Kabarett:Wahnsinn, digital und analog

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Michael Altinger und Mathias Tretter sind im Alten Kino Ebersberg gern gesehene Gäste. Kinochef Markus Bachmeier freut sich über die Kabarettisten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Michael Altinger und Mathias Tretter widmen sich bei ihrem gemeinsamen Kabarettabend im Alten Kino auf jeweils eigene Art den Auswüchsen sozialer Netzwerke und dem Verfall der Sprache

Von Rita Baedeker, Ebersberg

War ja klar, dass die beiden Kabarettisten Michael Altinger und Mathias Tretter die Präsenz der Kameras im Alten Kino als Steilvorlage für ein Vorspiel auf der Bühne nutzen würden. "Ihr wollt's eich bloß im Fernsehen sehn, was mir auf der Bühne machen, is eich scheißegal", sagt Altinger in Richtung Publikum, das brav ein mehrmaliges Probeklatschen abliefert. Auch Lacher würden noch gebraucht! Denn gesendet werde das Ganze nur, wenn das Publikum gut ist, fügt er hinzu, um dann festzustellen: "Ihr seid's wilde Bestien!" Die "Bestien", so die Bilanz des Alten-Kino-Teams, haben dem Haus an allen drei Abenden, die vom BR aufgezeichnet wurden, ein volles Haus beschert.

Lacher gibt es gleich im Dutzend, als der Oberbayer Altinger und der Unterfranke (Würzburg) Tretter, einen auf Werner Herzog und Klaus Kinski machen. Tretter zeigt, wie man den einstigen dämonischen Film-Bösewicht imitiert - etwa, wenn wer an der Tür klingelt, dem man keinesfalls aufmachen will: Zunge beim Reden unter der Oberlippe kreisen lassen! Und Altinger parodiert die hypnotische, sanft vibrierende Stimme des Film-Regisseurs. Eine herrliche Aufwärmübung ist das!

Ein paar Sketche später trennen sich die beiden, um jeder für sich ihre - deutlich verkürzten - Programme zu spielen. Oberflächlich betrachtet, haben sie nicht viel gemeinsam. Der eine, Altinger, gibt den Springteufel, lässt auch mal die Hosen runter, wenn ein Witz es erfordert, während Tretter, im Jackett und schüchtern wirkend, lange Textbögen spinnt, die urplötzlich und zielgenau ihr Gift verspritzen.

Thematisch trennt sie hingegen nicht so viel: Beide widmen sich dem digitalen Wahnsinn ebenso wie dem analogen Blödsinn. Altinger hat in seinem Programm "Ich sag's lieber direkt" seine "Band" in Person von Martin Julius Faber dabei, der nicht nur für die Musik, sondern auch als Projektionsfläche für Altingers cholerisches Bühnentemperament und seine surrealen Fantasien herhalten muss. Tretter wiederum wird später mit den von ihm verkörperten Figuren Ansgar und Rico fränkelnd und sächselnd ein "asoziales Netzwerk" gründen.

Einer wie Michel Altinger, der als Jugendlicher ein "ungeschliffener Diamant", das heißt "ein Depp", gewesen ist, bevorzugt die direkte Rede und die klare Ansage. Deshalb fühlt er sich im Schlamm neumodischer Begrifflichkeiten ganz schön verloren. Zum Beispiel wäre er beinahe im Hallenbad ertrunken, weil er das Wort "Beckenbodengymnastik" falsch verstanden hat. Altinger will kein Netflix-Abo, keinen Kindle, keine US-Serien. Er will ein Buch, das er bei Nicht-Gefallen zerreißen kann, und er will sich beim Fernsehen ungestört ärgern dürfen. So wie früher in Strunzenöd, als es noch Semmeln mit echtem Bierschinken gab, und man, wenn man sich verfuhr, wildfremde Leute nach dem Weg fragen konnte, ohne vorher eine Freundschaftsanfrage auf Facebook zu posten. Altingers Bühnen-Ego ist anarchisch, manchmal lieb und sehr lustig.

Mathias Tretter, der mit Wagnerschem Bombast aus dem "Fliegenden Holländer" die Bühne betritt, kann in seinem Soloprogramm "Selfie" sozialen Netzwerken durchaus auch Positives abgewinnen. "Alle Arschlöcher halten nun endlich den Mund, weil sie mit Tippen beschäftigt sind." Oder mit der Anfertigung eines "Selfie" unter Zuhilfenahme des "Selbstporträt-Erektils", quasi eines Smartphones am Stock. Auch dem Diaabend hätten die neuen Medien den Garaus gemacht. Alle Formen der Selbstbespiegelung dekliniert er durch: Etwa wenn er überlegt, eine eigene Duftlinie zu entwickeln und nach der Vorstellung Deos statt CDs zu verkaufen. Denn eines seien Komiker niemals: schön! "Es gibt die Schönen und die Lustigen, zwischen ihnen existiere keine Schnittmenge." Lustige Schöne und schöne Lustige gebe es nicht. Nur unschöne Unlustige - "und die schließen sich einer Partei an".

Womit er bei der Politik angekommen ist und bei Angela Merkel, deren stürzende Mundwinkel ihm nach zehn Jahren Parodie eine "Merkel-Lähmung" eingetragen haben. Zwar ist Tretters Kanzlerinnen-Spott nicht unoriginell, trotzdem: Irgendwie ist die Nummer ausgelutscht, lähmend eben. Ätzend wird Tretter, wenn er der Ursache von Terroranschlägen und dem Wüten des IS auf den Grund geht. Um den Terror in Frankreich wirksam zu bekämpfen, sagt er, hätte Hollande Brüssel bombardieren müssen, die Griechen wären dabei gewesen. Und Selbstmordattentätern mit Waffengewalt zu drohen, sei ungefähr so sinnvoll wie Sterbehilfe bei Lemmingen.

Der Drang zur Selbstinszenierung, so Tretters Beobachtung, reicht bis zur Willkommenskultur, die "endlich wieder Platz im Kleiderschrank" schaffe. "Da kommt so ein gebeutelter Flüchtling aus Aleppo und läuft dann in einer gebatikten Latzhose mit der Aufschrift ,Petting statt Pershing' herum." Es sind Sätze wie dieser, die hinter Fassaden blicken lassen, Sätze, die weh tun und ins Schwarze treffen.

Befreites Gelächter ist erst wieder möglich, als Tretter zusammen mit Ansgar und Rico allerlei Modekrankheiten erörtert vom Hefepilz "Candida albicans" übers Burnout zur Laktose-Intoleranz. Höhepunkt aber ist seine Parodie auf die aberwitzige "Ökonomie" der Internet- und Jugendsprache. Mittels seiner Faust-Lesung in eineinhalb Minuten öffnet er, um mit Harry Potter, einer Fantasy-Version des Goetheschen Gelehrten zu sprechen, eine Kammer des Schreckens. Darin verdorrt die Literatur zu Kurz-Mitteilungen wie: "Lösch die alte, es gibt noch ne zweite Staffel" (gemeint ist Faust II). Der Applaus für beide Kabarettisten ist laut und langdauernd, da kann sich der BR über einen Mangel an O-Tönen nicht beschweren.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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