Kirchseeon:"Besonders nach Paris"

Kirchseeon: "Wer hier ist, setzt ein Zeichen gegen Terror, gegen Gewalt", sagt Wilfried Seidelmann. Er ist der Initiator der Kirchseeoner Friedensgebete.

"Wer hier ist, setzt ein Zeichen gegen Terror, gegen Gewalt", sagt Wilfried Seidelmann. Er ist der Initiator der Kirchseeoner Friedensgebete.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Imam, eine Pfarrerin, ein buddhistischer Mönch und ein Jude treffen sich in der Johanneskirche in Kirchseeon, um gemeinsam für den Frieden zu beten und ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen

Von Bastian Hosan, Kirchseeon

Es ist ein kalter Herbst. Mitten im November strahlt die Sonne zwar frühlingshaft herab und lässt den Winter zögern. Kalt ist es dennoch: Denn die Welt ist aus den Fugen geraten. Das verrät ein Blick in die Zeitungen. Terror in Paris, in Beirut. Flüchtlinge vor den Toren Europas, die immer mehr zu Mauern ausgebaut werden. Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Immer neue Nachrichten von Ertrinkenden, von Leid und Elend. Verrückt, wer da nicht beginnt zu zweifeln.

"Wer hier ist, setzt ein Zeichen gegen Terror, gegen Gewalt", sagt Wilfried Seidelmann. Er ist der Initiator der Kirchseeoner Friedensgebete. Wie in den vergangenen 13 Jahren haben sich auf seine Einladung auch am vergangenen Mittwoch wieder Vertreter aller großen Religionen in der evangelischen Johanneskirche getroffen - um gemeinsam zu beten, zu hoffen und zu zeigen, dass die Religionen gar nicht so verschieden sind. Dass ein Miteinander gelingen kann, weil sie alle ein großes Ziel haben: Frieden. "Es ist ein besonderer Tag für mich", sagt die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde Renate Zorn-Traving. Sie ist erst seit wenigen Monaten in Kirchseeon und daher zum ersten Mal beim gemeinsamen Gebet. "Dass vier Religionen gemeinsam unter einem Dach beten, ist wunderbar. Der gemeinsame Wunsch nach Frieden ist uns allen gemein. Besonders nach Paris."

Auch Idris Saglik ist gekommen, der Imam der türkischen Gemeinde Kirchseeons, und Thum Lu vom buddhistischen Tempel, der mit seiner Gemeinde ein buddhistisches Mantra betete und zu einer Meditationsübung einlud, sowie Alfred Daum vom Vorstand der liberalen jüdischen Gemeinde aus München. Besonders jetzt, besonders nach Paris. Es sind diese Anschläge am vergangenen Freitag, die dem Friedensgebet in diesem Jahr ihren traurigen aktuellen Anlass geben. Doch Anlässe hat es in der Vergangenheit eher zu viele als zu wenige gegeben. "Wir haben nach den Anschlägen in New York im Jahr 2001 begonnen", erzählt Seidelmann. Damals lag Krieg in der Luft, die USA standen kurz davor, im Irak einzumarschieren. Einen Grund, mit dem Beten für den Frieden aufzuhören, den hat es bisher nicht gegeben. Im Gegenteil: "Jetzt müssen wir erst recht weitermachen", sagt Seidelmann. Sein Ziel ist, dass die Menschen, die zu den Gebeten kommen, den Wusch nach Frieden mit nach Hause nehmen, und ihn in die Welt tragen.

Alfred Daum, Mitglied des Vorstands der liberalen jüdischen Gemeinde München, ist der erste, der zu der fast vollen Kirche spricht. Er warnt davor, Fremde aus der Gesellschaft auszuschließen. Schließlich sei jeder irgendwo fremd - und es sei eines der höchsten jüdischen Gebote gerade Fremden zu helfen. Menschen kommen nach Europa, Menschen die vor Krieg und Terror in ihrer Heimat geflohen sind. Mit einem Gedicht von Berthold Brecht erinnert er daran, dass es nicht lange her ist, da auch Deutschland ein vom Krieg verwüstetes Land war: "Häuser sollten nicht brennen. Bomber sollt man nicht kennen. Die Nacht soll für den Schlaf sein. Leben sollt keine Straf sein."

Er erinnert daran, dass die Flüchtlinge auch unsere Flüchtlinge seien, vertrieben von Waffen aus dem Westen, von unserer Jagd nach Rohstoffen, von unseren Kriegen im Nahen Osten. "Beten allein reicht nicht, wir müssen uns auch bemühen", sagt Thum Luc, der Mönch. Alle Menschen, gleich welcher Herkunft und Religion, brauchen Liebe und Frieden. Sein Kollege, Imam Idris Saglik, greift die Worte auf: "Es ist schön, was unser buddhistischer Bruder gesagt hat." Er rezitiert die erste Sure des Korans, begleitet wird er dabei von Ekremhan Tuncer, dem Sprecher von DITIB-Südbayern auf einer Bambusflöte. "Die Sure handelt von der Barmherzigkeit Allahs gegenüber allen Menschen", sagt der Imam. Sein Gebet ist ein Aufruf zur gegenseitigen Achtung: "unsere Religionen sind verschieden, wir sehen das als Gewinn."

Seidelmann, der Initiator der Friedensgebete, ist selbst das Kind von Flüchtlingen aus dem Sudetenland. "Der Krieg hat meine Familie zerrissen", sagt er. Bis heute sei er selbst davon geprägt. Dass sich in Kirchseeon vier Religionen treffen, sei noch immer etwas besonderes, "das sei gelebte Gastfreundschaft", sagt Diakon Matthias Scheidel. Auch die Musik, sagt Seidelmann, habe er selbst ausgesucht. "Das sind alles Lieder die die Religionen verbinden", besonders das letzte: die Hymne der amerikanischen Friedensbewegung, weltweit bekannt geworden durch Martin Luther King. "We shall overcome", "wir werden irgendwann siegen", sagt Seidelmann. Auch wenn es im Moment nicht so aussieht, in diesem kalten Herbst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: