Kult-Band:Lennon und McCartney aus dem Landkreis

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Lassen den bayerischen Folkrock von "Schariwari" wieder lebendig werden: Franz Meier-Dini, Günther Lohmeier und Rudi Baumann (von links). (Foto: Christian Endt)

45 Jahre "Schariwari": Das Vermächtnis der bayerischen Folkrockpioniere aus Kirchseeon lebt weiter. Mit einer Besetzung aus altbekannten Gefährten, die die Hits ganz pur zelebrieren und sogar die "Bayerische Rauhnacht" wiederbelebt haben.

Von Anja Blum, Kirchseeon

Totenkopf, Kontrabass und dazu das mächtige Glockenspiel der Perchten. Diese Trias wird es nun wieder einmal auf der Bühne in Kirchseeon zu sehen geben. Und wer schon etwas länger in der Marktgemeinde wohnt, wird vermutlich genau wissen, warum. Es sind dies die Insignien eines musikalischen Phänomens, das im Kirchseeon der 70er seinen Anfang nahm. Damals fanden Hans Reupold und Günther Lohmeier zusammen - die heute so manchem als John Lennon und Paul McCartney des Ebersberger Landkreises gelten. Als Pioniere des bayerischen Folkrock wurden sie von der Deutschen Phono-Akademie und der Hanns-Seidel-Stiftung ausgezeichnet.

Über die Kirchseeoner Perchten lernen die beiden jungen Burschen sich kennen, bald machen sie bei den Vereinsabenden sowie darüber hinaus zusammen Musik, Lohmeier steigt dafür, zumindest kurzzeitig, von der Gitarre, die auch Reupold spielt, auf den Kontrabass um. Doch nicht irgendwelche Coverversionen stehen bei den beiden Kirchseeonern auf dem Programm, sondern eigene Songs. "Mein erstes Lied hab ich mit 13 Jahren geschrieben", erzählt Lohmeier: "S Lebn hörn".

Mit einem Fiat 127 geht es über die Leopoldstraße, der Bass schaute zum Schiebedach raus

Ihre Inspiration finden die beiden jungen Songwriter also im mystischen Kulturgut der Kirchseeoner Perchten, hinzu kommt, als eine Art Initialzündung, ein Konzert von Liedermacher Willy Michl. "Bayerischer Blues - da waren wir vollkommen von den Socken", erinnert sich Lohmeier. Gleich am nächsten Tag fängt das junge Duo an, sich in diesem Genre auszuprobieren.

Heraus kommt so etwas wie Boandlkramer-Rock'n'Roll - und der schlägt sofort ein. Ihren ersten Auftritt haben Reupold und Lohmeier 1977, also vor genau 45 Jahren, in der Ebersberger Sieghartsburg, als Vorprogramm des Rock-Trios von Joe Beitler, ebenfalls aus Kirchseeon. Es folgen Konzerte in Markt Schwaben, bei einem Popfestival im Piusheim, wo gleich Bassist Franz Meier-Dini rekrutiert wird, und bald auch auf den Kleinkunstbühnen Münchens. Mit einem Fiat 127 geht es über die Leopoldstraße, der Bass schaut zum Schiebedach raus. Und egal, wo die neue Band Schariwari auftaucht: Publikum und Kritiker sind gleichermaßen begeistert. "Die Mundart ist damals einfach explodiert", sagt Lohmeier.

Deshalb dauert es auch nicht lange bis zur ersten Platte - auf die andere Bands durchaus neidisch gewesen seien, erzählt Meier-Dini, trotz dreier Rechtschreibfehler auf der Rückseite. "Eine eigene LP - das war damals ein echtes Statussymbol!" Doch die Jungs aus Kirchseeon haben einiges an Chuzpe - und fragen einfach im Musikmarkt am Münchener Gärtnerplatz, einem damals absolut angesagten Laden, nach einer Aufnahmemöglichkeit. Mit Erfolg: Sie geraten an Manfred Kickstein, der sie in sein Kellerstudio einlädt und später sogar als Keyboarder bei der Band einsteigt.

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1979 also erscheint das Debüt "Leit, schaugts uns ins Gsicht", darauf zu finden sind bereits die heutigen Klassiker "Sommernacht" und die "Kirchseeoner Frösche". Auf dem Cover sieht man einen Bass, ein Glockenspiel und eine Totenkopfmaske - jene drei Dinge also, die nun beim Jubiläumskonzert in der ATSV-Halle die Bühne schmücken werden. Ansonsten aber wird es keinerlei Schnickschnack geben, sondern nur die altbekannten, geliebten Songs - Schariwari pur.

Ein Angebot von Schlager-Mogul Ralph Siegel lehnt Schariwari ab - mit "rosa Schleife"

Selbstverständlich allerdings ist das nicht, denn im Laufe der 45-jährigen Bandgeschichte ist noch allerhand passiert, und leider nicht nur Positives. Bereits 1981 erscheint die zweite Platte, "Der Mensch geht vor", da holen sich Reupold, Lohmeier und Meier-Dini noch zwei Gäste an Synthesizer und Schlagzeug dazu, eben jenen Kickstein sowie Lohmeiers Bruder Wolfi. Und nicht nur das: Auch Bläser und der Kirchseeoner Männerchor kommen zum Einsatz, beim Release-Konzert, wie man heute sagen würde, ist die Bühne der Grafinger Stadthalle rappelvoll. "Das war die logische Entwicklung, da haben wir Vollgas gegeben", sagt Lohmeier heute. Doch der akustische Bombast währt nicht lang, schon 1983 heißt es "De Zeit is reif", da klingt Schariwari dann wieder "wie eine normale Band".

Danach aber wird es zunehmend schwierig. Die Plattenfirma will unbedingt einen "Top-einhundert-Hit", der Zeitgeist wandelt sich und auch innerhalb der Band gehen die Geschmäcker zunehmend auseinander. "Wir haben Demos ohne Ende abgegeben und verschiedene Kooperationen ausprobiert, aber irgendwie war der Wurm drin", gesteht Lohmeier. Einig sei man sich nur darin gewesen, nicht mit Schlager-Mogul Ralph Siegel zusammen zu arbeiten. "Dessen Angebot haben wir mit einer rosa Schleife drum wieder zurück geschickt", erzählt Meier-Dini und grinst.

Günther Lohmeier in Action bei der "Bayerischen Rauhnacht". (Foto: Christian Endt)

Irgendwann also beschließen die Musiker, eine Schariwari-Pause einzulegen, bis auf ganz wenige "Rückfälle" lässt die Band bis 1991 nichts von sich hören. Doch dann kommt sie mit einem Paukenschlag zurück: 1996 feiert die "Bayerische Rauhnacht" Uraufführung, ein von Schariwari konzipiertes Mystical, ein Theaterabend mit Geschichtenerzähler, viel Perchten-Mystik und bayerischem Folkrock. Schnell entwickelt sich die Rauhnacht zum kreativen Exportschlager des Landkreises - und heimst etliche Auszeichnungen ein. Höhepunkt ist der deutsche Rock- und Pop-Preis in der Kategorie Musical. Um das Maß der Ehre richtig einzuordnen: Die Entscheidung fällten nicht Hinz und Kunz, sondern Größen wie Peter Maffay, Udo Lindenberg und Wolfgang Niedecken.

Beim Neustart der Band allerdings rumpelt es auch ein bisschen, zwischen den Gründern und all den Profis wie Martin Kälberer, Bruno Renzi oder Wolfgang Lohmeier, die nun die Band komplettieren. "Da haben wir uns schon gefragt: Wer ist denn jetzt hier die Front- und wer die Backline?", erzählt Lohmeier. Trotzdem funktioniert das Kirchseeoner Liedermacher-Duo noch gut, 2003 erscheint die CD "Gemeinsamkeiten" mit vielen neuen Songs.

Doch die jährlichen Rauhnacht-Tourneen verlangen den Musikern viel ab, der Kopf ist irgendwann nicht mehr frei für neue Ideen. Also ist nach zehn Wintern Schluss, schließlich soll man aufhören, wenn's am schönsten ist. Außerdem wird Reupold schwer krank, 2013 gibt er sein letztes Konzert. Nun, im April dieses Jahres, hat er die Bühne dieser Welt endgültig verlassen.

40 Jahre Schariwari: Zum Jubiläumskonzert im Alten Kino kommen viele alte Weggefährten und noch mehr Fans. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch Lohmeier hängt an seinem "Baby", will es nicht sang- und klanglos untergehen sehen. Zum Bandjubiläum 2017 treffen sich die ehemaligen Weggefährten, schaffen alles Trennende aus der Welt, schwelgen in Erinnerungen - und beschließen die Wiederbelebung. "Da war dann plötzlich wieder eine ganz neue Dynamik drin", freut sich Lohmeier, das Jubiläumskonzert im Alten Kino sei der Startschuss gewesen, der Rest quasi ein Selbstläufer. Die Veranstalter nehmen die bayerischen Folkrocker mit Kusshand, denn das Publikum ist ihnen immer treu geblieben. Und 2018 geht sogar die Rauhnacht wieder auf Tour.

Die neue Besetzung ist dabei eigentlich eine alte. Um den Bandleader Günther Lohmeier, der mittlerweile in Edling lebt, scharen sich nun wieder Bassist Franz Meier-Dini aus Aßling, der Drummer Stevie Moises aus Olching, der Schariwari einst schon als Tontechniker bereichert hat, sowie der Grafinger Gitarrist Rudi Baumann, mit dem Lohmeier ebenfalls schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Alle vier sind inzwischen über 60 - doch ihre Freude an der Musik, an den alten Hits von Schariwari, ist ungebrochen. "Dieses Feuer wird noch lange brennen", sagt Lohmeier.

Rudi Baumann, Günther Lohmeier, Stevie Moises und Franz Meier-Dini (von links) lassen als klassische Folkrockband die alten Hits wieder auferstehen. (Foto: Masumi Miura/oh)

Außerdem ist man sich in der Neuausrichtung als klassische Folkrockband einig: Im Zentrum stünden allein die Songs und ihre Botschaften. "Wir müssen uns alle überhaupt nichts mehr beweisen", sagt Baumann, man wolle nicht sich selbst darstellen, sondern den Liedern dienen. Und dazu brauche es bei Schariwari eben nicht viel, kein virtuoses Spiel und keine große Besetzung. "Ein Lied, das am Lagerfeuer nicht taugt, taugt nämlich auch sonst nirgends."

Wichtig ist den vier Musikern allerdings zu betonen, dass es nicht um ein reines Nachspielen gehe. "Wir sind keine Schariwari-Coverband", sagt Baumann. Keiner versuche, Reupold oder sonst jemanden zu imitieren, vielmehr bekomme jeder den Raum für seine eigenen Interpretationen. "Wichtig ist nur, dass man sich damit wohlfühlt, damit es authentisch ist, ehrlich." Und die Fans? Die feiern ihre Lieblingslieder, wie eh und je, die Musiker berichten von diversen Konzerten mit bester Stimmung. Eines der schönsten Komplimente, erzählt Baumann, habe jüngst ein Ehepaar ausgesprochen, mit Blick auf die eigene Tochter. Nämlich: "Die gabs ohne eich gar ned!"

Schariwari live am Montag, 3. Oktober, in der Kirchseeoner ATSV-Halle. Alle Infos und weitere Termine auch zur "Bayerischen Rauhnacht" unter www.schariwari.de .

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