Süddeutsche Zeitung

Kabarettistischer Jahresrückblick:2019: Scheuer drin, Trump draußen

Messerscharf-poetische Betrachtungen: Holger Paetz setzt seine eigenen Prioritäten. Das Publikum in der Grafinger Turmstube belohnt's mit Zuspruch

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Ein Jahresrückblick, serviert von einem Kabarettisten und Dichter, das gibt ordentlich Futter für die grauen Zellen. Holger Paetz hat am Sonntagabend in der Turmstube der Grafinger Stadthalle ein paar Mal einen seiner kleinen Bände voll spitzer Lyrik zur Hand genommen - und damit geistreiche Raumteiler eingezogen in das Tohuwabohu, dass die Unruhestifter dieser Welt in den vergangenen zwölf Monaten angerichtet haben. Ein sehr lebensnaher Gedanke das, erinnern wir uns doch auf diese Weise daran, dass es nicht nur die globalen Schlagzeilen sind, die unser Leben übers Kopfsteinpflaster und in Sackgassen schicken, sondern gern auch wir selbst mit unseren menschlichen Schwächen, über die wir lieber nachdenken sollten, als sie zu twittern.

O Funzelzeit, o schwaches Licht,

das sich so früh vom Acker macht.

Man schaut zur Uhr und glaubt es nicht.

Es ist erst elf und wirkt wie acht.

Eisglatter Wortwitz, dreifache, eingesprungene Sprachberger, gedankliche Pirouetten - wie in seinen vierzeiligen Versen versteht es Paetz gekonnt, seine Zuhörer zu verblüffen und aus der Reserve zu locken. Selbst wenn seine Auseinandersetzung mit Verkehrsminister Scheuer in ihrer stetigen Wiederkehr dem einen oder anderen überdimensioniert erscheint, ritzt der Kabarettist immer wieder neue Kratzer ins sorgsam gepflegte Erscheinungsbild, so dass am Ende jede Ähnlichkeit zwischen Sein und Schein verloren ist. Man wünscht sich mitunter, es gäbe noch eine Zweite oder einen Dritten, der im Rückblick und unter dem scharfen Licht der Bühnenscheinwerfer so ausgeleuchtet würde. Aber besteht nicht unser aller Leben inzwischen aus selektiver Wahrnehmung?

Genau dies ist das Kriterium, an dem sich heute jeder Jahresrückblick messen lassen muss, sei er ernsthaft oder satirisch, gewogen oder kritisch. Der Sängerkrieg der Heidehasen war nichts im Vergleich mit dem Wettbewerb der Zuspitzungen, der social-medial tobt. Unter diesem Blickwinkel verdient Paetz alle Anerkennung dafür, dass er dem Geist noch ausreichend Raum gibt, sich zu entwickeln und zu entfalten - und dass es damit kein Aus-Lachen ist, das dem Publikum entströmt, sondern ein Be-Lachen.

"So schön war's noch selten", lautet der Titel von Paetz' Betrachtung dessen, was jüngst und angeschlagen hinter uns liegt. Ganz im Gegensatz zur bräsigen Sofa-Phrase arbeitet er sich aber mit fliegender Eile und scharfem Seziermesser durch den OP der Dumm- und Grausamkeiten, die uns beschäftigt, gelegentlich auch berührt haben. Dass er dabei dem Eurovision Song Contest genauso wenig Zeilen beimisst wie dem Brexit, obwohl beide Male das Vereinigte Königreich den Anschluss verloren hat, spricht für den souveränen Umgang mit Subjektivität. Er kann sich ja nicht um alles kümmern, signalisiert das, obgleich der rote Ordner, den Paetz einem Evangeliar gleich vor sich hält, ein dokumentatorisches Verhältnis zum Weltgeschehen andeutet. Nix da! Selbst ein Trump muss sich da so weit hinten im Album anstellen, dass er am Ende herausfällt.

Schier unendliches Vergnügen bereitet dabei die Sprachkunst, entsprungen der kabarettistischen Lust und der dichterischen Kunst, die in Nebensätzen kostbare Gedanken versteckt oder in Pointen mitunter grandiose Doppelbödigkeit einflicht. Zartschmelzend wie ein Camembert sei das Profil von Markus "Demut" Söder inzwischen geworden, nimmt Paetz vermeintliche Liebenswürdigkeit genauso aufs Korn wie die Blasiertheit: "SPD - das ist wie beim Italiener, wenn der Kellner mit der Pfeffermühle kommt: Warum nicht? Wenn's schon mal da ist..."

Mit feinem Gespür für kulturelle und zwischenmenschliche Irrungen nutzt der Kabarettist die gleiche Technik, die er beim Segelschulschiff Gorch Fock in Frage stellt - "welche Strategie der Kriegsführung soll da sein: Geräuschlos anschleichen und überrumpeln?" - um Modeerscheinungen wie das "Wegbier" aufzuspießen, jenem handwarmen Missbrauch eines erfrischenden Kulturgutes, bevorzugt von "blöd gebliebenen Nuckelflaschenträgern" gepflegt. Auch SUV-Fahrer bekommen ihr Fett weg, aber weniger für die Großmannssucht, der sie anhängen, sondern wegen ihrer Hasenfüßigkeit: "Die hupen ängstlich, weil ihnen die Parkhäuser zu klein sind." Nein, Paetz ist kein lieber Mensch, aber auch kein misanthropischer Zyniker. Ein aufrechter Moralist vielmehr, einer, der Widersprüchen die Maske vom Gesicht zieht und den Menschen so aufmerksam zugetan ist, wie sie es fordern und verdienen. Eine angemessene Form, ein Jahr zu bilanzieren - von der gut gefüllten Turmstube mit lang anhaltendem Beifall und Zuspruch belohnt.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2019
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