Noch vor einigen Jahren mokierten sich viele – die A-cappella-Band Basta sogar musikalisch – über den „Appdepp“, der in jeder Lebenslage eine passende Handy-Application zurate zieht. Heute sind solche Anwendungen selbstverständlich für jeden, der ein Mobiltelefon besitzt. Wie sich die Digitalisierung sogar mit Brauchtum verbinden lässt und dabei unschätzbaren Mehrwert schaffen kann, zeigen nun die Kirchseeoner Perchten, die im Winter spektakulär durch die Straßen ziehen. Seit 2024 ist der Brauch sogar im Verzeichnis der Deutschen UNESCO-Kommission als Immaterielles Kulturerbe gelistet.

Brauchtum in Bayern:Glücksbringer im Glück
Die Kirchseeoner Perchtenläufe werden auf Bundesebene geadelt zum Immateriellen Kulturerbe. Für den Landkreis Ebersberg ist das eine sensationelle Premiere.
Nun hat das Kirchseeoner Perchten-Museum „Maskeum“ eine gleichnamige App, für alle Handymodelle im Online-Store kostenfrei erhältlich. Sie lässt sich nicht nur vor und während des Besuchs nutzen, sondern auch danach oder ganz unabhängig davon. Durch Text, Bild- und Tonaufnahmen bekommen alle, denen die mystische Welt der Perchten noch unbekannt ist, einen lebendigen Eindruck, während Kenner Hintergrundinformationen finden und sich die Masken ganz in Ruhe und beliebig vergrößert anschauen können.
Ganz großes Kino ist eine 3D-Animation, mit der sich sowohl die beiden Gesichter von Frau Percha als auch das Antlitz der Habergoaß in schrecklich schöner Pracht und von allen Seiten studieren lassen. Da springen dem Betrachter die Glubscher regelrecht entgegen, die Nüstern stehen weit offen über den furchterregenden Hauern im sperrangelweit geöffneten Maul.

Dieses Feature ist auch deswegen so besonders, weil bisher keine andere der von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern geförderten Apps darüber verfügt, wie Museumsdirektor Rainer Eglseder beim Pressetermin stolz betont: „Wir sind Trendsetter!“ Überhaupt spiegle das Projekt die hohe Qualität wider, der sich der Perschtenbund Soj generell verschrieben habe. „Das ist unser Anspruch.“
Die außergewöhnliche Sorgfalt, mit der das Team aus Kirchseeon ans Werk ging, ist der anwesenden Vertreterin der Landesstelle, Stefanje Weinmayr, ein großes Lob wert. „Ich glaube, es gibt ganz wenige, die als ehrenamtlicher Verein so professionell aufgestellt sind. Für uns ist das Projekt ein echter Leuchtturm!“ Sie muss es wissen, ist sie doch Fachreferentin für „fabulAPP“ – so die Bezeichnung für diesen „Baukasten für digitales Storytelling im Museum“. 30 bayerische Museen hätten bereits eine App realisiert, etwa 60 seien „im Prozess“.
Die Entwicklung hat bei den Perchten gut zwei Jahre gedauert – vor vier Jahren hatte Museumsdirektor Eglseder erstmals darüber nachgedacht, aus allen Informationen ein „Gemeinschaftserlebnis für die ganze Familie“ zu machen, bevor er sich an die Landesstelle wandte. Nach dem Besuch diverser Workshops entstand zusammen mit dem Storytelling-Experten Matthias Leitner ein gut hundert seitiges Drehbuch als Vorlage für das Endprodukt mit Profi-Videos, -Fotos und rund 80 Sprachtakes von Inez Günther und Matthias von Stegmann.

Brauchtum im Kreis Ebersberg:So sieht es im neuen Kirchseeoner Perchten-Museum aus
Im Oktober werden Besucher endlich das "Maskeum" erkunden können. Die Ausstellung begeistert mit Exponaten und multimedialer Interaktion.
Neben praktischen Hinweisen zum geplanten Besuch liefert die App einen Vorgeschmack auf das, was Groß und Klein im Museum erwartet. „Frau Perchta“ begleitet den virtuellen Rundgang mit kleinen Aufgaben und gestattet am Ende sogar einen Blick ins normalerweise nicht zugängliche Depot, wo die seit Beginn der Läufe vor 70 Jahren stets selbst geschnitzten Masken lagern.
Wer im Nachgang Zahlen und Fakten rund um das kulturelle Aushängeschild der Marktgemeinde nachlesen will, findet die im umfangreichen Kapitel „Perchtenwissen“. Stefanje Weinmayr, Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin, hat es selbst intensiv getestet, unlängst bei einem Treffen mit alten Studienkollegen in Berlin, wie sie erzählt. „Wir haben uns gegenseitig abgefragt – am Ende waren alle so begeistert, dass nun ein gemeinsamer Ausflug ins Maskeum geplant ist.“
Da trifft es sich wunderbar, dass in der App auch noch weitere Touren enthalten sind: ein Spaziergang zu für die Perchten wichtigen Orten in Kirchseeon und eine Wanderung nach Ebersberg ins Museum Wald und Umwelt. Die Vernetzung dieser Orte, die Bildung vermitteln und Traditionen bewahren, freut Weinmayr, während Eglseder hofft, dass diese Kombination „auch die Münchner hier zu uns in den Osten lockt“.
Auch Kostproben der „Bayerischen Rauhnacht“ kann man in der App genießen oder in der Sektion für „kleine Perchtenfans“ stöbern. Highlights dort: zwei Geschichten aus dem Kinderbuch von Rainer Eglseder sowie eine wunderbare Bildergalerie, auf der sich einige Perchten per Schiebe-Schalter mal mit, mal ohne Maske präsentieren.

Das Sahnehäubchen ist sicher die Tatsache, dass die App dank Lehrerin Christine Guttenthaler auch Englisch kann. Für litauische und spanische Gastschüler des Gymnasiums Kirchseeon hatte sie die Wandtexte der Ausstellung übersetzt, danach kam die Idee auf, dasselbe mit den App-Informationen zu tun. „Wir nutzen das Museum so intensiv, da freue ich mich, wenn ich etwas zurückgeben kann“, so die Pädagogin.
Drei Jahre lang wird die Landesstelle für nicht staatliche Museen die Lizenzgebühr von jährlich 1200 Euro übernehmen, danach benötigt das Projekt Sponsoren wie die bereits involvierte Bayerische Sparkassenstiftung. Die Nutzer wiederum müssen beim Besuch des Maskeums laut Eglseder nur an eines denken: „Wer die App vor Ort nutzen will, sollte bitte die eigenen Kopfhörer nicht vergessen.“ Um derlei Geräte für die Gäste vorzuhalten, sei das Museum nämlich schlicht zu klein.
Maskeum: Münchner Straße 19, Kirchseeon, von November bis Januar jeden Samstag und Sonntag von 10 bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei (Spenden erwünscht). Die. Maskeum-App gibt es kostenlos in jedem App-Store.