Ortsentwicklung in Kirchseeon:Wollt ihr ein neues Quartier?

Ortsentwicklung in Kirchseeon: Hier könnte in Kirchseeon ein neues Zentrum mit Wohnungen, Geschäften und Restaurants entstehen: Das ehemalige Bahnschwellenwerk mit seinem Wahrzeichen, dem roten Turm.

Hier könnte in Kirchseeon ein neues Zentrum mit Wohnungen, Geschäften und Restaurants entstehen: Das ehemalige Bahnschwellenwerk mit seinem Wahrzeichen, dem roten Turm.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Kirchseeon soll es einen Bürgerentscheid zur Bebauung des ehemaligen Bahnschwellen-Geländes geben. Der Bürgermeister jedenfalls rechnet damit, dass der Gemeinderat eine solche öffentliche Abstimmung befürworten wird.

Von Anja Blum, Kirchseeon

Unfassbar vieles zu bedenken und abzuwägen gilt es bei einem Mega-Projekt wie der städtebaulichen Entwicklung des ehemaligen Bahnschwellen-Geländes in Kirchseeon. Denn die Folgen wären so gewaltig wie vielgestaltig. Vermutlich auch deshalb hatte Bürgermeister Jan Paeplow (CSU) immer betont, in dieser Sache größtmögliche Transparenz und Bürgerbeteiligung walten lassen zu wollen. Nun geht er diesen Weg konsequent weiter: Paeplow kündigte an, ein entsprechendes Ratsbegehren auf den Weg zu bringen. Im Zuge der Landtagswahl 2023 sollen die Kirchseeoner Bürger demnach eine wegweisende Entscheidung für ihre Gemeinde treffen: Ob auf dem brach liegenden Areal südlich der Bahnlinie ein komplett neues Viertel entstehen soll - oder eben nicht.

Bei einer ersten Infoveranstaltung äußerten viele Kirchseeoner Bedenken

Ein ganzes "Quartier" wollen die Investoren der Hamburger ECE Group in den kommenden Jahren im Kirchseeoner Süden schaffen. Es ist eines der größten Wohnbauprojekte, die es im Landkreis Ebersberg je gab. In der Mitte des 16,5 Hektar großen Areals, rund um den historischen Wasserturm, soll ein neuer Markplatz entstehen. Geschäfte, Restaurants und ein kleiner See mit Steg könnten dort zum Verweilen einladen. Drumherum sind im Plan mehrgeschossige Wohnhäuser für verschiedene Bedürfnisse eingezeichnet: Neben dem klassischen Eigentumsmarkt sollen Wohnungen für Senioren oder Studenten geschaffen werden, damit auch tagsüber buntes Treiben herrscht im neuen Kirchseeoner Zentrum. Insgesamt könnten dort einmal bis zu 3000 Menschen leben. Teil des Entwurfs sind auch zwei Kitas und eine Grundschule, sogar ein neues Rathaus wäre denkbar.

Ortsentwicklung in Kirchseeon: Die Pläne des Investors muten idyllisch an - wecken aber auch allerhand Sorgen und Ängste.

Die Pläne des Investors muten idyllisch an - wecken aber auch allerhand Sorgen und Ängste.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Entsprechend dieser Ausmaße machen sich bei den Bürgern in der Marktgemeinde aber auch Sorgen und Ängste breit. Bei einer ersten Infoveranstaltung in der voll besetzten ATSV-Halle äußerten viele ihre Bedenken über die geplante Entwicklung, die das Ortsbild von Kirchseeon grundlegend verändern könnte. Wie viel Wachstum ist verträglich? Und kann die Gemeinde die dafür nötige Infrastruktur bereitstellen? Weitere Fragen drehten sich um die verkehrliche Anbindung und um den Bauprozess als solchen, der über lange Zeit viel Lärm und Dreck verursachen dürfte. Ungeklärt ist bislang zudem die Sanierung des mit Teerölen, Quecksilber und sonstigen giftigen Materialien belasteten Grundstücks, weshalb wohl viele Kirchseeoner Sicherheitsbedenken haben.

Das Interesse aus der Bevölkerung jedenfalls ist groß. Die Gemeinde hatte dazu aufgerufen, sich an der Entwicklung des ehemaligen Bahnschwellen-Geländes aktiv zu beteiligen, und die Resonanz ist beachtlich: Laut Peaplow werden mehr als 50 Menschen in einer von mehreren Arbeitsgruppen mitwirken. Diese sollen sich verschiedenen Themengebieten widmen - neben dem Verkehr sind das unter anderem die Bereiche Soziales und Gesellschaft, Städtebau oder Umwelt und Nachhaltigkeit. Als Bindeglied zwischen diesen Teams und dem Rathaus wird eine Koordinierungsgruppe aus Vertretern von Verwaltung, Gemeinderat und Investor fungieren, die das Projekt beratend begleitet.

Ortsentwicklung in Kirchseeon: Mehr als 16 Hektar Brachland stehen in Kirchseeon zur Verfügung. Hier eine Luftaufnahme aus dem Mai 2000, teils noch mit Hallenbebauung.

Mehr als 16 Hektar Brachland stehen in Kirchseeon zur Verfügung. Hier eine Luftaufnahme aus dem Mai 2000, teils noch mit Hallenbebauung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Ratsbegehren bedeutet, dass ein Gemeinderat beschließt, über eine bestimmte Angelegenheit einen Bürgerentscheid stattfinden zu lassen. Diese Entscheidung soll in Kirchseeon noch in diesem Jahr fallen, und der Bürgermeister geht davon aus, dass sie positiv ausfallen wird. "Wir sollten dieses große Thema offensiv angehen", sagt er, "und die Landtagswahlen sind für einen Bürgerentscheid ein sehr guter Termin". Erstens, weil man da mit einer hohen Beteiligung, also einem repräsentativen Ergebnis rechnen könne, und zweitens, weil bis dahin noch ein Jahr Zeit sei. "Ausreichend Zeit also, in der man die vielen Fragen klären, sich informieren und mitreden kann." Dementsprechend kündigt Paeplow an, stets alle Informationen über das laufende Projekt auf der Internetseite der Marktgemeinde bereitzustellen, zudem solle der aktuelle Sachstand ein fester Tagesordnungspunkt künftiger Gemeinderatssitzungen sein.

Komfortable Situation: "Das Gelände gehört zwar dem Investor, aber die Planungshoheit liegt bei der Gemeinde"

Für Paeplow jedenfalls liegt in der momentanen Situation vor allem eine große Chance. Wohnraum werde überall dringend benötigt, und da sei es doch besser, ein Brachland dafür zu nutzen als bislang intakte Landschaft. "Außerdem sind wir in einer komfortablen Situation: Das Gelände gehört zwar dem Investor, aber die Planungshoheit liegt bei der Gemeinde." Insofern sei tatsächlich noch alles offen - und die ECE Group mit dieser Investition in Kirchseeon ein großes Risiko eingegangen. Doch ein frühzeitiger Bürgerentscheid sei allemal besser als einer kurz vor knapp. "So bekommen sie Planungssicherheit".

"Wir wussten, worauf wir uns da einlassen, auch bezüglich der ganzen Altlasten", sagt Stefan Zeiselmaier, der bei ECE für die Entwicklung des Geländes zuständig ist. Doch gerade weil es brachliege, sei das Areal für Wohnbebauung ideal. Und den Prozess der öffentlichen Beteiligung trage man als Investor absolut mit. "Wir wollen die Ideen und Bedenken der Menschen aufnehmen und berücksichtigen", so Zeiselmaier, "und ich habe da schon viele tolle Vorschläge gehört". Er jedenfalls sei sich sicher, dass die Kirchseeoner am Ende bei dem Mega-Projekt mitzögen.

Sollte es in Kirchseeon im Herbst 2023 tatsächlich zu einem Bürgerentscheid über die Bebauung des ehemaligen Bahnschwellen-Geländes kommen, wird die Beteiligung an der Abstimmung vermutlich immens sein. Ihr Ausgang allerdings, der ist noch gänzlich ungewiss.

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