Katholische Kirche:Gläubig und ungehorsam

"Kirchenrebell" Helmut Schüller über seine Reform-Forderungen

Christina Schönstetter

Laute Stimmen, Streitpunkte, bei denen es die Redner nicht mehr in ihren Sesseln hält, Argumente, die große Gestik verlangen - wenn ein katholischer Pfarrer in einer Diskussionsrunde zum Ungehorsam gegen die eigene Kirche aufruft, kann es hitzig werden. Muss es aber nicht. Ungewöhnlich besonnen ging es in Vaterstetten zu, als der österreichische "Kirchenrebell" Pfarrer Helmut Schüller seine Forderungen nach einer Reform der katholischen Kirche erklärte. Wer von dem Gesprächsabend Polemik und plakative Thesen erwartete, wurde enttäuscht, für alle anderen lieferte der Theologe eine sachliche, aber nichtsdestoweniger heikle Auseinandersetzung mit den Prinzipien der katholischen Kirche.

Heikel sind die Forderungen nach Veränderung bereits per se: Es geht um Grundsätze der Kirche, deren Unantastbarkeit für viele Gesetz ist. Und nicht zuletzt um das System an sich, die kontrollfreie "absolute Monarchie", wie Schüller sagt. Helmut Schüller ist Mitbegründer der "Pfarrer-Initiative", die sich der Probleme in der katholischen Kirche aktiv annimmt. Weltweit wurde die 2006 gegründete Gruppe durch ihre Reform-Festschrift "Aufruf zu Ungehorsam" bekannt. Im Humboldt-Gymnasium in Vaterstetten stellte sich Helmut Schüller vergangenen Montag zunächst den Fragen des Theologen Norbert Göttler, dann denen des Publikums. Über 100 Interessierte waren gekommen, darunter auch Kirchenvertreter wie Dekanatsvorstand Josef Riedel. Die Zuhörer selbst stellten sich als eine Art Spiegel der Situation in der Kirche dar: "Ich möchte ja niemandem zu nahe treten", spricht es Schüller selbst direkt an "aber hier ist auch nicht gerade die Jugend vertreten."

Helmut Schüller spricht locker von den schweren Themen, Scherze und sein rhetorisches Geschick lassen vergessen, wie bitterernst die Sache wirklich ist. Die Odyssee, die ihn und seine Pfarrer-Kollegen von den österreichischen Bischöfen zur Glaubenskongregation nach Rom und wieder zurück führte und die völlig ergebnislos verlief, erzählt er amüsant und mit Anekdoten gespickt. Unterhaltsam ist auch Schüllers Erzählung, wie es erst zur weltweiten Aufmerksamkeit für den Aufruf der Pfarrer kam. Das schreibt er der erzkatholischen Internetplattform gloria.tv zu: "Die waren so empört über unseren Text, dass sie ihn an alle Medien geschickt haben. Und dann ist es richtig losgegangen."

Ein bisschen klingt all das wie Abenteuer, wären da nicht die unschönen Konsequenzen, die der Widerstand für Schüller selbst bringt. Nicht nur, dass die Reformbewegung bislang keine greifbaren Ergebnisse hervorgebracht hat, im November letzten Jahres wurde Pfarrer Schüller der Ehrentitel "Monsignore" aberkannt. Erst da wird klar, wie viel Mut die Reform-Initiative tatsächlich erfordert. Einen Mut, den viele nicht haben: Was zu tun sei, wenn Gemeindemitglieder nicht öffentlich zu ihrer Meinung stünden, will ein Zuhörer eine praktische Empfehlung von Pfarrer Schüller. "Der Wiener sagt: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben", antwortet der Theologe humorvoll. Eine Lösung für zaghafte Gläubige hat er allerdings nicht. Er beschwört nur sein eigenes Credo: die Wirkung eines klaren Wortes. "Eine ganz klare Rede hat eine Authentizität, die nicht so einfach vergeht", sagt Schüller. Deshalb würde sie auch oft von Kirchenvertretern entgegen mancher Erwartung akzeptiert.

In Vaterstetten steht das Publikum weitgehend hinter dem Pfarrer. Spontaner Applaus, vereinzelte "Genau!"-Rufe kommen von den Zuschauern, wenn Schüller die Einbindung von Laien - oder Kirchenbürgern, wie er sie lieber nennt - und Frauen in die Kirche fordert. Das ist einer der zentralen Punkte, die bei den vielen anwesenden aktiven "Kirchbürgern" im Publikum gerne gehört wird. Mit persönlichen Erfahrungen Schüllers angereichert ist seine Argumentation nachvollziehbar. "Die Bischöfe schauen zu, wenn die Pfarrer oft in schwerwiegende Konflikte geraten", sagt Schüller, wenn es um die Themen Seelsorge und den Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheirateten geht.

Am Ende der Diskussionsrunde kommt das Gespräch schließlich auf die Papstwahl. Schüller erklärt seinen Zuhörern die verflochtenen Verhältnisse im Vatikan. Dass nicht der Papst regiere, sondern ehrgeizige, junge Kirchenmänner, die wichtige Posten im Vatikan besetzten. Das Publikum kann selbst entscheiden, ob es hier Ansätze einer Verschwörungstheorie oder echten Einblick in die Staatsgeschäfte des Vatikans erlebt. Wichtiger ist aber Schüllers Konsequenz für die Papstwahl: "Wenn nicht ein neuer Papst gewählt wird, der das System direkt angeht", sagt Helmut Schüller und wird endlich so nachdrücklich, wie man es von ihm erwartet "dann haben wir verloren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: