Süddeutsche Zeitung

Neue Praxis:Kirchseeon bekommt wieder einen Facharzt

Nach langem Warten eröffnet Orthopäde Borries Dorstewitz dort das Rückeninstitut München Ost. Er soll aber nicht der einzige Spezialist am Ort bleiben.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Wie wichtig eine gute und flächendeckende medizinische Versorgung ist, zeigt sich in den Wochen der Corona-Krise ganz besonders. Das deutsche Gesundheitssystem hält der Pandemie bisher recht ordentlich stand, allerdings kann das nicht über einen Umstand hinwegtäuschen, der schon vor Ausbruch des Virus immer deutlicher geworden ist: der Ärztemangel im ländlichen Raum. Auch in Kirchseeon sah es bis vor Kurzem noch recht düster aus, was die Zahl der Mediziner angeht. Doch nun entspannt sich dort die Situation nach und nach. An diesem Montag wird der erste Facharzt seine Praxis in der Marktgemeinde eröffnen, eine weitere Spezialistin soll demnächst folgen.

Zunächst noch ein kurzer Rückblick: Es war im August vergangenen Jahres, als der Kirchseeoner Gemeinderat einen Experten des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung in die Sitzung bestellt hatte. Es sollte darum gehen, was die Kommune tun kann, um einen Facharzt an den Ort zu locken. Die für viele ernüchternde Antwort lautete damals: nicht viel.

Da der Bedarf an Fachmedizinern im Landkreis Ebersberg zu diesem Zeitpunkt statistisch gesehen bereits gedeckt war, gab es für die Gemeinderäte eine Absage - allerdings mit einem kleinen Hintertürchen: Auch wenn die Versorgung in einem bestimmten Gebiet gedeckt ist, gibt es noch die Option, sogenannte Filialpraxen zu eröffnen. Das sind Zweigstellen, die ein Arzt einrichten kann, der eigentlich seinen Hauptsitz an einem anderen Ort hat. Diese dürfen dann aber nicht als zusätzliche Einnahmequelle dienen, stattdessen muss der jeweilige Mediziner seinen Leistungsumfang andernorts zurückfahren.

Genau diese Möglichkeit nutzt nun Borries Dorstewitz, der an diesem Montag zusammen mit seinem Kollegen Peter Kreidler in Kirchseeon eine Filialpraxis des Orthopädischen Zentrums der Schön-Klinik Bad Aibling Harthausen eröffnet. "Die Kassenärztliche Vereinigung hat festgestellt, dass es hier eine erhebliche Versorgungslücke gibt", sagt der 42-Jährige, der in Grafing wohnt.

Fortsetzung einer Familientradition

Dieser Umstand fand auch im Begründungsschreiben der Behörde Beachtung. Diese geht durch die Neueröffnung von einer signifikanten Verbesserung der Versorgungslage der Patienten in quantitativer und qualitativer Sicht aus. "Wir sind froh, auf diesem Weg unseren Beitrag zur verbesserten Gesundheit vor Ort leisten zu dürfen und dem Ärztemangel entgegenzuwirken", sagt Dorstewitz.

Damit bekommt Kirchseeon also nach langem Warten endlich einen Facharzt. Dieser wird in die ehemaligen Räume der Praxis Lämmel in der Wasserburger Straße einziehen. Diese waren seit Ende vergangenen Jahres verwaist, nachdem Johann und Carola Lämmel ihre allgemeinmedizinschen Sitz von der Marktgemeinde nach Ebersberg verlegt hatten. Borries Dorstewitz setzt damit eine echte Familientradition fort: Sein Vater Hartmut war es, der die Praxis 1975 gegründet hatte.

In dem 42-jährigen Orthopäden bekommt die Marktgemeinde nun einen Spezialisten für Wirbelsäulenerkrankungen und chronische Schmerzsyndrome, der sagt: "Rückenleiden und chronische Schmerzerkrankungen sind rapide auf dem Vormarsch." Auch deshalb habe man sich an der Klinik Harthausen entschlossen, in Kirchseeon das Rückeninstitut München Ost einzurichten. Dort sollen Behandlungen rund um die Wirbelsäule in einem Stufenmodell aus einer Hand durchgeführt werden, wie Dorstewitz erklärt. Das Herzstück bilde dabei die orthopädische Schmerztherapie, die mit gezielten Injektionen und Infiltrationen im Bereich der Wirbelsäule vorgenommen werde.

Dass gerade im orthopädischen Bereich in Teilen des Landkreises Ebersberg tatsächlich ein Mangel besteht, zeigt ein Blick auf den Versorgungsatlas der Kassenärztliche Vereinigung. Während in den größeren Gemeinden im Norden zusammen 13 entsprechende Facharztsitze verzeichnet sind, ist der südwestliche Raum quasi verwaist. Lediglich in Grafing sind zwei Orthopäden gemeldet.

Diese medizinische Disziplin ist aber nicht die einzige, in der im Ebersberger Raum Nachholbedarf besteht - und von dem Kirchseeon aller Voraussicht nach ebenfalls profitieren wird. Seit einer bundesweiten Reform des ärztlichen Bedarfsplans zum Jahreswechsel herrscht im Landkreis ganz offiziell ein Mangel an Kinderärzten. Konkret können hier 2,25 neue Stellen geschaffen werden, eine davon soll nach Kirchseeon kommen.

Entsprechende Bestrebungen laufen schon länger, noch steht die finale Entscheidung aber aus. Laut Hausarzt und Freie-Wähler-Kreisrat Wilfried Seidelmann, in dessen ehemalige Praxisräume die Kinderärztin einziehen soll, musste der Beratungstermin des Zulassungsausschusses coronabedingt vertragt werden. Aber aufgehoben ist laut Seidelmann nicht aufgeschoben: "Die Aussichten stehen nach wie vor gut, dass es klappt." Dann hätte sich die Marktgemeinde Kirchseeon innerhalb weniger Monate von einem fachärztlichen Brachland zu einem wichtigen medizinischen Eckpfeiler im Landkreis Ebersberg gewandelt.

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SZ vom 11.05.2020/koei
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