Im Aschenbecher qualmen Zigarettenstummel, die Flascherl am Tisch sind halb voll. Oder halb leer? Schon die Frage ist verkehrt. Weil selbst, wenn der letzte Tropfen getrunken ist, wissen sie hier: Wo diese Bierflasche herkam, gibt es noch viel, viel mehr.
Irgendwie geht es hier schon weiter. Mit ihrem Stammtisch, ihren Gesprächen, und ihrem Bier. Davon handelt der Film des Steinhöringers Christian Lerch, der am Donnerstag in ausgewählten Kinos anläuft. "B 12 - gestorben wird im nächsten Leben" ist ein Dokumentarfilm, der an einer stinknormalen Raststätte irgendwo auf dem Land entstand. Und doch ist der Film einer der wohl außergewöhnlichsten bayerischen Filme, der je auf Leinwand zu sehen war. Vor allem, weil die Menschen darin viel von sich preisgeben. Weil sie in Situationen zu sehen sind, wo andere wohl gerne alleine wären. Die Frage ist, wie es den Protagonisten damit nun geht.
Wer auf dem Weg von Hohenlinden nach Ebersberg oder München die Bundesstraße B 12 nimmt und - warum auch immer - an dem Schild mit dem Lastwagen und der Aufschrift "Rasthaus B 12" aussteigt, der würde als letztes vermuten, dass hier ein Kinofilm entstanden ist. Hier, wo sie schon um 11 Uhr sitzen, Flascherl leeren, Aschenbecher füllen und Geschichten erzählen. Sieben, acht Männer, die meisten um die 70 Jahre alt. Ein Bild, das man früher noch öfter sah, in Vereinsheimen, Würstlständen oder Wirtshäusern. Kleinode, die immer weniger werden. Deswegen lohnt es sich, zweimal hinzuschauen. Oder wie Lerch: hundert Mal.
Die meisten Menschen gehen an solchen Orten vorbei. Christian Lerch aus Steinhöring ist stehen geblieben. Damals, 2012. An dieser, wie er sagt "Hingeworfenheit neben der Straße". Der erste Eindruck kann hier kaum anders sein. Weil es Zeit braucht, ehe sich ein scheinbar geschlossener Ort als Mikrokosmos "voller Offenheit und Vielfalt" entpuppt. Weil hier Bauern aus der Gegend herkommen, Lkw-Fahrer auf dem Weg nach Tschechien und irgendwelche anderen Menschen, "die überhaupt nicht hierherwollen" - aber vor München noch mal biesln müssen. Lerch hat einen Ort entdeckt, wo unterschiedlichste Lebensentwürfe aufeinander treffen, ohne dass man dies arrangieren müsste.
Es ist der Freitag vor dem Kinostart, die Sonne brennt, Lerch sitzt in Jeans und T-Shirt mit am Tisch, wo er schon so oft gesessen hat, wenn sie gedreht und geredet haben, fast vier Jahre lang, Hunderte Stunden an Material. Der 52-Jährige ist in der bayerischen Filmszene bekannt, er war Co-Autor des Krachers "Wer früher stirbt ist länger tot". Am Tisch interessiert das aber grade weniger, es geht jetzt um den früheren Spezl eines Stammtischbruders, den sie den "Zuckerhansi" riefen, weil er sich die Haare mit gezuckertem Wasser nach hinten gegelt hat. Die Männer erzählen, Lerch hört zu. "Ich hab meistens nur g'redt, wenn mich wer was g'fragt hat."
Mane: "Das letzte Mal war ich vor 27 Jahren im Kino"
Im dem 90-minütigen Film ist Lerch nicht zu sehen und kaum zu hören. Es geht ja auch nicht um ihn, sondern um das Leben von Mane, dem Wirt, und dessen Vater Lenz. Der Vorname reicht - im echten Leben wie im Film. Lenz, 90, Früchtetee, sitzt neben Mane, 44, Augustiner-Bier. "Man muss da schon aufpassen, dass wir nicht schlecht dastehen", sagt er. Weil er sich mit Leberkas auskennt, aber nicht mit der Leinwand. "Das letzte Mal war ich vor 27 Jahren im Kino", sagt Mane. Dann erst wieder bei der Premiere von "B 12" auf dem Münchner Dokumentarfilmfestival vor einigen Wochen. "Ich war ein bisserl aufgeregt, wie das so rüberkommt" sagt er und nimmt einen Schluck. Sein Papa sitzt mit Krücken daneben, das Gesicht wie fast immer zur Trauermiene verzogen.
Dieses Bild zeigt auch die Doku: den Wirt biertrinkend, den Papa jammernd, weil der Schlaganfall sein Leben so verändert hat. Deswegen ist Lerchs Film manchmal trostlos bis traurig, manchmal grotesk bis unterhaltsam. Solche Szenen machen den Film unvergleichlich echt. Sie machen ihn aber auch zum Wagnis für den Regisseur und die Hauptfiguren.
Beim Filmfest in München gab es für Lerch Applaus. Nah an den Menschen dran und trotzdem nicht voyeuristisch - so das Urteil vieler Gäste. Die Frage ist, wie es Mane, Lenz und die anderen empfinden, dass ihre Gesichter nun auf Bierfuizln gedruckt sind. Dass jetzt jeder zuschauen kann, wie sich Lenz in seinem Bett verkriecht und den Tod herbeisehnt. Oder wenn sich der Franz von ihm anhören muss: "Jetzt hoit dei Fotzn, du gscherter Deife!"
Franz kommt aus Karlsdorf, auch er sitzt mit am Tisch, einen Werbe-Anstecker zum Film am Hemd. Der 85-Jährige schaut auch in der Realität stets so, als würde er gleich einen Witz erzählen. "Der Christian war nicht verkehrt", sagt er. "Mir war die Kamera auch wurscht", sagt sein Sitznachbar Konrad. Der 67-jährige Hohenlindener erzählt im Film lauter Anekdoten, wie einstige Bekannte zu Tode kamen. Sein Bier ist noch so gut wie voll, weil er dauernd spricht.
Es ist also ein Tag wie jeder andere hier. Draußen rauschen Laster vorbei. Manchmal hupt einer, manchmal biegt einer ab auf den Rastplatz. "So sind wir halt", sagt Mane. Dass es darüber jetzt einen Film gibt? Er nimmt den letzten Zug aus seiner Flasche und sagt: "Des basst scho."
Am 19. Juli startet "B 12 - Gestorben wird im nächsten Leben" im Grafinger Capitol, am Freitag, 3. August, gibt es dort eine Vorstellung mit Christian Lerch. Ebenfalls anwesend ist der Regisseur am Samstag, 21. Juli, beim Open-Air-Kino am Stoa bei Edling, im Wasserburger Kino Utopia läuft der Film am Sonntag, 22 Juli, an.