Brenner-Nordzulauf:"Lärmmäßig ist Kirchseeon der große Verlierer"

Brenner-Nordzulauf: Mehr als 200 Menschen machten am Donnerstagabend in Kirchseeon ihrem Ärger über den Brenner-Nordzulauf Luft.

Mehr als 200 Menschen machten am Donnerstagabend in Kirchseeon ihrem Ärger über den Brenner-Nordzulauf Luft.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mehr als 200 Menschen machen in Kirchseeon ihrem Ärger über den geplanten Brenner-Nordzulauf Luft. Die Kritiker bedienen sich einem Werk von Edvard Munch.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Mangelnde Kreativität kann man den Mitgliedern beim Kirchseeoner Arbeitskreis Bahnlärm wahrlich nicht attestieren. Für das Plakat zu ihrer Infoveranstaltung über den geplanten Brenner-Nordzulauf haben sie sich kurzerhand bei Edvard Munch bedient und dessen berühmtes Gemälde "Der Schrei" durch einen vorbeifahrenden Zug der Deutschen Bahn ergänzt. Ein recht treffendes Motiv, denn zum Schreien war auch den meisten der über 200 Anwesenden am Donnerstagabend in der ATSV-Halle zumute. Dort wurde zwar mehrere Stunden hitzig über das gigantische Schienenprojekt debattiert, eine zufriedenstellende Lösung für die Anwohner scheint derzeit aber nicht in Sicht.

Von denen waren eine ganze Menge in die Kirchseeoner Sporthalle gekommen. Offenbar waren von dem Andrang selbst die Veranstalter überrascht, denn trotz der zusätzlich aufgestellten Stühle bekamen nicht alle Interessierten einen Sitzplatz. Das Thema Brenner-Nordzulauf bewegt in der Region, deshalb waren auch Bürger aus den Nachbargemeinden von Grafing über Zorneding bis hin zu Trudering in die Marktgemeinde gekommen. Sie alle eint die Angst, nach Fertigstellung der Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel von Dauerlärm belästigt zu werden. Während die Bahn für den Abschnitt zwischen Ostermünchen und Grafing mit einer neu gebauten Trasse plant, sollen die Züge ab Kirchseeon auf den bereits vorhandenen Gleisen fahren - dank einer Taktverdichtung würde sich das Verkehrsaufkommen in den Anliegergemeinden etwa verdoppeln.

Brenner-Nordzulauf: In zahlreichen Landkreis-Gemeinden gab es bereits Proteste gegen den Brenner-Nordzulauf.

In zahlreichen Landkreis-Gemeinden gab es bereits Proteste gegen den Brenner-Nordzulauf.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch das will man sich dort nicht gefallen lassen. Gerade Kirchseeon entpuppt sich immer mehr als Vorreiter im Widerstand, was auch an Bürgermeister Jan Paeplow (CSU) liegt, der für die Anwohner kämpfen will. "Es ist wichtig, dass wir zusammenhalten", sagte er am Donnerstag im Rahmen der Infoveranstaltung. "Jetzt ist die Zeit aufzustehen und zu sagen, wir müssen etwas tun." Er selbst habe bereits zahlreiche Gespräche mit den Projektplanern der Bahn geführt, bisher ohne Erfolg. "Man merkt zwar, die Themen werden angenommen, aber unsere Argumente werden nicht so richtig gehört", so Paeplow, der deshalb einen Zusammenschluss aller betroffenen Gemeinden forderte. Auch einen Rechtsbeistand wolle man sich holen, um der Bahn entgegenzutreten.

"Lärmmäßig betrachtet ist Kirchseeon der große Verlierer"

Doch was stört die Bürger überhaupt? Das brachte Alexander Höpler vom Arbeitskreis auf den Punkt: "Wir brauchen Lärmschutz nach Neubau-Standard." Kirchseeon leide bereits jetzt schon enorm unter der Lärmbelastung, wenn der Nordzulauf wie geplant im Jahr 2040 fertig gebaut ist, werde sich der komplette Güterverkehr von Skandinavien zum Mittelmeer durch die Ebersberger Gemeinden drängen. Während aber die Bahn auf dem neuen Streckenabschnitt für adäquaten Lärmschutz sorge, gehen die Kommunen auf der Bestandstrasse leer aus. "Wir haben hier die doppelte Belastung", sagte Höpler. "Lärmmäßig betrachtet ist Kirchseeon der große Verlierer."

Brenner-Nordzulauf: Der Güterverkehr würde sich mit Fertigstellung der Trasse etwa verdoppeln - und damit auch die Lärmbelastung.

Der Güterverkehr würde sich mit Fertigstellung der Trasse etwa verdoppeln - und damit auch die Lärmbelastung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das trifft vor allem auf die Bewohner im Südosten der Marktgemeinde zu, wo die Bahn eine ganz spezielle Konstruktion plant: Um den Zugverkehr vom Neubauabschnitt auf die bestehenden Gleise umzuleiten, will der Schienenkonzern ein sogenanntes Überwerfungsbauwerk errichten - "eine Brücke für eine Eisenbahn über eine Eisenbahn", wie Alexander Höpler es nannte. Auf einer Länge von rund 400 Metern sollen die Züge dabei in einer Höhe von 8,5 Metern verkehren. Der Lärm werde dabei kaum mehr gedämpft, so Höpler, der angesichts der Bahn-Pläne einen Vergleich aus dem Straßenverkehr bemühte: "Kein Mensch würde auf die Idee kommen, eine Landstraße, die durch einen Ort geht, auf eine vierspurige Autobahn auszubauen, ohne was für den Lärmschutz zu tun."

Dauerhafter Lärm steigert das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen

Was die Konsequenzen einer dauerhaften Lärmbelastung sein können, erklärte der ehemalige Kirchseeoner Hausarzt und Freie-Wähler-Kreisrat Wilfried Seidelmann in einem Vortrag. Ein vorbeifahrender Güterzug erzeuge demnach einen Geräuschpegel von etwa 90 Dezibel. Schon ab einer dauerhaften Beschallung mit 40 Dezibel können laut Seidelmann aber Schlafstörungen auftreten. Bei der Bahn habe man auch kein Grundrauschen wie bei einer Autobahn, sondern der Geräuschpegel gehe rauf und runter. "Das ist für uns viel schlechter zu ertragen", so der pensionierte Arzt. Eine Schallkulisse ab 65 Dezibel könne schließlich das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen deutlich erhöhen. "Lärm ist keine harmlose Geschichte, er verursacht gravierende gesundheitliche Schäden. Kämpfen Sie für sich und Ihre Gesundheit", sagte Seidelmann unter dem Applaus des Publikums.

Brenner-Nordzulauf: Kirchseeon ist bereits jetzt überdurchschnittlich stark von Bahnlärm betroffen.

Kirchseeon ist bereits jetzt überdurchschnittlich stark von Bahnlärm betroffen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie man der Bahn in Sachen Lärmschutz nun aber tatsächlich Druck machen könnte, darüber referierte Arbeitskreis-Gründerin Susanne Höpler. Und ihr zufolge gibt es eigentlich nur einen Weg: "Wir haben wirklich viel erreicht, aber den Schritt Richtung Bund haben wir noch nicht getan." Höpler spielte darauf an, dass der Brenner-Nordzulauf ein Projekt ist, das direkt beim Bundes-Verkehrsministerium angesiedelt ist. Zwar habe man von Politikern auf Kommunal- und Landesebene bereits viel Unterstützung bekommen, bis nach Berlin sei man bisher aber nicht vorgedrungen. Aufgeben wolle man deshalb aber keineswegs. "Wir Bürger sind die politische Währung", sagte Susanne Höpler. "Wir müssen Druck aufbauen, damit etwas passiert." Als Beispiel nannte die Kirchseeoner Grünen-Gemeinderätin den Nachbarlandkreis Rosenheim, wo energische Proteste der Bürger dazu geführt hatten, dass ein großer Teil der Neubaustrecke unterirdisch verlaufen soll.

Die Kritiker sind keine Bahn-Gegner. Sie wollen nur in die Planungen eingebunden werden

Mit so einer Lösung könnte man sich auch in Kirchseeon anfreunden. Eine Bürgerin wollte etwa wissen, warum man nicht einfach einen Tunnel unter dem ehemaligen Bahnschwellen-Gelände im Süden der Gemeinde grabe. Darauf konnte an diesem Abend aber ebenso niemand eine Antwort geben, wie auf die weiteren Fragen aus der Bevölkerung. Etwa, ob denn angesichts der schwierigen Bodenverhältnisse im Kirchseeoner Moos die Statik der dortigen Gebäude gesichert sei, oder wie man die ganzen Lkw-Fahrten in der Gemeinde bewältigen wolle, wenn die Bagger zum Bau anrücken.

Was von diesem Abend bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Kritiker des Mega-Projekts nun noch ein Stück enger zusammengerückt sind. Dabei wolle man aber nicht als pauschale Bahn-Gegner wahrgenommen werden, wie Alexander Höpler betonte, im Gegenteil: "Die Transformation des Verkehrs hin zur Schiene ist wichtig und soll erfolgen." Eines aber würden sich die betroffenen Anwohner von der Deutschen Bahn wünschen: "Die Bürger müssen mitgenommen werden."

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