Kinder im Landkreis Ebersberg:Die Sorge bleibt

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Bislang verzeichnet das Kreisjugendamt nicht mehr Meldungen zur Kindeswohlgefährdung als bisher. Ob es diese während der Schließungen von Schulen und Kitas womöglich doch häufiger gab, lässt sich daraus aber nicht ablesen

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Die Befürchtung bei Expertinnen und Experten war groß, dass mit der Corona-bedingten Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen die Fälle, in denen das Kindeswohl gefährdet ist, mehr werden - auch beim Ebersberger Kreisjugendamt war man sich dieser Gefahr bewusst. "Natürlich hatten wir Angst, dass uns ein Kind durchrutscht", sagte Christian Salberg, Leiter des Kreisjugendamts, während der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Wenn die Kinder nur noch zu Hause in den Familien sind, kein Kontakt mehr zu Lehr- oder Erziehungskräften, Sportlehrerinnen oder Musiklehrern stattfinden kann, dann fehlen wichtige Instanzen, um eine mögliche häusliche Gefahrenlage für ein Kind zu melden. Wie Salberg darlegte, gibt es derzeit jedoch keine Zunahme an Meldungen zur Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt im Vergleich zu den Vorjahren. Salberg warnte aber vor einem Fehlschluss: Aus den Zahlen abzuleiten, dass es tatsächlich zu keinem Anstieg an Kindeswohlgefährdung gekommen ist, sei falsch - die Lage ist durchaus knifflig.

Die Einschränkungen der persönlichen Kontakts, um damit die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, hat auch die Arbeit im Kreisjugendamt verändert, wie Salberg den Ausschussmitgliedern erklärte: Einige Familien wurden zumindest teilweise mittels Telefonaten, E-Mail, Videokonferenzen oder anderen Messenger-Diensten betreut. Dieses Prinzip habe auch bei den zahlreichen Trägern der freien Jugendhilfe, mit denen das Jugendamt zusammenarbeitet, gegolten. Bei akuten Krisensituationen führten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreisjugendamts sowie der Träger der freien Jugendhilfe aber weiterhin Hausbesuche durch, um sich ein klares Bild der Lage machen zu können - dann ausgerüstet mit entsprechender Schutzkleidung.

Das funktionierte im Grunde genommen ganz gut, wie aus Salbergs Schilderungen deutlich wurde. Dennoch sagte er klar: "Kinder- und Jugendhilfe lebt vom direkten Kontakt." Sollten die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Einschränkungen noch über einen deutlich längeren Zeitraum andauern, "dann müssen wir uns etwas einfallen lassen", so Salberg weiter. Langfristig leide die Arbeit qualitativ unter einer Betreuung, die zu einem großen Teil auf digitalen anstelle von persönlichen Wegen stattfindet.

Ein Blick auf die Zahlen der Meldungen einer Kindeswohlgefährdung lässt bislang zumindest noch keinen Trend nach oben erkennen. Im ersten Halbjahr 2018 gab es insgesamt 70 Meldungen, im gleichen Zeitraum 2019 waren es 58 und in diesem Jahr 56. Besieht man die Zahlen pro Monat für das laufende Jahr, lässt sich für März und April, als in Bayern noch sehr strenge Kontaktbeschränkungen galten, sogar ein leichter Rückgang der Meldungen erkennen: Sechs beziehungsweise zwei gingen beim Jugendamt ein. In den Monaten davor waren es jeweils zwölf. Im Mai gab es elf Meldungen, im Juni fünf und in den ersten drei Juli-Wochen acht. Also: "Keine signifikante Steigerung", so Salberg.

Und dennoch ist das kein Grund zum Aufatmen, wie dem weiteren Verlauf der Sitzung zu entnehmen war. Franz Greithanner, beschließendes Ausschussmitglied der Grünen, wies darauf hin, dass Meldungen von Seiten der Lehrer wegen der geschlossenen Schulen "praktisch zwei Monate ausgefallen" seien. Seine Schlussfolgerung daraus: "Nur weil die Zahl der Meldungen nicht gestiegen ist, heißt das nicht, dass die Zahl der Fälle nicht gestiegen ist."

Dem stimmte Salbergs Stellvertreter, Florian Robida, zu: "Ja, da fehlt etwas." Das Problem: Die Familie steht vor dem Gesetz unter einem besonderen Schutz - einfach so, sozusagen auf Verdacht, dürfe das Personal der Jugendämter nicht in die Familien gehen. Eine vorliegende Meldung auf Kindeswohlgefährdung ist die notwendige Bedingung dafür. Wenn also etwa Schulen geschlossen haben, die Kinder dadurch kaum Kontakte außerhalb der eigenen Familie haben und somit die Möglichkeiten eingeschränkt sind, dass jemandem eine Gefährdung auffallen könnte und er oder sie diese meldet - dann seien dem Jugendamt die Hände gebunden. "Das ist das Quäntchen Unbehagen, das uns umtreibt", ergänzte Salberg.

Außerdem wies er darauf hin, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Bewältigung der Corona-Pandemie bislang mit insgesamt 3468 Arbeitsstunden in der Führungsgruppe Katastrophenschutz engagiert haben - zusätzlich zu den originären Aufgaben im Jugendamt. Das sei auch der Grund, weshalb einige planerische Aufgaben noch nicht wie beabsichtigt umgesetzt werden konnten. Das soll im Laufe des Jahres nachgeholt werden.

Den beiden Fachmännern zufolge bleibt abzuwarten, ob sich mit der geplanten Rückkehr zum Regelbetrieb in Kitas und Schulen nicht doch noch Probleme zeigen werden, die während der Frühjahrsmonate Raum hatten, zu entstehen. Mit Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen bestehe aber zum Beispiel durch die Jugendsozialarbeit an Schulen oder der Kindertagesstättenaufsicht eine gute Zusammenarbeit und damit verbunden die Hoffnung, von schwierigen Entwicklungen frühzeitig zu erfahren und dementsprechend eingreifen zu können. "Mein Credo bleibt: Wir bleiben dran", so Salberg.

© SZ vom 03.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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