutet allerdings nichts Gutes: Dann könnte es für die Trauernden gefährlich werden

Von Thabo Huntgeburth, Kirchseeon

Es ist warm an diesem Tag im Juli, obwohl der Himmel von milchigen Sommerwolken verdeckt ist. Ein laues Lüftchen zieht über Kirchseeon-Dorf, hin und wieder bahnt sich ein Sonnenstrahl den Weg durch die Wolken und lässt das goldene Kreuz auf dem Zwiebeldach des St.-Coloman-Kirchleins erstrahlen. Hinter dem Gotteshaus eröffnet sich eine malerische Landschaft mit saftigen Wiesen und bestellten Feldern, ganz am Ende ein Waldstück. Dass man hier in Frieden ruhen kann, wird wohl niemand bezweifeln.

70 Grabsteine, breit und massiv, grau und schwarz, hier und da etwas Gold, wachen über die letzten Ruhestätten. Ein Zusammenhang zum Namenspatron Coloman, was im Keltischen so viel wie schlanker Stein bedeutet, besteht offensichtlich nicht.

Die Denkmale, beschriftet mit Geburts- und Sterbedatum und verziert mit Kreuzen, betenden Händen oder Ranken, kommen auf den Prüfstand vom Grabstein-TÜV. Untersucht werden muss die Standfestigkeit der Steine, die Verankerung im Fundament - nicht dass sie nach dem nächsten Sturm umkippen könnten und im schlimmsten Fall einen Angehörigen beim Blumenpflanzen unter sich begraben.

Die Prüfung übernehmen auf dem Friedhof von St. Coloman an diesem Nachmittag Uli Schartl und Horst Ranzinger - zwei kräftige Kerle, die eigentlich Grabmacher sind und für ein Bestattungsunternehmen frische Gräber ausheben, für die Trauerfeiern vorbereiten und nachher schließen. Seit 15 Jahren kontrollieren Schartl und Ranzinger aber auch Grabsteine hinsichtlich ihrer Standsicherheit.

Um einen Stein richtig zu testen, müsse man etwa einem halben Kilonewton (kN) dagegen drücken, erklärt Schartl. Instrumente? Umständlich und unnötig! Die Kraft ist bei ihm und seinem Kollegen schon in Bi- und Trizeps übergegangen. Wer wissen will, wie viel Kraft man für diese spezielle Aufgabe aufbringen muss, könne einfach eine Waage gegen die Wand drücken, bis sie 50 Kilogramm anzeigt, empfiehlt Schartl, während er sich breitbeinig hinter einen Grabstein stellt und dagegen drückt - und siehe da, gleich der erste Stein wackelt.

Schartl klebt ein gelbes Warnschild auf und macht sich auf zum nächsten Stein. "Wir prüfen die Grabsteine ein Mal im Jahr nach der Frostperiode", sagt er. Notwendig sei das, weil im Wechsel zwischen Frost und Tauwetter kleine Risse im Fundament entstehen und den Mörtel zwischen Sockel und Stein lockern könnten. Weitere Gründe für einen wackeligen Grabstein seien ein zu kleines Fundament, eine schlampige Verbindung zwischen Sockel und Stein oder Wurzeln, die das Fundament ausgehoben haben.

Wird ein Stein beanstandet, schickt das Pfarrbüro einen Brief an die Besitzer des Grabes, die für dessen Instandhaltung zuständig sind und damit den Grabstein gegebenenfalls sanieren müssen. "Das ist recht teuer", sagt Schartl. "Aber das machen nicht wir, sondern ein Steinmetz."

Pro Jahr prüfen Schartl und sein Kollege Horst Ranzinger etwa fünf Friedhöfe. Für die 70 Steine auf dem Friedhof der St.-Coloman-Kirche brauchen sie circa eine halbe Stunde, wobei hier 15 Steine locker sind und mit einem gelben Warnaufkleber versehen werden. "Bei der ersten Kontrolle des großen Friedhofs in Kirchseeon vor zehn Jahren waren sogar 100 Steine locker", erinnert sich Schartl. Inzwischen seien es im Schnitt nur noch 30.

Auch, wenn die Standsicherheitsprüfung der Grabsteine für die beiden Männer eher ein "Nebenjob" ist, ist er mitunter lebenswichtig. Die gelben Aufkleber, die oft von den Steinen einfach wieder abgerissen würden, sollten nicht unterschätzt werden. Vor zwölf Jahren etwa sei durch einen lockeren Grabstein ein spielendes Kind in Greding im Landkreis Roth erschlagen worden, erzählt Uli Schartl.

Selten werden die beiden von Angehörigen begleitet. Ohnehin fehle diesen das Fachwissen, wenn sie versuchten, von der Seite zu drücken oder den Stein nur leicht berühren. Die Arbeit sollte man lieber den beiden Grabmachern von Pietas überlassen, da es bei der Kontrolle der Grabsteine nicht nur auf den richtigen Abstand vom Prüfer zum Stein ankommt, ebenso wichtig wie die Technik sei auch das Gefühl, damit einem beim Stresstest eines der oft mehrere 100 Kilogramm schweren Testobjekte nicht auf die Füße fällt .

Uli Schartl und Horst Ranzinger sind in ihrem Metier inzwischen Routiniers, die Arbeit auf einem Friedhof ist ihr Alltag. Einen großen Grabstein allerdings, da sind sich beide dann doch sicher, wollen sie selber einmal nicht haben. Die beiden Grabmacher bevorzugen am Ende ihres Lebens eine Urne.

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SZ vom 16.07.2015
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