Landratswahl:Ein Job, vier Bewerber

Am 14. April entscheiden die Ebersberger darüber, wer Nachfolger von Landrat Gottlieb Fauth (CSU) werden soll. Das sind die Kandidaten.

Von Wieland Bögel, Barbara Mooser und Sophie Rohrmeier

Knapp 132.000 Einwohner hat der Landkreis Ebersberg derzeit, rund 95.000 von ihnen sind wahlberechtigt. Sie entscheiden am 14. April darüber, wer Nachfolger von Landrat Gottlieb Fauth (CSU) werden soll. Falls keiner der Bewerber eine absolute Mehrheit erhält, gibt es am 28. April eine Stichwahl. Die Chancen darauf stehen nicht schlecht, gibt es diesmal doch vier Bewerber. CSU, SPD, Grüne und Freie Wähler schicken je einen Kandidaten ins Rennen, die die SZ hier vorstellt. Wer die Kandidaten persönlich kennen lernen und im Gespräch erleben möchte, hat dazu am Dienstag, 2. April, Gelegenheit. Um 19.30 Uhr findet im Alten Kino Ebersberg ein SZ-Forum mit den Bewerbern um das höchste Amt im Landkreis statt.

Landratswahl: Hat schon mal als Dachdecker gearbeitet: Robert Niedergesäß.

Hat schon mal als Dachdecker gearbeitet: Robert Niedergesäß.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Der Zielstrebige - Robert Niedergesäß

Sich um eine Gemeinde kümmern, das war schon ein Kindheitstraum von Robert Niedergesäß. Allerdings nicht so wie es der 41-Jährige heute tut - als Bürgermeister von Vaterstetten - sondern eher in höherem Auftrag. "Ich wollte Pfarrer werden", so Niedergesäß. Dass es dazu dann nicht kam, darüber ist sicher nicht nur seine Partei glücklich, für die der diplomierte Volkswirt vor zwölf Jahren das Rathaus seines Heimatortes eroberte - auch die Hochzeit mit seiner Frau Alexa wäre für einen Hochwürden ausgefallen.

Kennen gelernt haben sich der damals frisch gewählte Bürgermeister und seine Frau ausgerechnet durch eine eigentlich unangenehme Sache. Im Frühsommer 2002 hatte Robert Niedergesäß mit einem hartnäckigen und vor allem so lautstarken Husten zu kämpfen, dass dies schließlich sogar seiner damaligen Nachbarin unangenehm auffiel. Nachdem Alexa Joseph den Verursacher der nächtlichen Husterei lokalisiert hatte, fand Niedergesäß eines Tages ein Fläschchen Hustensaft vor seiner Tür. Daran hing ein Zettel mit der Nachricht: "Damit ich wieder durchschlafen kann." Diese Fürsorge der bis dahin unbekannten Nachbarin hat den Bürgermeister neugierig gemacht, nach ordnungsgemäßer Anwendung des Inhaltes wurde die Flasche zurückgegeben, diesmal mit einer Rose - "aber keiner roten!" - versehen und einer Einladung zum Kennenlernen. Daraus wurde schnell mehr, wie sich Robert Niedergesäß heute noch gerne erinnert, bei einem Abendessen hätten sich die beiden sofort ineinander verliebt. Auch den Tag weiß Robert Niedergesäß noch genau, "der 26. Juli 2002", auf den Tag genau sieben Jahre später fand die Hochzeit statt. Robert und Alexa Niedergesäß haben zwei Kinder, 2004 kam Tochter Amelie zur Welt, vier Jahre später Sohn Nikolas.

Im Nachhinein sei es ein großer Vorteil gewesen, dass er seine Frau schon als Bürgermeister kennen gelernt hat, meint Robert Niedergesäß heute, "da wusste sie schon, wie meine Zeitbelegung ist." Denn die Arbeitszeiten als Gemeindeoberhaupt sind alles andere als familienfreundlich: Bis zu 14 Stunden pro Tag, dazu Termine am Wochenende, "manche fahren im Urlaub weg, ich nutze ihn oft, um bei der Familie zu Hause sein zu können." Also doch ein bisschen Hader mit der Berufswahl? Das sei nicht der Fall, "wichtig ist, dass einem das, was man macht, auch Spaß macht. Dann ist es keine Belastung sondern eine Bereicherung."

Das Bereichernde an seiner Arbeit findet Niedergesäß vor allem in der Unmittelbarkeit. Ein Kommunalpolitiker könne direkt sehen, was seine Arbeit bewirke, etwa wenn Projekte, die man angestoßen hat, verwirklicht werden, aber auch im Kontakt mit Bürgern, die Lob oder Kritik äußerten. Dass ihm diese direkte Beziehung zwischen Arbeit und Ergebnis wichtig ist, habe er schon als Teenager festgestellt. Im Alter von 16 Jahren wollte der junge Robert gerne auf einer Vespa durch die Gemeinde flitzen. Um das nötige Geld dafür aufzutreiben, verdingte er sich bei einem örtlichen Dachdecker. Sechs Wochen lang hat er seinen Heimatort von oben kennengelernt, "das war eine harte Arbeit, aber man hat immer gesehen, was man gemacht hat".

Dass dies auch in der Politik möglich ist, dass diese gar "ein Hobby" für ihn sein kann, das hat Niedergesäß kurz nach seinem Ausflug in die Dachdeckerbranche festgestellt: mit 17 trat er der CSU bei. "Eigentlich stamme ich aus einer unpolitischen Familie", so der Bürgermeister. Einer Partei hätte keiner seiner Eltern angehört, obwohl es in der Familie einige Berührungspunkte mit der Kommunalpolitik gab: Niedergesäß' Vater kandidierte 1984 für die Überparteiliche Wählergemeinschaft für den Gemeinderat, allerdings ohne Erfolg. Und Großvater Max Loidl war sogar ein Amtsvorgänger von Robert Niedergesäß. Anfang der 1950er Jahre war Max Loidl zwei Jahre lang Bürgermeister von Zorneding, zu dem damals noch Baldham gehörte, wo die Loidls ein Gasthaus und eine Bäckerei betrieben.

Robert Niedergesäß selbst ist politisch deutlich aktiver als sein Großvater, seine Karriere innerhalb und außerhalb der Partei verfolgte er mit großer Zielstrebigkeit. Drei Jahre nach seinem Eintritt in die CSU wurde er zum Ortsvorsitzenden der Jungen Union (JU) gewählt. Bei der Kommunalwahl 1996, als Niedergesäß zum ersten Mal für den Gemeinderat kandidierte, erzielte er das zweitbeste Ergebnis aller Kandidaten, was ihm den stellvertretenden Fraktionsvorsitz der CSU einbrachte. Ein Jahr darauf wurde er JU-Kreisvorsitzender. Den Ausschlag dazu, sich in der Politik einzumischen, gaben Skandale, wie die Barschel-Affäre, erinnert sich Niedergesäß. Politikverdrossenheit war schon damals ein Thema, weshalb er sich entschloss "nicht zu schimpfen, sondern etwas zu tun." Dass er bei der CSU gelandet ist, sei aber nicht von Anfang an klar gewesen. "Eine konservative Vorprägung hatte ich zwar schon", aber letztendlich habe ihn die Politik der Unionsparteien überzeugt.

Im Jahr 2001 macht Robert Niedergesäß schließlich sein Hobby zum Beruf: Am 18. Februar - genau an seinem 30. Geburtstag - wurde er zum Bürgermeister seiner Gemeinde gewählt. Dieses Geburtstagsgeschenk war für den Wahlsieger eine echte Überraschung, sagt er heute. Denn noch ein halbes Jahr zuvor hatte seine Partei eine Umfrage bei einem Meinungsforschungsinstitut in Auftrag gegeben - das Ergebnis war alles andere als ermutigend. Nach der Befragung mehrerer hundert Vaterstettener kamen die Meinungsforscher gerade einmal auf 38 Prozent für den Herausforderer. Für Amtsinhaber Peter Dingler von der SPD hätten im Oktober 2000 dagegen ganze 57 Prozent der Gemeindebürger votiert. Sogar einige Parteifreunde hätten ihm daraufhin von der Kandidatur abgeraten, manche wollten lieber abwarten, bis Dingler aus Altersgründen nicht mehr kandidieren dürfte. "Darauf wollte ich aber nicht warten", so Niedergesäß - und der Erfolg gab ihm Recht: "Bei der Wahl hatten sich die Werte praktisch umgekehrt."

Der Reisende - Toni Ried

Reisen, das war und ist die eine große Leidenschaft des Toni Ried. Seit seiner Jugend begeistert sich der Landratskandidat der Freien Wähler dafür, fremde Länder und Kulturen kennen zu lernen. Seine erste weitere Reise führte den damals 15-Jährigen nach Tunesien. Im Jahr 1968 war das, also lange bevor Pauschaltouristen und Resorturlauber das nördliche Afrika entdeckten, "das war noch etwas ganz Besonderes." Das Reisen ist es auch, was Toni Ried die Bedeutung des Regionalen vermittelt hat. "Die Uniformierung der Welt geht mit Riesenschritten voran", bedauert Ried. Städte auf der ganzen Welt würden ununterscheidbar, das Wertvolle, was jede der zahllosen Kulturen und Regionen besäße, drohe unwiederbringlich verloren zu gehen.

Landratswahl: War schon mal in Indien: Landratskandidat Toni Ried.

War schon mal in Indien: Landratskandidat Toni Ried.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Deshalb ist es auch seit Jahren sein Ziel, dazu beizutragen, die Schätze seiner Heimat zu erhalten - was nicht immer nur auf Gegenliebe stößt. Im Ebersberger Stadtrat, dem Toni Ried seit 1984 angehört, ist er ein ständiger Mahner, etwa wenn es um die Bewahrung alter Gebäude oder landschaftlich reizvoller Gebiete geht. Nicht alle sind dieser Meinung. Manche Stadtratskollegen haben Ried in der Diskussion des öfteren Starrsinnigkeit unterstellt - nichts was den 59-Jährigen beeindrucken würde, ganz im Gegenteil. "Unsere Region, unser Landkreis, ist ein Geschenk", betont Ried, "es gibt Wasser, Wälder, wunderschöne Landschaft - das muss man bewahren, darauf muss man aufpassen." Das gleiche gelte auch für die Ortschaften, nicht nur weil etwas neu sei, müsse es besser sein. "Ein Ort braucht seine Vergangenheit, seine Patina, dafür lohnt es sich zu kämpfen."

Seit mehr als 30 Jahren ist Toni Ried deshalb beim Ebersberger Verschönerungsverein, inzwischen ist er dessen Vorsitzender. Es gefalle ihm, was man hier alles gemeinsam mit Gleichgesinnten bewegen könne. Deshalb hat er das Regionale auch zu einem Schwerpunkt seines Wahlkampfes gemacht. Die Stärkung der Landwirtschaft, den Erhalt der Naturschönheiten - all dies will Toni Ried im Falle seiner Wahl voranbringen. Als erfahrener Kommunalpolitiker wisse er zwar, dass vieles davon außerhalb der Zuständigkeit eines Landrats liege. Trotzdem könne ein Landrat hier als Vermittler agieren, meint Ried und im Dialog mit den Kommunen einerseits und den übergeordneten Ebenen andererseits Probleme lösen.

Wie die Liebe zur Region hat auch seine zweite Leidenschaft mit dem Reisen zu tun: Der Tee. Anfang der 1980er Jahre war Toni Ried auf einer längeren Indienreise. Dort schloss er Bekanntschaft mit einer indischen Familie, lebte dort einige Wochen und lernte etwas für ihn völlig Neues kennen: Die Fünf-Uhr-Teestunde. Jeden Tag um Punkt 17 Uhr versammelte sich die gesamte Familie auf der Terrasse des Hauses. Ein anfangs etwas ungewohntes Ritual, meint Ried heute, doch mit nachhaltigen Folgen: "Dadurch bin ich zum Teetrinker geworden," sagt Ried, und die Leidenschaft für das Aufgussgetränk hat er schließlich sogar zu seinem Beruf gemacht: Seit 20 Jahren haben er und seine Frau Emine einen Teeladen am Viktualienmarkt. Zuvor hatte Ried 13 Jahre lang als Controller und Arbeitssteuerer bei einer großen Münchner Logistikfirma gearbeitet. Der Übergang vom Angestellten zum Kaufmann in Sachen Tee sei über mehrere Jahre gekommen. Zunächst lief der noch kleine Laden parallel mit, bis Toni Ried schließlich den Absprung aus seinem alten Job wagte - eine Entscheidung, über die er bis heute sehr glücklich sei. Denn ihm macht der Beruf nicht nur viel Spaß - als Selbstständiger könne er seine Arbeitszeiten auch besser mit seinen politischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten abstimmen.

Was seine Chancen bei der Wahl betrifft, ist Ried zwar optimistisch, aber er ist sich auch im Klaren, dass es schwierig werden wird. "Die großen Parteien haben natürlich ganz andere Möglichkeiten", gibt er unumwunden zu. "Materialschlachten" mit großen Plakataktionen oder ähnlich aufwendigen Kampagnen könnten die Freien Wähler nicht leisten. Aber das will er nicht als Nachteil verstanden wissen: "Wir wollen uns die Gunst der Wähler nicht erkaufen, wir wollen überzeugen." Und wenn es nicht klappt? Hier merkt man dem Kandidaten seine lange Erfahrung als Reisender an: "Man muss losgehen, und schauen, dass man so weit wie möglich kommt."

Der Quereinsteiger - Ernst Böhm

An einem klaren Tag hat er von seinem Schreibtisch aus freie Sicht bis zum Wilden Kaiser. Doch auch wenn Regenwolken nur den Blick auf nasse Bäume und die Baustellen vor dem Haus zulassen, ist das Büro von Ernst Böhm beeindruckend: "Holz 8" heißt das achtstöckige Gebäude, in dem er in der obersten Etage seine Räume bezogen hat, nicht ohne Grund. Nicht nur die Regale, auch Decken, Böden und Wände bestehen aus honigfarbenem Holz - es handelt sich um das höchste Holzhaus Deutschlands. Als Geschäftsführer der Firma B&O hat Böhm das Haus vor allem errichten lassen, um zu beweisen, dass es geht: dass der Baustoff, der auch der "City of Wood" im Bad Aiblinger Ortsteil Mietraching ihren Namen gegeben hat, im Wohnungsbau eine Zukunft haben sollte.

Landratswahl: Hat schon mal mit dem italienischen Star-Architekten Matteo Thun zusammengearbeitet: Ernst Böhm.

Hat schon mal mit dem italienischen Star-Architekten Matteo Thun zusammengearbeitet: Ernst Böhm.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Dennoch würde der 55-jährige Grafinger das Büro mit Ausblick gern aufgeben für ein wesentlich weniger beeindruckendes Zimmer, derzeit im Untergeschoss des Ebersberger Landratsamts. "Ich möchte mehr für das Gemeinwohl tun", sagt er über seine Motivation. Dass er als Bewerber der SPD und nicht irgendeiner anderen Partei oder Gruppierung antreten möchte, liegt, wie er sagt, an seiner frühen Sozialisierung. "Ich habe mit dem Vorwärts lesen gelernt", erzählt er. Seinem Nennonkel Hans, der ihm mit dem Parteiorgan der Sozialdemokraten das Abc beigebracht hat, hat der Jurist auch seine Doktorarbeit gewidmet. Beigetreten ist Ernst Böhm der SPD vor 15 Jahren, doch weder ein Amt im Stadtrat noch im Kreistag hat er da angestrebt. Selbst den meisten Genossen im Landkreis war er weitgehend unbekannt. Eher zufällig lernten SPD-Landtagskandidatin Doris Rauscher und Albert Hingerl, Fraktionschef im Kreistag, den Grafinger kennen: bei der Nominierung des SPD-Spitzenkandidaten Christian Ude in Nürnberg. Wenig später fragte die Kreis-SPD den Unternehmer, ob er Interesse an einer Kandidatur hätte - Böhm sagte ja.

Seitdem hat der Politik-Neuling einiges unternommen, um sich ein Bild davon zu machen, welche Themen im Landkreis und den Gemeinden gerade aktuell sind. Er hat Bürgermeister getroffen, Gemeinderatssitzungen besucht, mit Vertretern von Vereinen und Organisationen geredet. Längst hat er sich natürlich auch den Haushalt des Landkreises besorgt, denn als erfolgreicher Unternehmer, der ein mittelständisches Dachdeckerunternehmen zu einer breit aufgestellten Firmengruppe ausgebaut hat, tritt er auch dafür an, Strategien gegen die hohe Verschuldung zu entwickeln. Vor allem im Bereich der baulichen Investitionen könnte sein Fachwissen nützlich sein, davon ist er überzeugt. "Ich kenne die Branche sei über 20 Jahren sowohl aus der Perspektive des Auftragnehmers als auch aus der des Auftraggebers. Ich meine, ich könnte das gut", sagt er. Wenn man ihn fragt, was man hier in der Vergangenheit hätte besser machen können, überlegt er sich seine Worte sorgfältig: "Man kann aus den puren Zahlen nicht erkennen, wie die Situation genau ist, dazu müsste ich die Ausschreibungsunterlagen sehen." Aber eines sagt er dann doch: dass seiner Ansicht nach beispielsweise beim Umbau des Landratsamts das Verhältnis der sanierten Flächen im Vergleich zu den neu gebauten zu groß war - und dass das Bauen bei laufendem Betrieb ein Fehler war. "Eine mehrjährige Bauzeit im Haus, das macht man nicht", sagt er.

Andere teure Neubauten sollte sich der Kreis freilich nach Ansicht des Kandidaten in nächster Zeit nicht leisten: "Bei Bauinvestitionen würde ich stark sparen, bei den Menschen nicht." Zudem dürfe man die Gemeinden - zumal in schwierigen Zeiten - nicht zu stark durch die Kreisumlage belasten. Andererseits findet Böhm, dass derzeit der Landkreis nicht so viel an den Bezirk abführen sollte - und stellt dabei auch so mal eben die Automatismen im kommunalen Finanzausgleich in Frage. "Ich werde mir die Klage, die Bayern und Hessen gegen den Länderfinanzausgleich führen, ganz genau anschauen, ob man das nicht auch auf die Bezirksumlage anwenden könnte", sagt er. Auch sonst hat Böhm Ideen, über die erfahrene Kommunalpolitiker zumindest nicht laut reden: Mit den Gewinnen der Kreissparkasse, schlägt Böhm vor, könnte man doch Investitionen der Kreisklinik finanzieren. Geht nicht, war noch nie da? Mit solchen Einwänden kann Böhm nichts anfangen. "Klar kann die Sparkasse ihr Ergebnis ausschütten. Andere Banken machen das auch", sagt er.

Dass er gerne mal Wege geht, die andere vielleicht nicht einschlagen würden, beweist Böhm auch in seiner "City of Wood". Ein kleine, energetisch autarke Siedlung ist unter Federführung Böhms auf dem ehemaligen Kasernengelände entstanden, Wohnungen für sozial Schwache sind hier ebenso zu finden wie ein Fußballinternat und ein schickes Tagungshotel. Das Blockheizkraftwerk hat der italienische Stararchitekt Matteo Thun entworfen, bald wird es hier auch einen Dorfladen geben.

Obwohl das Projekt auf dem Kasernengelände gerne als Musterbeispiel dafür angeführt wird, dass die Energiewende gelingen kann, ist Böhm da sehr viel vorsichtiger. "Im Moment gilt hier Absurdistan", sagt er über die Energiepolitik. Wie entwickeln sich die Gaspreise? Wie ernst kann man staatliche Garantien - beispielsweise bei der Einspeisevergütung für erneuerbare Energien - nehmen? Wird sich die Inflation so entwickeln, dass sich die Investition in Projekte für erneuerbare Energien auch für nicht allzu finanzstarke Bürgerinnen und Bürger rentiert? Diese Fragen sind nach Einschätzung Böhms ungeklärt. Dass er sich diesen und anderen Herausforderungen bald als Landrat wird widmen können, da rechnet sich der Grafinger recht gute Chancen aus. "Ich denke, dass ich gewinne", hat er bereits kurz nach seiner Nominierung selbstbewusst gesagt. Inzwischen denkt er auch schon über die Landratswahl hinaus. Wenn man ihn fragt, wie er denn seine Vorstellungen als Landrat ohne eigene Mehrheit im Kreistag umsetzen würde, weist er darauf hin, dass im März 2014 Kommunalwahlen seien: "Und es ist ja nicht gesagt, dass die CSU-Mehrheit auf allen Ebenen und für immer Bestand hat."

Der Kommunikative - Reinhard Oellerer

Konfliktscheu ist Reinhard Oellerer nicht. "Notfalls mit dem bayerischen Verkehrsminister raufen", verbal natürlich nur - das würde der Landratskandidat der Grünen, um sich für Landkreis und grüne Ziele einzusetzen. Ein Raubein aber ist der 60-jährige Gemeinderat aus Anzing nicht. Er setzt auf das vermittelnde Gespräch - und auf die Offenheit gegenüber anderen Meinungen, die er auch als Gymnasiallehrer unter Beweis zu stellen hat. Eines aber toleriere er nicht: Die Haltung "Interessiert mich nicht, weil meine Kinder zahlen". Die Perspektive der nachfolgenden Generationen ist ihm nahe: Er hat vier erwachsene Kinder, außerdem unterrichtet er am Gymnasium Markt Schwaben Englisch, Sozialkunde und Ethik, für ihn gilt: "2030 ist übermorgen."

Landratswahl: Hat noch nie mit dem Verkehrsminister gerauft:  Reinhard Oellerer.

Hat noch nie mit dem Verkehrsminister gerauft:  Reinhard Oellerer.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Anfänglich trieben ihn die Ablehnung von Kernenergie und die Verteidigung der Bürgerrechte weg von seinem Ursprung - einem CSU-Elternhaus. "Ich wäre sicher nicht bei den Grünen gelandet, wenn ich den Eindruck gehabt hätte, das die das C und das S ernst nehmen", sagt der Katholik. "Ich bin ein Wertkonservativer. Das verbindet uns Grüne mit der CSU." Was ihn heute dazu bewegt, Landrat werden zu wollen, ist vor Ort greifbar: das Soziale. "Das treibt mich um", sagt Oellerer. Deshalb will er der erste Mann im Landratsamt werden, dort gebe es "verdammt viel zu tun".

Müde klingt er bei dieser Feststellung nicht, trotz seiner 30 Jahre in der Kommunalpolitik. Er kennt das Tempo politischer Veränderung. Gerade weil er sich auskennt, haben ihn die Mitglieder der Grünen im Landkreis am 31. Januar einhellig nominiert. Und auch wenn er die politische Konfrontation sucht, persönliche Hiebe gegen seine Konkurrenten im Landtagswahlkampf unterlässt er.

Doch muss auch Ollerer versuchen, sich vom Vorgänger abzugrenzen, um für einen Wechsel zu ihm als einem Landrat der Grünen zu werben. "Ich sehe das Amt nicht so eng wie der Vorgänger", sagt Oellerer und stellt in Aussicht, sich mehr einzubringen. Auch wenn er manches nicht entscheiden könne, so lohne es trotzdem, darüber zu debattieren. Konkrete Kanäle sieht er zuvorderst zwischen ihm und den Gemeinden: "Als Landrat kann ich dem Kreis mein Know-how zur Verfügung stellen." Das könne nur in Gesprächen funktionieren, denn in vielem haben die Kommunen Planungshoheit oder Landes- und Bundesgesetze binden den Landrat.

"Aber ich hab' da was in petto und mische mich ein", sagt Oellerer. Sein Grundanliegen: auf allen politischen Wegen zu verhandeln. Er wolle an geeigneten Stellen "bitten, dass vor Entscheidungen mit den Kommunen gesprochen wird". Aufgrund seines politischen Engagements habe er gute Kontakte zur Bundestagsfraktion der Grünen, wo er Initiativen unterstützen könne - etwa zur Erhöhung von sozialen Hilfen. Auch in Brüssel sieht Oellerer Möglichkeiten: Die deutschen Kommunen sind in Brüssel mit Lobbyisten vertreten. "Das muss man nicht der Industrie überlassen."

Reinhard Oellerer versteht sich als Haushaltsexperte, dessen Fraktion im Kreistag seit langem für die nun beschlossenen Ziele gekämpft hat: die Begrenzung der Verschuldung und eine Deckelung der Schulden bei 65 Prozent des Kreishaushalts. Momentan aber werde die Finanzrichtlinie nur knapp eingehalten. "Ich würde nie so knapp an die Leitplanken fahren", sagt er. Stattdessen würde er andere Prioritäten setzen.

"Die Kommunen lügen sich in die Tasche", sagt er. "Sie sagen: Der Kreis soll sich verschulden - dann muss ich nicht so viel zahlen." Die Kommunen müssten später aber doch bezahlen: durch die Kreisumlage, und zwar inklusive Zinsen. Ein ehrliches Bild sei wichtig für jede Gemeinde. Deshalb plädiert Oellerer für die baldige Erhöhung der Kreisumlage.

Seine Stimme gegen die Mehrheit zu erheben, hat Oellerer im Anzinger Gemeinderat geübt. Denn dort sind die Grünen praktisch die einzige Fraktion, die als Opposition fungiert. Die SPD ist sich mit der CSU und der UBA weitgehend einig - nur die grünen Gemeinderatsmitglieder tanzen manchmal aus der Reihe. Und in der Schule komme es deshalb vor, dass ihn ein Schüler anspricht: "Ich habe Sie gesehen, Sie waren gestern in der Zeitung." Die Reaktion des Sozialkunde-Lehrers: "Wenn man sich engagiert, kann man sich nicht verstecken."

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