Süddeutsche Zeitung

Ärztemangel:Kirchseeon droht der Ärztenotstand

Die Hälfte der acht Kirchseeoner Hausärzte verlegt ihren Sitz oder hört auf. Einen Nachfolger hat bislang nur einer von ihnen.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Krank zu sein ist zwar nicht angenehm, wenn die medizinische Versorgung stimmt, lässt sich das Leiden aber häufig recht schnell in den Griff bekommen. Dafür braucht es allerdings Ärzte, die ausreichend Kapazitäten haben, um sich angemessen um ihre Patienten kümmern zu können. Genau das könnte zu einem ernsten Problem in Kirchseeon werden, denn gleich mehrere Mediziner werden dort in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen oder ihre Praxis verlegen. Nur bei einem steht ein Nachfolger bereit.

Die rund 11 000 Einwohner der Marktgemeinde haben derzeit die Auswahl zwischen sechs allgemeinmedizinischen Praxen. Eine davon wird schon im kommenden Monat definitiv wegfallen. Dann, Mitte Oktober, werden Johann und Carola Lämmel ihre Praxis von Kirchseeon nach Ebersberg verlegen. Man habe in der Kreisstadt hervorragende Räume mit entsprechender Infrastruktur gefunden, sagt Johann Lämmel. Zwar habe er sich auch in der Marktgemeinde umgeschaut, dort aber nichts Adäquates auftreiben können.

Mit dem Umzug der Praxis Lämmel gehen Kirchseeon noch in diesem Jahr also zwei Arztsitze verloren - und diese können nicht ohne weiteres ersetzt werden. Für die Verteilung der Mediziner ist die Kassenärztlich Vereinigung zuständig, die sich dabei an ganz konkreten Vorgaben orientiert. Entscheidend ist vor allem der Versorgungsgrad im Planungsbereich. Im Fall von Kirchseeon ist es also nicht relevant, wie viele Allgemeinmediziner ihren Sitz in der Marktgemeinde haben, sondern wie viele es im kompletten Planungsbereich Ebersberg/Grafing gibt, der im Grunde genommen der südlichen Hälfte des Landkreises entspricht.

Und hier ist der Bedarf so gut wie gedeckt. Wie aus den Zahlen der Kassenärztlich Vereinigung hervorgeht, liegt der hausärztliche Versorgungsgrad bei 109,7 Prozent. Ab 110 Prozent wird für den Planungsbereich ein Zulassungsstopp verhängt. In Ärzte umgerechnet bedeutet das, dass in der gesamten für Kirchseeon relevanten Region lediglich eine halbe Hausarztstelle unbesetzt ist.

Lediglich eine halbe Hausarztstelle ist im südlichen Landkreis noch unbesetzt

Auch durch den Umzug der Praxis Lämmel ändert sich an der Situation nichts, denn die beiden Arztsitze wandern dann einfach von Kirchseeon nach Ebersberg - und da beide Orte im selben Planungsbereich liegen, müssen sie auch nicht nachbesetzt werden. Der Gemeinde sind in diesem Fall die Hände gebunden. Anders stellt es sich dagegen dar, wenn ein Arzt in den Ruhestand geht. In diesem Fall können die vakant gewordenen Sitze nachbesetzt werden - sofern sich ein Nachfolger findet, der bereit ist, die Praxis zu übernehmen.

Das ist zumindest Wilfried Seidelmann nach zweijähriger Suche gelungen. Der 66-Jährige arbeitet seit mehr als 30 Jahren zusammen mit seiner Frau in Kirchseeon. Zum Jahresende werden beide in den Ruhestand gehen. "Wir haben großes Glück gehabt", sagt Seidelmann darüber, dass er einen Arzt finden konnte, der die offen werdende Stelle übernimmt. Die Suche sei sehr schwierig gewesen, da auf etwa 15 Arztpraxen lediglich ein Bewerber komme. "Und dann muss es natürlich auch menschlich passen", so Seidelmann.

Ganz so konkret sind die Pläne von Dieter Jeschek noch nicht. Zwar geht auch er laut eigener Aussage "Richtung Rentenalter", in die konkrete Nachfolgersuche sei er allerdings noch nicht eingestiegen. Wenngleich der 67-Jährige ebenfalls weiß: "Damit kann man im Grunde nicht früh genug anfangen." Zwar habe er derzeit noch keine Anzeigen oder ähnliches geschaltet, er halte die Ohren aber bereits offen. Wie lange er seine Praxis in der Marktgemeinde noch betreiben werde, könne er im Moment noch nicht abschätzen. "Man muss ja auch schauen, wie es um die eigenen Gesundheit steht", so Jeschek.

Sowohl Jeschek als auch Seidelmann haben das Rentenalter bereits überschritten, praktizieren im Moment aber immer noch. "Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei, sondern schlichtweg, um die Versorgung aufrecht zu erhalten", sagt Wilfried Seidelmann. Man trage als Arzt schließlich auch eine Verantwortung den Patienten gegenüber. Verantwortung ihren Mitbürgern gegenüber haben vor allem die Kirchseeoner Gemeinderäte, denen der drohende Ärzterückgang schon einiges an Kopfzerbrechen beschert hat. Fraktionsübergreifend hat man sich zwar bereits dafür ausgesprochen, den scheidenden Medizinern bei der Nachfolgersuche behilflich zu sein, konkrete Pläne gibt es dafür bislang aber noch nicht.

Und auch im Bereich der fachmedizinischen Versorgung musste man jüngst einen Rückschlag einstecken. Anfang August hatte das Gremium einen Experten vom Kommunalbüro für ärztliche Versorgung, dem Ansprechpartner für Gemeinden in Sachen Ärzteversorgung, zu Gast - und kassierte eine klare Absage: In Kirchseeon wird es auch weiterhin keinen Facharzt geben. Hier ist der Versorgungsgrad im Planungsbereich nämlich bereits überschritten, die Marktgemeinde hat gegenüber anderen Landkreiskommunen das Nachsehen. Und nun droht sich auch noch die Situation bei den Hausärzten deutlich zu verschlechtern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4586014
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.09.2019/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.