Schlenzer und Habergoaßn:Die Saison der Kirchseeoner Perchten hat begonnen

Sie tanzen und lärmen nun jedes Wochenende für ein gutes neues Jahr - so mancher Maskenträger ist seit seiner Kindheit mit dabei.

Reportage von Nathalie Stenger, Kirchseeon

Die ganze Situation hat etwas vom Skifahren. Lange Unterhosen, dicke Pullis, Hosenträger. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass die Perchten in Kirchseeon keine Skihosen mit den Trägern fixieren, sondern ihre zotteligen Fellkostüme. Noch stehen die rund 50 Frauen und Männer unterschiedlichsten Alters in kleinen Grüppchen beisammen, doch bald beginnt für sie der zweite Kirchseeoner Perchtenlauf der Saison. Als die ersten Trommelschläge ertönen, werden noch schnell die letzten Felle übergezogen und Masken aufgesetzt - die Vereinsmitglieder verwandeln sich in große und haarige Gestalten, die sich scheppernd und klappernd vom Talweg aus Richtung Dachsberg in Bewegung setzen.

Sogar noch vor den Musikern, den Schönperchten, läuft Vereinsvorstand Wolfgang Uebelacker, gut erkennbar an seiner roten Lederjacke. Er ist seit 48 Jahren beim Perschtenbund Soj Kirchseeon dabei und erklärt, was es mit der Tradition auf sich hat: "Die echten Perchten sind die Schönen! Das kommt vom uralten deutschen Wort 'perat' für strahlend und schön. Wir bringen Licht für das neue Jahr." Das machen sie mit sieben verschiedenen Tänzen, erzählt er, vier mit Sprechgesang, drei mit Glockenspielen, die abwechselnd vorgetragen werden. Mit dem Stampfen auf den Boden sollen die schlafenden Erdgeister aufgeweckt werden und für Fruchtbarkeit im nächsten Jahr sorgen. Die Kirchseeoner Perchten haben sich dieser Tradition mit voller Leidenschaft verschrieben.

Getreu dem alten Sprichwort "So hoch wie der Percht springt, so hoch wächst das Korn nächstes Jahr", geben sich die Klaubauf alle Mühe, mit ihren Tänzen und wilden Drehungen ihrer Aufgabe nachzukommen. Die Holzmandl legen in harmonischem Gleichschritt mit langen Stöcken immer wieder den Drudenhax, ein Pentagramm, auf die Straßen - als gutes Omen für die kommenden Ernten.

Frau Percht tanzt in der Mitte der kunterbunten Klaubauf. Gerade heute ist die Frau allerdings ein Mann, Andreas Mecker von den Klaubauf vertritt seine Kollegin. Bei der doppelseitigen Janusmaske, die für alle möglichen Gegensätze des Lebens steht, erkennt man aber sowieso nicht, ob sich eine Frau oder einen Mann unter dem Kostüm versteckt. Drei Perchten sind es in Kirchseeon, die die Rolle der Frau Percht einstudiert haben. Es handelt sich dabei um die Choreografien der Klaubauf - nur andersherum getanzt.

Immer mehr Familien und Jugendliche

Immer mehr Familien und Jugendliche schließen sich an, als die Perchten mit Fackeln durch die stetig dunkler werdenden Straßen ziehen. Kleine Kinder fahren mit Rollern zwischen den zotteligen Ungetümen hindurch. Das gefällt natürlich den Schlenzern, das ist die Gruppe, die dafür verantwortlich ist, Schabernack mit den Schaulustigen zu treiben. So werden mit den Stabmasken schnell mal die Mützen geklaut.

Die Jugendlichen Alessio Cimino und Maximilian Brenner zeigen, wie das funktioniert: Der Holzstiel der Stabmaske ist in einer kleinen Tasche an einem Fahnengurt befestigt. Zwei unterschiedlich lange Stiele ermöglichen das schnelle Zuschnappen der Holzmäuler. Verdeckt wird die Konstruktion von roten und grünen Umhängen, in denen dunkle Netze eingelassen sind, sodass die Gesichter der Schlenzer gerade noch so erkennbar sind. Was auffällt: Die meisten von ihnen sind sehr jung. Maximilian erzählt, wieso: "Nach dem Vereinstritt kann man sich von der Unterklasse der Schlenzer bis zu den Holzmandln, den Waldgeistern, hocharbeiten.

Wer sich da ein paar Jahre bewährt hat, darf dann später bei den Klaubauf mittanzen." Die dafür notwendigen Tänze und Sprechgesänge haben sie schon bei den wöchentliche Treffen in der Badestube in Eglharting gelernt. Besonders gruselige und schwere Masken tragen die Haberngoaßen, die Gaben von Schaulustigen entgegennehmen. Alle Münzen, die in ihre großen Mäuler fallen, landen in einem Beutel, der in der Maske befestigt ist.

Verantwortlich für die bis zu fünf Kilogramm schweren Masken ist Herbert Schafbauer. Er ist seit 52 Jahren Mitglied im Verein - seit er zehn Jahre alt ist. Damals hat er auch mit dem Schnitzen begonnen. Mehr als 100 Masken hat er seitdem gestaltet und bemalt, rund fünf Wochen dauert es, bis so eine Kopfbedeckung fertig ist. Vorlagen gibt es keine dafür, die Kunstwerke mit Schnäbeln oder mit Fisch spuckenden Mäulern, all die waldartigen und zauberhaften Gesichter entstehen aus seiner Fantasie heraus.

Heute liegt das Mindestalter zum Vereinseintritt bei 14 Jahren, eine Beschränkung nach oben gibt es nicht. Braucht es anscheinend auch nicht. Der Schnitzer formuliert es so: "Mit denen leb' ich, und mit denen werd' ich sterben." Wenn auch sehr drastisch formuliert, stimmt seine Aussage sinngemäß mit der von Uebelacker überein: "Das ist nicht nur ein Verein, das ist Familie." Dass die Tänzer und Musiker zusammenwachsen und sich tiefe Freundschaften entwickeln, ist aber auch nicht verwunderlich, bei all den Läufen, die den ganzen Winter über anstehen.

Jedes Wochenende, Samstag und Sonntag, wird bis Februar mit Läufen von vier bis sechs Stunden die Tradition der Rauhnächte gepflegt. Damit die Perchten auch genug Kraft haben, um die Geister in der Erde aufzuwecken, bieten jedes Jahr Einheimische an, die haarigen Ungetüme zu verpflegen. So lassen sich die Tanzeinlagen in der Kälte ganz gut aushalten.

Wichtig ist, die Perchten nicht mit dem Krampus zu verwechseln. Die Schreckgestalten, die den Nikolaus auf Weihnachtsmärkten begleiten, haben mit dem Perschtenbund, der heuer sein 65. Bestehen feiert, nichts zu tun. Hier in Kirchseeon wird sich natürlich auch ein bisschen gegruselt, doch gibt es keinen Grund zur Sorge. Das bisschen Tratzen und Necken ist nur Spaß, und jegliche plötzlichen Überfalle von hinten, die mit rußverschmierten Nasen und Wangen enden, sollen auch nur Glück fürs neue Jahr bringen. Und das kann man ja schließlich immer gebrauchen.

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