Süddeutsche Zeitung

Künstler Karl Hell:Skelette auf dem Laufsteg - what the Hell?

In Zorneding startet eine eindrucksvolle Gedenkausstellung für den vor 25 Jahren verstorbenen Maler Karl Hell. Seine Motive sind humorvoll bis sarkastisch.

Von Rita Baedeker, Zorneding

Das Zeichnen war seine Passion. Karl Hell, der 1994 starb, hat fast überall gezeichnet. Im Theater, in der Oper, in Museum und S-Bahn. Ein paar Striche auf Programmheft oder Papiertüte genügten ihm als Gedankenstütze, erzählt Hedwig Hell anlässlich der Eröffnung der Gedenkausstellung für ihren Mann vergangenen Freitag im vor einem Jahr eröffneten Kursraum der Volkshochschule Vaterstetten am Zornedinger Herzogplatz.

Doch so flüchtig der rasch zu Papier gebrachte Momenteindruck, so sorgfältig die spätere Ausarbeitung im Atelier. Aus Zeichnung und transparenten Aquarellfarben modellierte er Schicht für Schicht Räume, Körper und Gesichter, schuf Bewegung und Emotion - die Farben der Innenwelt.

Vor allem Opernaufführungen, etwa "Astutuli" von Carl Orff und "Cardillac" von Paul Hindemith, inspirierten Hell zu szenischen Motiven, auf denen die überdimensionalen Porträts der Protagonisten magische Kraft entfalten. In grauen, wie zerklüftet wirkenden Gesichtern spiegeln sich Zorn, Gier und Verschlagenheit.

Nur der kleine Teil eines umfangreichen Werks

Je näher der Betrachter an das Bild herantritt, desto klarer schälen sich aus amorphen Farbflächen und weißen Aussparungen die Konturen heraus. Einzelne Farbakzente, ein Rot um die Augen, ein bedrohliches Schwarz, verstärken Stimmung und Charakter. Die Figuren besitzen Tiefe, Perspektive und Plastizität. Hinzu kommt ein Zug ins Karikaturhafte und Phantastische.

Karl Hell, der im Alter von 69 Jahren starb, war Beamter bei der Stadt München und bei der Regierung von Oberbayern. Aufgrund seines schon früh erkannten künstlerischen Talents genoss er auch eine Ausbildung an der Münchner Kunstakademie. Er nahm unter anderem teil an den Ausstellungen der Münchner Künstlergenossenschaft im Haus der Kunst und im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten. Beginn der 1980er Jahre begann er mit Druckgrafik und gab Kurse in München und Zorneding.

Die gezeigten Aquarelle, Ölgemälde sowie ein paar Druckgrafiken sind nur ein kleiner Teil des umfangreichen Werks. Anlass für die überwältigend gut besuchte Vernissage war die Ein-Jahresfeier des vom Verein "Sport und Kultur" betriebenen Servicebüros nebenan sowie dessen Kooperation mit der Volkshochschule. Beide Einrichtungen haben mit ihren Ideen und Veranstaltungen den Herzogplatz erfolgreich wiederbelebt.

Unter den Besucherinnen sind auch ehemalige Schülerinnen von Karl Hell. Renate Will zum Beispiel, FDP-Gemeinderätin in Vaterstetten, erinnert sich an den Kurs. "Ich liebe Farben, er aber brachte mir erst mal die Grundlagen des Zeichnens bei und ermahnte mich, keine Wurstfinger zu malen", sagt sie und lacht.

Ein Kumpel mit trockenem Humor sei er gewesen, der mit seinen Schülern auch ins Museum und in den Zirkus gegangen sei. Auch Angela Neunert kann von den Kursen berichten, sie saß Hell ab und zu Modell. Eines der Bilder, eine Küchenszene, hänge bei ihr zuhause. Mit dem Begleittext "Was koche ich morgen?", ergänzt sie lachend.

Texte, literarisch bis sarkastisch, begleiten und illustrieren die Motive. Etwa drei überschlanken Mannequins, "unterwegs zum Laufsteg", wie es heißt. Doch unter Haute Couture und gestylten Frisuren schaut das bleiche Gerippe eines Skeletts heraus; und es sind Totenschädel, die sich huldvoll verneigen.

Nahe dran am Sujet ist der Betrachter angesichts des Bildes vom Obdachlosen, der formatfüllend im Abfall wühlt, und der Landstreicherin vor dem "Kaufhof". Er hat die Schultern hochgezogen, den Hut tief im Gesicht. Sie, Trostlosigkeit im Blick, Zigarette in der Hand, hat jede Hoffnung aufgegeben. Die von Scham und Not kündende Körpersprache dieser beiden Gestrandeten hat Hell ebenso authentisch eingefangen wie den Auftritt des Clowns Pierino im Zirkus, wie das falsche Spiel der betrügerischen Gaukler in "Astutuli" und wie das lebendige Spiel der Lichter und Schriftzeichen in einer Straße in Chinatown.

Eine sinnliche Atmosphäre verbreitet auch die plakative Darstellung einer Szene in einem Pariser Restaurant. Bevor das Auge einzelne Personen wahrnimmt, Elemente der Architektur erfasst, wähnt man sich mitten in Hitze, Rauch und Stimmengewirr. Als Begleittext hat Hell ein altes französisches Chanson aus dem legendären Moulin Rouge gewählt. "Komm, mein Liebes" heißt der Titel frei übersetzt. Der Einladung möchte man folgen, ein Glas Rotwein bestellen und sich geborgen fühlen.

"Die Empfindungen des Menschen - seien sie positiv oder negativ - werden nachhaltig von seiner Umgebung, so wie sie sich ihm optisch darstellt, bestimmt", schrieb Karl Hell einmal. Ihm ist es gelungen, Gefühlswelt und Innenleben in bildnerisch hoher Qualität einzufangen.

Die Ausstellung im Kursraum der Volkshochschule am Zornedinger Herzogplatz 15 ist bis 10. Februar zu sehen, geöffnet Montag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2019/koei
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