Ortsentwicklung Kirchseeon:Entwürfe und Vorwürfe

Ortsentwicklung Kirchseeon: Der neue Entwurf rückt nun den historischen Wasserturm ins Zentrum. Außerdem haben die Planer zu dessen Füßen einen kleinen See angelegt.

Der neue Entwurf rückt nun den historischen Wasserturm ins Zentrum. Außerdem haben die Planer zu dessen Füßen einen kleinen See angelegt.

(Foto: ECE Work & Live/oh)

Kreisverkehre auf der Bundesstraße, ein neues Kulturzentrum und Wohnraum für Jedermann: Beim Bürgerforum über die Entwicklung des ehemaligen Bahnschwellengeländes in Kirchseeon kommen neue Ideen auf den Tisch. Doch die gefallen nicht allen.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Angst oder Hoffnung, das seien wohl die Hauptgründe, warum die Menschen heute hier seien, mutmaßte Jan Paeplow. Und der Kirchseeoner Bürgermeister (CSU) lag damit gar nicht so verkehrt, wie sich im Laufe des Abends zeigen sollte. Beim Bürgerforum zur Entwicklung des ehemaligen Bahnschwellengeländes prallten die beiden Gefühlswelten tatsächlich immer wieder aufeinander - während die Investorenseite versuchte, ihr Projekt als Chance für den Ort zu verkaufen, meldeten viele Kirchseeoner Zweifel an dem Vorhaben an. Dieses sieht vor, das Areal im Süden der Marktgemeinde zu überplanen und mit einem neuen Wohnviertel zu bebauen. Rund 1500 neue Wohnungen für 3000 Menschen könnten so entstehen, was das Projekt zu einem der größten seiner Art machen würde, die es je im Landkreis Ebersberg gegeben hat.

Ob es wirklich so kommt, sollen die Bürger im Rahmen eines Ratsentscheid im Oktober mitbestimmen können. Bis dahin wird laufend am Entwurf des Vorhabens gefeilt, es sollen Gutachten in die Wege geleitet und immer wieder die Bürger in den Prozess einbezogen werden. Jeder solle bis zum Ratsbegehren die Möglichkeit haben, sich umfassend über das Projekt zu informieren und sich eine Meinung zu bilden, sagte Bürgermeister Paeplow jüngst im Gemeinderat.

Auch beim Bürgerforum am Donnerstagabend vor etwas mehr als 300 Zuschauern - etwa die Hälfte davon per Livestream zugeschaltet - betonte der Rathauschef, wie wichtig die größtmögliche Transparenz bei so einem Vorhaben sei. Nicht zuletzt deshalb hatten Gemeinde und Investor, die Hamburger ECE Group, mehrere Arbeitskreise ins Leben gerufen, bei denen sich die Kirchseeoner aktiv an der Gestaltung und Planung des neuen Wohnquartiers beteiligen können. Die ersten Zwischenergebnisse daraus wurden nun vorgestellt.

Ortsentwicklung Kirchseeon: Vor einer gut gefüllten ATSV-Halle präsentieren Kirchseeons Bürgermeister Jan Paeplow (rechts) und Projektchef Stefan Zeiselmaier die überarbeiteten Pläne für das ehemalige Bahnschwellengelände.

Vor einer gut gefüllten ATSV-Halle präsentieren Kirchseeons Bürgermeister Jan Paeplow (rechts) und Projektchef Stefan Zeiselmaier die überarbeiteten Pläne für das ehemalige Bahnschwellengelände.

(Foto: Christian Endt)

Tatsächlich hat sich der aktuelle Plan im Vergleich zur ursprünglichen Idee leicht verändert. So soll der historische Wasserturm, der neben der alten Kantine das einzig verbliebe Gebäude auf dem Areal ist, noch mehr ins Zentrum gerückt werden. Zwei große Grünstreifen sollen nun den Ortsteil durchziehen, die Platz für Erholung, Sport und Freizeit bieten sollen, wie Rainer Hofmann erklärte. "Der neue Ortsteil kann durch den Wasserturm geprägt werden", so der Stadtplaner. Wichtig sei aber, dass hier kein zweites Ortszentrum entstehe, ein solches habe die Gemeinde ja bereits. "Das Alte und das Neue sollen verbunden werden." Dazu soll die Infrastruktur, geplant sind ein Supermarkt, ein Drogeriemarkt und ein, zwei weitere Geschäfte, weiter in Richtung Bahnstrecke und damit an den alten Ortskern heranrücken.

Die Kirchseeoner sollen ausreichend Zeit bekommen, die Neubürger kennenzulernen

Auch eine neue Schule und zwei Kitas sind auf dem Gelände geplant - die auch dringend nötig sein dürften, angesichts des zu erwartenden Zuzugs. Dieser komme aber nicht von heute auf morgen, wie ECE-Architekt Valentin Hadelich zu beruhigen versuchte. Man plane mit einem moderaten Wachstum von drei bis fünf Prozent pro Jahr. In Zahlen ausgedrückt sind das zwischen 400 und 500 neue Einwohner. "Man hat Zeit, die Menschen kennenzulernen", so Hadelich in Richtung des Kirchseeoner Publikums - bei dem natürlich die Frage aufkam, was es selbst eigentlich von dem neuen Ortsteil habe. Dieser, so der Architekt, biete durch seine Angebote für Vereine und im Freizeitbereich einen Mehrwert, der auch über das Quartier hinausgehe. Ziel sei es deshalb, Mitte des Jahres einen Plan zu haben, "von dem wir vielleicht alle sagen: Klasse, so wollen wir das".

Ein entscheidender Knackpunkt dafür ist aber, dass das erheblich mit Teerölen und Schwermetallen belastete Areal überhaupt in einen bebaubaren Zustand gebracht werden kann. Dass das zu schaffen ist, davon ist Altlasten-Sachverständiger Christian Kafka allerdings überzeugt. Es gebe zwei Schwerpunkte auf dem Gelände, die auch nach der Bebauung versiegelt bleiben müssten, der Rest des Areals sei aber wieder in Schuss zu bringen. "Wir decken jeden Krümel da draußen auf", versprach Kafka. Bereits im März sollen 60 Bohrungen stattfinden, bei denen rund 1000 Proben entnommen werden. Die Ergebnisse werden in ein Gutachten fließen, das final Anfang nächsten Jahres vorliegen soll. Damit sei die Altlastensanierung aber nicht abgeschlossen, auch während der Bauphase werde man stets das entnommene Erdreich im Blick behalten. "Ich habe noch nie ein so umfangreiches Untersuchungskonzept aufgestellt", so der Ingenieur.

Umfangreich sind auch bereits die Überlegungen, wie man den zusätzlichen Verkehr durch die ohnehin bereits arg überlastete Marktgemeinde steuern könnte, wenn 3000 zusätzliche Einwohner hinzukommen. Dazu haben sich die Verkehrsplaner Klaus Bockermann und Jennifer Haugk zusammen mit den Mitgliedern des entsprechenden Arbeitskreises ihre Gedanken gemacht - und diese muten im ersten Moment etwas überraschend an. So könne man etwa über Tempo 30 auf der Bundesstraße erreichen, dass der Verkehr gleichmäßiger fließe und es weniger Staus gebe. Auch mehrere Kreisverkehre - etwa bei der Tankstelle sowie bei den Einmündungen zur Werk- und Münchener Straße - seien denkbar. Was für erstauntes Raunen im Publikum sorgte, halten die Verkehrsplaner jedoch für durchaus umsetzbar. Im Gegensatz jedenfalls zu einer Südumfahrung, die im Rahmen der Planung keine Rolle spielen soll.

Ortsentwicklung Kirchseeon: Der neue Kirchseeoner Ortsteil soll ein Erholungsgebiet für die ganze Gemeinde werden.

Der neue Kirchseeoner Ortsteil soll ein Erholungsgebiet für die ganze Gemeinde werden.

(Foto: ECE Work & Live/oh)

Obwohl das Bemühen auf Seite der Investoren durchaus vorhanden ist, gelang es der ECE Group bisher noch nicht, alle im Publikum von ihrem Vorhaben zu überzeugen - was sich auch in den überwiegend kritischen Wortmeldungen widerspiegelte. So bemängelt ein Zuhörer etwa, dass es kritische Meinungen in den Arbeitskreisen schwer hätten und diese anschließend auch nicht in den Protokollen auftauchen würden. Moderator Andreas Jacob warf er sogar vor, "eindeutig parteiisch" zu sein.

Andere Fragen waren zwar weniger kritisch, aber dennoch über alle Themengebiete gestreut. So wollte ein Bürger wissen, wie man denn die Wildtiere im Wald südlich des neuen Wohnquartiers schützen wollen, wenn dort bald 3000 Menschen mit ihren Hunden spazieren gingen. Derweil äußerte eine Bürgerin Bedenken, dass der Markt auch wirtschaftlich von dem Vorhaben profitieren kann. "Ich glaube, dass das Projekt nicht das ist, was Kirchseeon braucht", sagte sie in Richtung Bürgermeister Jan Paeplow. Der versicherte jedoch, dass er mindestens eine schwarze Null anstrebe. "Wir werden nicht blauäugig in irgendwelche Projekte reinrennen, die dem Markt in irgendeiner Art und Weise schaden", so der Rathauschef.

Ortsentwicklung Kirchseeon: Der Fokus beim Verkehr soll auf Radfahrern und Fußgängern liegen. Autos spielen den neuen Entwürfen zufolge nur eine untergeordnete Rolle.

Der Fokus beim Verkehr soll auf Radfahrern und Fußgängern liegen. Autos spielen den neuen Entwürfen zufolge nur eine untergeordnete Rolle.

(Foto: ECE Work & Live/oh)

Welche Auswirkung die mögliche Bebauung tatsächlich auf den Ort haben wird, zeigt sich ohnehin erst in den kommenden zehn Jahren - bis 2032 reicht nämlich eine erste grobe Zeitachse, welche die ECE Group für die Besiedlung des Bahnschwellengeländes erstellt hat. In naher Zukunft steht dagegen am 16. März ein weiterer Arbeitskreis an, der sich vor allem mit Themen rund um den Verkehr beschäftigen wird. Auch das Bürgerforum soll nicht das letzte seiner Art gewesen sein, von diesem Format soll es noch mindestens zwei Fortsetzungen geben, ehe die Kirchseeoner im Oktober an die Wahlurne treten und über die Zukunft ihrer Marktgemeinde abstimmen werden.

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