Kandidat für den Tassilo 2018:Rochaden mit Anspruch

Lesezeit: 4 min

"Volksbildung zum Nulltarif" - das möchte Georg Schweiger aus Vaterstetten bieten. (Foto: Christian Endt)

Georg Schweiger aus Vaterstetten hat eine Stiftung für Schach und Kultur ins Leben gerufen. Ihm geht es um nichts weniger, als - ausgehend von diesem Spiel - die Welt zu erfahren und zu erforschen.

Von Alexandra Leuthner

Von hier aus einen Blick in die Welt. Dieses Arbeitszimmer mit seinem fein gearbeiteten Holzschreibtisch, mit den Tausenden von Büchern, die, in weiße Regale einsortiert, die Wände hinauf wachsen, mit seinem Ausgang in den Wintergarten und dem kleinen Billardtisch in der Mitte: Dieses Arbeitszimmer hat alles, um auf ewig in seinen Bann zu ziehen, wen auch immer es hierher verschlägt. Zumindest das nächste Jahrzehnt könnte man hier problemlos verbringen, ohne auch nur ein einziges Buch zweimal in die Hand nehmen zu müssen.

Und doch treibt es Georg Schweiger, gewissermaßen das pulsierende Zentrum dieses jahrzehntelang gewachsenen Kosmos aus Geschichte und Geschichten, theoretischen Abhandlungen und literarischen Abenteuern, aus Poesie und Prosa verschiedenster Sprachen, Erdteilen und Epochen, immer wieder hinaus ins wirkliche Geschehen. Denn er hat etwas weiter zu geben an die Welt. Die Stiftung Schach und Kultur, die der Gymnasiallehrer im Ruhestand 2010 gegründet hat, ist Ausdruck dieses Wunsches. Er will gemeinsam mit anderen, die ähnlich ticken, das Wissen um die Welt - und, natürlich, um die Bedeutung des Schachspiels im Fortgang der Jahrhunderte - noch einmal entdecken, zu ent- und zu verflechten versuchen. Der große Anklang, den die Veranstaltungen um Schach, Kunst, Musik, Literatur und Theater der ersten acht Jahre gefunden haben, der intelligente Ansatz und das Engagement für die Bewahrung des Kulturguts Schach sind Grund genug, Schweiger und seine Stiftung für den Tassilo-Preis vorzuschlagen.

Eine Erbschaft hatte den Anstoß zur Gründung der Stiftung gegeben, die in mittlerweile drei großen Themenblöcken und darin eingebetteten Veranstaltungen die Vorgaben des Stiftungstexts erfüllt, und sich nicht nur regionales, sondern auch internationales Renommée erworben hat. Schon die erste Ausstellung im Jahr 2011, "Von der Krone zum Bürger - Schach in der höfischen und bürgerlichen Kultur zwischen 1750 und 1850" - zog Besucher aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich nach Grafing, ins dortige Stadtmuseum. Bereichert wurde sie mit Leihgaben der Graphischen Sammlung München, vor allem Kupferstichen, sowie aus Privatsammlungen. Und brachte der Stiftung lobende Erwähnungen nicht nur in internationalen Fachmagazinen und der Lokalpresse, sondern auch in deutschen, österreichischen und holländischen Zeitungen.

Zu jedem Veranstaltungszyklus erscheint ein eigener Katalog, professionell gestaltet von der Grafikerin Ottilie Gaigl, mit Beiträgen von Schachexperten, aber auch von Kunstsachverständigen wie der Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer aus Vaterstetten, die Mitglied im Stiftungsrat ist. Dass zu den Verantwortlichen neben Schachspielern wie Georg Schweiger und Walter Rädler, dem Vorsitzenden der Deutschen Schulschachstiftung, auch Künstler wie Schweigers Ehefrau Hannelore Sahm und Ingrid Wieser-Kil aus Steinkirchen gehören, soll den ganz speziellen Anspruch der Stiftung Schwarz auf Weiß zum Ausdruck bringen: Natürlich gehe es um Schach, sagt Schweiger, der schon von Kindesbeinen an mit Bauernopfern, starken Damen und Rochaden vertraut ist, und es in seinen frühen Jahren unter anderem zum zweimaligen Münchner Jugendmeister gebracht hat. "Aber wichtig ist mir die Vernetzung". Die Konzentration auf den reinen Sport ist dem Vorsitzenden der Ebersberger Schachunion zu wenig. "Es geht darum, anhand von einer Sache, die auf alles ausstrahlt, die Welt zu erfahren und zu erforschen", sagt er, Ausstellungskataloge, Schachzeitschriften und Künstlerbiografien vor sich auf dem Billardtisch. Und dann fängt er an zu erzählen. Von Marcel Duchamp etwa, dem 1968 gestorbenen französisch-amerikanischen Konzeptkünstler, der sagte, dass "zwar nicht alle Künstler Schachspieler, aber alle Schachspieler Künstler" seien. Von den Wandlungen, die das Schachspiel im Spanien des 15. Jahrhundert erfahren hat, als die Reichweite der Dame auf dem Brett im Zuge der zunehmenden Macht weiblicher Herrscherinnen vergrößert wurde, bis sie zur potentesten Figur wurde; vom Einfluss der sich beschleunigenden Welt auf das einst geruhsame Spiel der Könige. Bis zur Zeit Galileos, holt Schweiger aus, durften die Läufer gerade mal zwei Felder auf dem Spielfeld ziehen, "damals hat sich das geändert. Und heute spielt man Blitzschach, bei dem der Spieler gerade mal drei Minuten Zeit hat für eine ganze Partie". Manche Duelle können Millionen weltweit über das Internet verfolgen, die Ergebnisse jeder Regionalligapartie können Minuten nach ihrem Ende online abgerufen werden.

Auch Ausstellungen zeigt die Stiftung für Schach und Kultur. (Foto: Christian Endt)

Den Irrungen und Wirrungen des gesellschaftlichen Wandels im aufkommenden Nationalsozialismus etwa ging die Stiftung mit der Ausstellung "Machtspiele und Ambivalenzen" in der Münchner Schachakademie 2014 nach, klopfte die in den 20er und 30er Jahren regelmäßig ausgestrahlten Schachfunksendungen auf ihre politischen und gesellschaftlichen Implikationen ab. 2016 dann standen die Aktivitäten unter dem Motto "Schach und Poesie", eine Ausstellung von Fotografien in Bad Aibling wurde begleitet von einem Poetry-Slam. 2015 unterstützte man das 50-jährige Jubiläum der Schachunion mit einem beeindruckenden Lebendschachspiel im Klosterbauhof, bei dem Lokalpolitiker in historische Kostüme schlüpften.

Für 2018 hat sich die Stiftung vorgenommen, dem Umgang von Politik und Religion mit dem Schachspiel nachzugehen. "Eigentlich", erzählt Schweiger, "war Schach ja mal das Spiel des Klerus, im Mittelalter haben Geistliche Schachbücher geschrieben." Aber es habe auch Orden gegeben, die das Spiel verboten - so wie die islamischen Taliban in der Moderne oder der iranische Staatschef Chomeini in den achtziger Jahren. Dabei war das Spiel doch von Indien aus über Persien, Arabien und Byzanz nach Europa gekommen. 2017 wurde in Teheran die Schachweltmeisterschaft der Frauen ausgetragen - allerdings mit der Vorgabe für die Spielerinnen, ein Kopftuch zu tragen, weshalb etwa die amtierende Weltmeisterin Hou Yifan nicht antrat.

Das Spektrum der Veranstaltungen umfasst auch Lebendschach. (Foto: Christian Endt)

All das subsumiert Schweiger unter den Begriff der "Volksbildung", und die "zum Nulltarif", das sei es, was seine Stiftung wolle - auf allen Ebenen und für alle Altersgruppen. So gibt es eine Schulschachkiste, Ferienaktionen für Kinder, Workshops für Großeltern und Enkel, Filmabende, Lesungen, Vorträge etwa über Schach in der Literatur, Konzerte. Aber auch Kultur-Veranstaltungen ganz ohne Schach seien für die Zukunft geplant. "Der Anspruch, der ist uns schon wichtig."

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: