Süddeutsche Zeitung

Kirchseeon:Güterzug im Blumenbeet

Anwohner der Bahnlinie durch den Landkreis sehen dem Ausbau des Brenner-Basistunnels mit gemischten Gefühlen entgegen. Viele fühlen sich schon jetzt vom Bahnlärm erheblich gestört

Von Matthias Reinelt, Kirchseeon

"Wenn hier doppelt so viele Güterzüge entlangrauschen, dann ist es nicht mehr lustig!" Elisabeth Weis aus Kirchseeon ist besorgt angesichts des Brennerbasistunnels und der möglichen Begleiterscheinungen, die mit dem Mammutwerk verbunden sind. Geplant ist die Fertigstellung des Tunnels und seines Zulaufs für das Jahr 2026. Dann könnten auf der Strecke München-Rosenheim künftig statt täglich 200 bis zu 400 Züge fahren. Betreffen würde das vor allem die Bürger, die in Bahnhofsnähe wohnen und sich dem täglichen Lärm ausgesetzt sehen. Gestört fühlt sich indes nicht jeder. "Mir würde etwas fehlen, wenn die Züge nicht mehr fahren würden", sagt Franz Bauer, der das Gästehaus Bauer in Grafing Bahnhof betreibt. In all den Jahren habe sich auch erst ein Gast über den Lärm des nahe gelegenen Bahnhofs beschwert. So lange die Situation so bleibe, wie sie ist, sei eine Lärmschutzwand in Grafing Bahnhof nicht nötig, findet er. Anwohner, die sich vom Geräuschpegel stark beeinträchtigt fühlen, würden seiner Meinung nach übertreiben. Wenn allerdings in Zukunft deutlich mehr Züge die Strecke befahren werden, könnte das durchaus anders werden. Dann wäre eine Maßnahme sicher wünschenswert, sagt Bauer.

Die Güterzüge seien manchmal derart laut, dass man glaube, "die fahren direkt ins Beet hinein", klagt Ursula Fuchs aus Kirchseeon. Außerdem verfehle die vorhandene Lärmschutzmauer ihre Wirkung, sie sei zu niedrig. Ihre Freundin Elisabeth Weis, die einige Straßen weiter auf der anderen Seite des Bahnhofs wohnt, wundert sich, warum sich in Deutschland in Sachen Lärmschutzmaßnahmen im Hinblick auf den Tunnel erst so wenig getan habe. In Österreich sei man damit schon weitgehend fertig. "Dass es den Tunnel geben wird, hat man doch schon lange gewusst." Ihre praktische Forderung: "Die Bahn könnte die Schallschutzfenster für Häuser zahlen."

Claudia Hopf, die mit ihrer Familie unweit der Gleise in Grafing Bahnhof wohnt, sieht hingegen"kein ernsthaftes Problem". Einzig wenn sie aus dem Urlaub zurück kehre, werde ihr jedes Mal richtig klar, wie laut die vorbei fahrenden Züge tatsächlich sind, erzählt sie. Aber grundsätzlich "würde doch fast jeder sagen, man lebt hier ruhig". Ihre Tochter pflichtet ihr bei. "Man gewöhnt sich dran." Freundinnen oder Besucher, die nicht an das Rattern und Rauschen des Zugverkehrs gewöhnt sind, empfänden das aber anders. "Die wachen dann manchmal in der Nacht auf." Dann werde ihr die Lautstärke erst bewusst. Wenn aber der Güterverkehr stark zunehme, dann dürften Lärmschutzmaßnahmen sinnvoll sein, glaubt ihre Mutter. Da würde sie lieber die optisch wenig ansprechenden Lärmschutzwände in Kauf nehmen, als mehr Lärm.

Rolf Bayer aus Kirchseeon sagt, vor dem Bau der Schallschutzmauer seien die aggressiven, mechanischen Geräusche der Güterzüge störend gewesen. Durch die Mauer und die Umstellung der Züge auf Scheibenbremsen sei die Situation heute merkbar besser. Auch Herbert Opelt aus Zorneding hat bemerkt, dass die Güterzüge "immer leiser" werden, früher hätten er und seine Frau sich deutlich stärker beeinträchtigt gefühlt, berichtet er. Und dann gebe es seit einigen Jahren auch die Schallschutzwand - bei der man aber zunächst "zu früh zu bauen aufgehört" habe. "Etwa die letzten 20 Meter haben gefehlt." Genau in diesem Bereich aber wohnt das Ehepaar und hat somit sehr viel Lärm abgekriegt. Die Opelts hatten sich in ihrer Verzweiflung sogar an die Gemeinde gewandt, allerdings ohne Erfolg. Erst als die Schutzmauer endlich doch verlängert wurde, sei es besser geworden, erzählt Herbert Opelt.

Gerda Rother wohnt in Pöring. Hier gibt es auch eine Lärmschutzwand, und die grenzt direkt an ihren Garten. Wenn sie sich draußen unterhält, muss sie ihre Gespräche trotz der Wand immer wieder unterbrechen, weil sie ihr Gegenüber nicht mehr versteht. Und doch kann sie dem entstehenden Tunnel positive Aspekte abgewinnen. Die Autobahnen zum Brenner könnten entlastet werden, sagt sie. "Manchmal sind auf den Autobahnen ja sogar zwei Spuren von Lkws belegt."

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Quelle:
SZ vom 17.06.2016
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