Süddeutsche Zeitung

Kinderbetreuung:Kampf gegen den Erziehermangel

In Kirchseeon könnte unter Trägerschaft der Johanniter eine Akademie für Sozialpädagogik entstehen. Damit sollen junge Fachkräfte an die Region gebunden werden. Um das Projekt zu realisieren, müssen die Gemeinden aber an einem Strang ziehen.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Viele Eltern im Landkreis Ebersberg können ein Lied davon singen: Die Suche nach einem Betreuungsplatz für die eigenen Kinder gestaltet sich zuweilen mehr als schwierig. Grund sind nicht etwa die fehlenden Einrichtungen, sondern vielmehr der Mangel an Fachkräften, um den Nachwuchs dort auch angemessen zu betreuen. Und: Dieses Problem wird in der Zuzugsregion Ebersberg seit Jahren immer größer. Nun hat die Marktgemeinde Kirchseeon ein Projekt angestoßen, das dem Erziehermangel im kompletten Landkreis entgegenwirken soll: eine Fachakademie für Sozialpädagogik. Um dieses Vorhaben am Ort realisieren zu können, müssen aber auch die anderen Gemeinden mithelfen.

Mit an Bord ist bereits der Regionalverband München der Johanniter-Unfall-Hilfe, der die Trägerschaft der Berufsschule übernehmen soll. Diese Partnerschaft ist das Ergebnis eines Arbeitskreises im Kirchseeoner Rathaus, der sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema Kinderbetreuung auseinandergesetzt habe, wie Bürgermeister Jan Paeplow (CSU) nun bei der Vorstellung des Projekts sagte. "Kirchseeon und alle anderen Kommunen kämpfen mit dem Fachkräftemangel", so der Rathauschef. Man habe deshalb herausfinden wollen, wo der Schuh besonders drückt - und wie man als Gemeinde die Probleme lösen könne.

Der Mangel an Erziehern ist ein gesamtgesellschaftliches Problem

Daraus hervorgegangen ist die Kooperation mit den Johannitern, die in der Marktgemeinde keine Unbekannten sind. Im Herbst 2020 hat der Hilfsverein die Trägerschaft des neu gebauten Kinderhauses am Spannleitenberg übernommen. Nun soll der Regionalverband in Kirchseeon auch Fachkräfte für andere Einrichtungen im Landkreis anwerben und heranziehen. "Wir bilden nicht nur für die Johanniter aus, sondern für alle Träger", sagte dazu Thomas Kohns von der Bundesgeschäftsstelle am Montagabend im Kirchseeoner Gemeinderat. Der Fachkräftemangel betreffe schließlich nicht nur die Marktgemeinde, sondern sei ein gesamtgesellschaftliches Thema, ergänzte Bürgermeister Paeplow.

Für die Fachakademie gibt es deshalb auch bereits ein sehr konkretes Konzept. Angesiedelt werden soll die Berufsschule auf rund 1300 Quadratmetern in den Räumen des Berufsbildungswerks St. Zeno. Dort sollen die angehenden Erzieherinnen und Erzieher eine drei- beziehungsweise vierjährige Lehre durchlaufen - und diese hat es durchaus in sich. "Um in einer Kita als Fachkraft tätig zu sein, gibt es eine komplexe Ausbildungsphase", sagte Johanniter-Regionalvorstand Martin Swoboda bei der Vorstellung des Konzepts.

Dank einer dualen Ausbildung sollen die Azubis im Landkreis "hängen bleiben"

Demnach sollen in Kirchseeon zwei Wege zum Titel des staatlich anerkannten Erziehers führen: Auszubildende mit mittleren Schulabschluss durchlaufen zunächst ein einjähriges sozialpädagogisches Einführungsseminar, ehe sie zwei theoretische Schuljahre und schließlich ein Praktikumsjahr absolvieren. Bewerber mit (Fach-)Abitur haben in Bayern zudem die Möglichkeit einer dualen Ausbildung, dem sogenannten Optiprax-Modell. Auf dieses wolle man sich Swoboda zufolge in Kirchseeon fokussieren. Dabei arbeiten die angehenden Erzieherinnen und Erzieher von Beginn an zwei Tage in der Woche mit entsprechender Vergütung in einer Kita im Landkreis mit, die restlichen drei Tage sind für die theoretische Ausbildung in der Kirchseeoner Fachakademie vorgesehen.

Von diesem Modell versprechen sich Gemeinde und Träger eine ganze Menge: "Wer merkt, diese Kita macht Spaß, der bleibt auch nach dem Ende der Ausbildung dort hängen", sagte Thomas Kohns. Die Fachkräfte sollen also langfristig an den Landkreis gebunden werden und nicht - wie es bisher häufig der Fall ist - in Richtung München abwandern. Interessenten für die Ausbildung zur Fachkraft wollen die Johanniter vor allem in den Landkreis-Schulen finden, mit denen ein enges Kooperationsnetzwerk aufgebaut werden soll.

Ein solches scheint auch notwendig, denn das Projekt ist durchaus ambitioniert, wie sowohl Träger als auch Gemeinde einräumen: Bereits im September dieses Jahres soll die Ausbildung in Kirchseeon starten - zunächst mit einer vierjährigen Theorieklasse. Ein Jahr später soll dann der erste dreijährige Optiprax-Jahrgang an den Start gehen. Pro Klasse planen die Johanniter mit 25 Schülerinnen und Schülern. Zum Jahr 2026 sollen also insgesamt 125 Auszubildende die Schule besuchen, dann wird auch der erste Abschlussjahrgang mit 50 staatlich anerkannten Erziehern für den Arbeitsmarkt in der Region zur Verfügung stehen. Eine etwaige Konkurrenz zur Fachschule für Kinderpflege, die an der geplanten Berufsschule in Grafing angesiedelt werden soll, sehen die Planer indes nicht. Die Kirchseeoner Fachakademie sei vielmehr als weiterführendes Angebot zu verstehen.

Die Johanniter können die Kosten nicht alleine stemmen

Die Pläne klingen also sehr vernünftig - doch es gibt einen großen Haken: die Finanzierung. Diese können die Johanniter als Hilfsorganisation unmöglich alleine stemmen, wie deren Vertreter nun im Gemeinderat klarstellten. "Wir haben zwar die Fachkompetenz, aber nicht die finanziellen Mittel", sagte Regionalvorstand Martin Swoboda. Eine staatliche Anerkennung nämlich - und die damit verbundene finanzielle Unterstützung durch den Freistaat - kann die Berufsschule erst nach fünf Akademiejahren erlangen, also frühestens von September 2026 an. Die Kosten für die Jahre davor muss der Träger selbst aufbringen. Diese belaufen sich über die Jahre verteilt auf insgesamt rund 1,3 Millionen Euro.

Diese Summe kann wiederum auch die Marktgemeinde Kirchseeon, die ohnehin eher knapp bei Kasse ist, nicht ohne Hilfe aufbringen. Deshalb setzt man nun auf die Unterstützung der anderen Kommunen. "Wir müssen das Thema breit streuen und möglichst viele mit ins Boot holen", sagte Bürgermeister Paeplow. Von Landrat Robert Niedergesäß (CSU) habe er bereits positive Signale erhalten, spruchreif sei jedoch noch nichts. In der kommenden Woche nun wollen Paeplow und die Johanniter in der Bürgermeister-Dienstbesprechung auch die anderen Rathauschefs von der Idee überzeugen. Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr: Soll der Plan mit Start im Herbst eingehalten werden, muss der Antrag für die Schule bis Ende Februar bei der Regierung von Oberbayern gestellt sein.

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