Kandidaten für den Tassilo 2018:Molière am Gehstock

Kandidaten für den Tassilo 2018: Die "ziemlich besten Seniorinnen" von der Grafinger Theatergruppe "Kaleidoskop" bekommen es diesmal mit den leidigen Lästigkeiten des Alltags zu tun. Da hilft neben guten Getränken und noch besseren Freundinnen nur eins: eine lange Auszeit.

Die "ziemlich besten Seniorinnen" von der Grafinger Theatergruppe "Kaleidoskop" bekommen es diesmal mit den leidigen Lästigkeiten des Alltags zu tun. Da hilft neben guten Getränken und noch besseren Freundinnen nur eins: eine lange Auszeit.

(Foto: Christian Endt)

In der Grafinger Theatergruppe "Kaleidoskop" entern Senioren die Bühne.

Von Alexandra Leuthner, Grafing

Natürlich sind sie aufgeregt, immer noch, oder vielmehr: jetzt erst recht. Die Damen, die sich da gerade fertig machen, um die Bühne zu entern, sind zwischen 60 und 81 Jahre alt. Wenn sie überhaupt Theatererfahrung mitbringen, dann kann die ein halbes Leben alt sein - oder mehr, so wie bei Josefine Klein. Mit 81 Jahren ist sie die Älteste der Schauspielerinnen, die am kommenden Dienstag in der Stadtbücherei Grafing "Ziemlich beste Seniorinnen" geben werden. "Zwölf oder 14 war ich damals, im Faschingsvarieté habe ich mitgespielt", wird Klein später erzählen, nach der Probe, wenn die Aufregung sich wieder gelegt hat.

Und es haben schließlich schon ganz anderen die Nerven geflattert, wenn sie wussten, dass sich gleich aller Augen auf sie richten würden, dass sie ihren Text parat haben und wissen müssen, wo sie wann zu stehen und auf welches Stichwort sie einzusetzen haben. Und wenn dieses Wörtchen einfach nicht kommen will, weil der Mitspieler gerade selbst improvisieren muss, dann kann es schon mal sein, dass alle ins Schwitzen kommen.

Aber gerade das sind die Episoden, über die immer wieder gelacht wird, wenn Gabi Sabo und die Seniorinnen von der Grafinger Theatergruppe Kaleidoskop zusammensitzen. "Und es kann ja auch bei Profis passieren, dass einer seinen Text vergisst", erklärt Sabo beruhigend. Sie weiß, wovon sie spricht. Bevor die Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin vor zehn Jahren die Leitung der entstehenden Theatergruppe übernahm, hatte sie vornehmlich mit Profi-Schauspielern und Kindern gearbeitet. "Hier aber musste ich mich erst einmal einschwingen", erzählt sie. "Ich kann hier schließlich nicht erwarten, dass jemand auf der Bühne herumpurzelt."

Doch Sabo und ihre Seniorinnen haben sich längst zusammengerauft. Die Stücke schreibt die Regisseurin ihren Darstellerinnen - in den vergangenen Jahren waren auch immer wieder mal Herren dabei - auf den Leib. Manches entsteht ganz neu, manchmal aus Improvisationen so wie die "Ziemlich besten Seniorinnen". Manche Stücke sind Adaptionen von Klassikern wie "Das Kissen" nach Molières "Geizhals", das die Gruppe 2011 unter anderem auf die Bühne des Grafinger Seniorenheims brachte. Gestartet war man 2008 mit der klassischen Weihnachtsgeschichte, initiiert von der Leiterin des Betreuten Wohnens im Seniorenheim, wo das Ensemble auch seinen Proberaum hat. Zwar hat die Gruppe hier ihre Basis, wo sie immer wieder für die Bewohner spielt - besonders zu Weihnachten - doch hat sie sich mittlerweile mit Auftritten im gesamten Landkreis und sogar in München einen guten Ruf verschafft.

Ein Stück pro Jahr schafft das Kaleidoskop-Ensemble, mit nur einer Probe pro Woche. Wenn der Termin der ersten Aufführung näher rückt, sind es auch mal zwei. "Mehr schaffe ich nicht", erklärt Sabo, die hauptberuflich Teil der zweiköpfigen PR-Agentur "Die Kulturbananen" ist. "Und mehr schaffen sie auch nicht", sagt sie und macht eine Handbewegung, die ihre Darstellerinnen miteinbezieht. "Sie haben ja auch noch ihr eigenes Leben." Keine der aktuellen Darstellerinnen wohnt im Seniorenheim, wenn auch die Kontakte intensiv sind und manche, wie Nana Helfrich, die als mittlerweile Dienstälteste nach einer Erkrankung diesmal nur die Souffleuse gibt, machen im Heim heftig Werbung. "Was wir rüber bringen wollen, ist: Schaut her, wir sind alle alt, aber wir tun noch was und es passt alles zusammen. Wir sind eine gute Truppe."

Kandidaten für den Tassilo 2018: Die Leitung der Gruppe: Gabi Sabo

Die Leitung der Gruppe: Gabi Sabo

(Foto: Christian Endt)

Tatsächlich bemühe man sich jeden zu integrieren, der kommt, erklärt Sabo. "Nur weil einer mit dem Rollator unterwegs ist, oder sich nicht mehr so viel merken kann, ist das kein Hindernis." Wenn jemand nach jeder Szene hinter der Bühne noch einmal den Text für die nächste Szene lesen müsse, sei das auch in Ordnung. "Wir finden eine Lösung." Und sie erzählt von Rudolph, einem früheren Mitspieler, der am Schluss nicht mehr laufen konnte. "Da hat er eben den Berg gespielt - und er war ein richtig guter Berg."

Im aktuellen Stück sollte es eigentlich um eine Seniorenklappe gehen, als Pendant zu jener für Babys. "Die hatten alle einen Riesenspaß bei den Proben", erzählt Sabo, letztlich sei ihr das Thema aber doch zu hart gewesen. So habe sie nur einige Ideen in die aktuelle Produktion übernommen, in der sich die Damen nichtsdestotrotz selbst auf die Schippe nehmen mit all den Schrulligkeiten und Ärgernissen, die das Älterwerden mit sich bringt. So muss sich Josefine Klein als "Frau Schmidt" vom Senioren-TÜV bescheinigen lassen, dass sie zwar alles in allem noch ein passables Modell ist, aber doch schon ein wenig Rost angesetzt hat. Und obendrein hat sie in dieser Woche schon drei Schirme verloren. Eva Halm beklagt sich im PC-Kurs für Senioren darüber, dass die Suchmaschine nicht funktioniert, weil sie die Frage: "Wo ist mein Hausschlüssel?" nicht beantworten kann.

Am Ende schaffen die Damen, genervt von den Malaisen des Alltags, den Absprung, indem sie sich als Impresarias diverser Künstler aus- und sich mit diesen auf Kreuzfahrt begeben. Eine Gruppe Flamencotänzerinnen - eine Kindertanzgruppe unter der Leitung von Bea Koberger - ist dabei, die Schauspielerin Regina Kopp, welche die Truppe verstärkt, tritt als Chansonnette auf, und Josefine Klein singt mit berührendem Sentiment den italienischen Bossanova-Schlager "Quando Quando Quando", ein Lied aus ihren jüngeren Jahren.

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