SZ-Autor über Sturz des syrischen Regimes:„Geschieht das gerade wirklich?“

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Tausende syrische Mitbürgerinnen und Mitbürger sind am Sonntag zur Demonstration auf den Odeonsplatz gekommen, um den Sturz des diktatorischen Regimes in Syrien zu feiern. (Foto: Mohamad Alkhalaf/oh)

Mehr als ein halbes Jahrhundert Diktatur der Familie Assad ist nun vorbei. Das syrische Volk triumphiert, bricht die Beschränkungen, beendet die Ära der Tyrannei, und Freude breitet sich bei allen aus – auch bei SZ-Autor Mohamad Alkhalaf aus Kirchseeon.

Von Mohamad Alkhalaf, Kirchseeon/München

Der Tag, an dem das Regime von Syrien gestürzt wurde, ist ein historischer Tag. Für Syrien, klar. Aber erst recht für jeden einzelnen Syrer, der vor diesem grausamen System geflohen ist. Für mich zum Beispiel. Als Samstagabend der ehemalige Machthaber Baschar al-Assad nach Russland floh, war für mich an Schlaf überhaupt nicht zu denken. Die ganze Nacht saß ich da und habe die Nachrichten verfolgt. Am Handy, im Fernsehen, am Laptop – alles gleichzeitig. Ich war wie ein Eichhörnchen, das einerseits verschreckt im Baumstamm kauert, aber vor Neugierde trotzdem jede Sekunde herausschaut, um zu sehen, was es Neues gibt. Dass Assad nun vielleicht tatsächlich Geschichte sein wird, war für mich einfach unvorstellbar. Nach 13 Jahren Bürgerkrieg in Syrien. Nach über 54 Jahren unter dem Regime der Familie Assad! Geschieht das gerade wirklich?

Als Assads Sturz am Sonntag dann sicher war, habe ich laut geschrien – ich konnte es zunächst nicht glauben. Es dauerte, bis mein Verstand die Realität begriff: Assad war weg. Sein diktatorisches Regime war weg. 54 Jahre unter der Herrschaft der Familie Assad – vorbei. Ich bin in Tränen ausgebrochen, habe gesungen, bin umhergesprungen – ich bin total ausgeflippt vor Freude. Das, was jetzt kommt, sehe ich als Chance. Es ist das Ende einer Ära, in der die Wände Ohren hatten und politische Gegner von Assad gnadenlos gefangen genommen wurden.

Noch vor wenigen Wochen war ich, wie Millionen Syrer auf der ganzen Welt, frustriert über Assads Regime. Ich hatte Albträume, dass seine Soldaten mich bis nach Deutschland verfolgen, bis in meine neue Heimat Kirchseeon, wo ich mit meiner Frau und meiner Tochter lebe. Dass sie mich mitnehmen. Mich in ein syrisches Gefängnis einsperren, hinter Mauern, die ich nur allzu gut kenne: Viermal wurde ich in Syrien inhaftiert, bevor ich schließlich nach Deutschland fliehen konnte. Als Journalist hatte ich Artikel veröffentlicht, in denen ich die Regierung Assads kritisierte. Natürlich vergisst man so etwas nicht. Niemals.

Manche Kritiker hat die Regierung tief in den Gemäuern eingesperrt. Ich weiß von Menschen, die seit 20 Jahren keine Sonne mehr gesehen haben. Im Vergleich dazu hatte ich Glück: Ich war nie länger als sechs Wochen eingesperrt. Beim letzten Mal hat mein Vater die Wärter mit Geld bestochen, ich kam frei und konnte fliehen. Mein Kollege, mit dem ich zusammen inhaftiert wurde, hatte weniger Glück: Er blieb im Gefängnis – bis zum vergangenen Wochenende. Nach dem Sturz konnte auch er die Freiheit betreten, ich habe Videos davon gesehen.

Videos von den Befreiungen zahlreicher Regimekritiker aus syrischen Gefängnissen gingen dem SZ-Autor sehr nahe

Wie für meinen Kollegen haben sich in dem Moment, als Assad sein Flugzeug nach Moskau betrat, auch für viele andere Gefangene die Gefängnistore geöffnet. Sie haben Jahre oder sogar Jahrzehnte hinter Gittern verbracht. Wer die Bedeutung davon für uns Syrer besser verstehen möchte, der sollte sich Videos ansehen – einige davon haben es in die Nachrichten geschafft. Besonders die Aufnahmen aus dem Saidnaya-Gefängnis sind für mich unglaublich, ich finde keine Worte dafür. Dieser Ort war für viele Syrer wie ein Horrorfilm, in den man auf einmal mittendrin steckte. Schlimmer noch. Man nannte das Gefängnis ein Schlachthaus für Menschen, allein der Name ist für uns Syrer ein Synonym für Erniedrigung, für unsagbare Folter und Massenhinrichtungen durch Assads Soldaten. Aber das war einmal: Nun sind auch die dort gefangenen Menschen endlich frei.

SZ-Autor Mohamad Alkhalaf am Sonntag auf der Pro-Rebellen-Demonstration auf dem Odeonsplatz in München. (Foto: Mohamad Alkhalaf/oh)

Eine Woche vor Assads Sturz, als sich der Krieg zwischen Assads Armee und den Oppositionskräften verschärfte, wurde in München eine Pro-Rebellen-Demonstration für den 8. Dezember angekündigt. Angemeldet war nur eine kleine Kundgebung mit 200 bis 500 Teilnehmern. Ich hatte mich entschlossen, daran lieber nicht teilzunehmen – ich hätte mein Gesicht verbergen müssen, aus Angst, dass ich von den falschen Leuten erkannt werde. Denn ein Teil meiner Familie und Freunde leben in Syrien, sie alle hätte ich in Gefahr gebracht: Wenn mich jemand erkannt hätte, hätten sie dafür womöglich mit ihrem Leben bezahlen müssen.

Doch jetzt war alles anders: Ich wollte an der Demo teilnehmen, unbedingt! Tausende syrische Mitbürgerinnen und Mitbürger sind gekommen – einer meiner syrischen Freunde und ich mittendrin. Es war das erste Mal, dass wir unseren Widerstand gegen Assad offen zum Ausdruck bringen konnten. Ganz ohne Angst. Auf diesen Moment habe ich jahrelang gewartet.

Seit dem Wochenende bekommt Mohamad Alkhalaf viele Glückwünsche

Die Stimmung am Odeonsplatz war unglaublich: Alle sangen Loblieder, tanzten, trommelten, lachten, weinten – es ging fast zu wie auf einer syrischen Hochzeit. Als mein Freund und ich nach der Demonstration nach Ebersberg zurückkehrten, trugen wir noch immer die Flagge der Revolution, die alte syrische Flagge aus Zeiten, in denen das Land eine Republik war. Sie gilt als Zeichen der Unabhängigkeit. Während wir strahlend durch die Stadt liefen, gratulierten uns einige Passanten.

Als meine syrischen Freunde und ich nach Deutschland geflohen sind, haben viele Deutsche unseren Schmerz geteilt und uns geholfen, eine neue Heimat aufzubauen. Und heute teilen sie unsere Freude – weil sie durch den Kontakt zu uns ganz genau unsere Geschichte kennen, die Geschichte unseres Landes, das Leid und den Schmerz, den wir erlitten haben. Dieses Gefühl des Zusammenhalts bereitet mir Freude.

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Zwei Tage nach dem Sturz hat ein befreundetes deutsches Ehepaar einige syrische Freunde und mich zu einem Abendessen eingeladen – sie wollten mit uns feiern. Als ich 2015 nach Kirchseeon kam, haben sie mir sehr geholfen. Es war ein glücklicher Abend, vor allem, weil wir nun Themen diskutiert haben, die bislang völlig unrealistisch waren: Sollte man nun nach Syrien zurückkehren? Ist der Krieg wirklich vorbei? Wer kann Syrien wieder aufbauen – und wie? Die Diskussion war für mich sehr gehaltvoll, denn auf einmal gab es diese neue Art von gegenseitigem Verständnis, von einer Gemeinsamkeit: Das Ehepaar ist Mitte 80 – und sie wissen sehr genau, was es bedeutet, einen schrecklichen Krieg zu beenden und ein Land wieder aufzubauen.

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Seit dem Wochenende bekomme ich viele Nachrichten von deutschen Kollegen und Bekannten, die sich für meine Landsleute und mich freuen. Aber es gibt auch jene von Populisten, dass ich jetzt schnell nach Syrien zurückkehren soll. Tatsächlich machen sich viele meiner syrischen Freunde Gedanken darüber: Sollen sie nach Syrien zurück oder nicht?

Meiner Ansicht nach ist es für solche Fragen zu früh. Ich bin nicht sicher, ob wirklich eine Demokratie entstehen wird, in der die Menschenrechte eingehalten werden. Klar ist für mich: Ich wünsche es mir und hoffe sehr, dass Syrien ein stabiles und sicheres Land wird. Dann könnte ich endlich ein Vorhaben, das einer meiner deutschen Freunde und ich vor vier Jahren beschlossen haben, in die Tat umsetzen: Wenn Assad weg ist, haben wir damals gesagt, dann reisen wir nach Damaskus und ich zeige ihm meine syrische Heimat. Bald wird es hoffentlich so weit sein.

Mitarbeit: Johanna Feckl

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