Süddeutsche Zeitung

Kabarett aus Grafing:Satire unterm Hakenkreuz

Sebastian Schlagenhaufer hat zusammen mit dem Pianisten Ramon Bessel ein neues Programm aus Worten und Musik ersonnen: "Operation Heil-Kräuter" widmet sich der Kabarettszene zur Zeit des "Dritten Reichs"

Von Anja Blum

Wenn man von einem fast Hundertjährigen eine Empfehlung bekommt, dann ist dies schon bedenkenswert. Findet zumindest Sebastian Schlagenhaufer. Die Rede ist von Adalbert Mischlewski, angesehener Historiker und Ehrenbürger Grafings. Beide Männer waren vergangenes Jahr als Autoren in die Bücherstube Slawik eingeladen, der Ältere sprach beredt über seine bewegenden Erinnerungen, auch an den Zweiten Weltkrieg. Der Jüngere hingegen hatte eigentlich etwas Humorvolles vorbereitet, "aber das hätte nach Mischlewskis Auftritt überhaupt nicht mehr gepasst". Also, was tun? Da erinnerte sich Schlagenhaufer an einen kurzen Vortag über Kabarett im Schatten des "Dritten Reichs", den er mal beim Kreisjugendring gehalten hatte, nutzte die Pause in der Bücherstube, holte die Unterlagen - und improvisierte. Offenbar sehr erfolgreich, denn danach habe ihn Mischlewski ermutigt, die Idee eines entsprechenden Programms unbedingt wieder aufzunehmen: "Humor ist eine tolle Methode, Wissen zu vermitteln", habe er gesagt.

Also begann Sebastian Schlagenhaufer vor einem Jahr, sich in das Thema einzulesen, einzudenken, einzugraben. Nicht als Historiker, der Grafinger kommt ursprünglich aus der Naturwissenschaft, sondern aus der Sicht eines Künstlers, wie er selbst einer ist. Trotzdem sei das so entstandene Material fundiert recherchiert, erklärt der 40-Jährige, er habe allerhand antiquarische Bücher gekauft, in der Staatsbibliothek geforscht und zu allen Aussagen Quellenverweise hinterlegt.

Herausgekommen ist "Operation Heil-Kräuter", ein Abend aus Worten, Musik, Szenischem und Information, man kann Originaltexte hören und Chansons, dazwischen wird der historische Kontext erläutert. Das Programm sei so humorvoll wie bewegend, sagt der Autor: Der Witz entsteht allein durch die "hervorragenden Pointen" von damals, und wer ein Herz hat, den wird dieser "Ritt auf der Rasierklinge" wohl nicht kalt lassen. Schlagenhaufer zur Seite steht dabei Ramon Bessel, ein "musikalisch wie sprachlich ausgezeichneter" Pianist und Liedermacher aus Ismaning. Auch ihn habe das schwierige Thema schnell gepackt, erzählt Schlagenhaufer, so dass aus dem rein musikalischen Partner ein echter Verbündeter geworden sei.

Klar ist: Genauso wie Literatur und bildende Kunst hatte es das Kabarett sehr schwer im "Dritten Reich", die Nazidiktatur zensierte, gängelte und bedrohte unliebsame Kreative. Es gab zahllose Berufsverbote, viele Bühnen wurden geschlossen oder arisiert, sprich mit Nazi-Intendanten besetzt. "Am Ende herrschte einfach nur mehr Willkür", erklärt Schlagenhaufer, da habe als Begründung eine vermeintliche "Verletzung des künstlerischen Empfindens" ausgereicht. Manche Kabarettisten bezahlten ihr Schaffen gar mit dem Leben, der Österreicher Fritz Grünbaum etwa starb 1941 im KZ Dachau. Denn für Wortkünstler sei es ja ungleich schwieriger gewesen, ins Exil zu gehen - waren sie doch auf Bühnen und ein Deutsch sprechendes Publikum angewiesen, gibt Schlagenhaufer zu bedenken. Also seien viele in Deutschland, Österreich oder der Schweiz geblieben.

Die "Operation Heil-Kräuter" führt tief hinein in das Leben und Wirken der damaligen Humoristen, "wir wollen das Thema auf eine sehr persönliche Ebene bringen und Sachen vorstellen, die man nicht so kennt", sagt der Autor. Die Nachrichter zum Beispiel seien eine bemerkenswerte Münchner Gruppe gewesen, die bereits 1935 verboten worden sei. "Aber über die habe ich bislang nur eine einzige Quelle gefunden: eine Schallplatte aus den 50ern, die aber glücklicherweise nicht nur Lieder enthält, sondern auch Erinnerungen."

Von Schlagenhaufer und Bessel vorgestellt werden nur solche Kabarettisten, die mit ihren Worten Widerstand leisteten, die das System mal sehr politisch, mal eher oberflächlich hinterfragten. Da habe es ein paar sehr Mutige gegeben - Werner Finck etwa sei so ein Freigeist gewesen, "der sich nicht einmal bei seiner Verhaftung beherrschen konnte" - aber generell hätten die meisten Kabarettisten ihre Kritik ziemlich zwischen den Zeilen versteckt, sagt Schlagenhaufer. Klar, die Bedrohung für jeden Einzelnen war groß. Deshalb wurden zum Beispiel meist keine Namen genannt, Joseph Goebbels etwa sei nur der "Herr Doktor" gewesen, oder der "Garten Eden" eine Anspielung auf den damaligen britischen Außenminister Anthony Eden.

Wegen dieser Verklausulierungen jedoch sei es mitunter sehr schwer, die Texte zu entschlüsseln, so Schlagenhaufer. Zum Beispiel: "Wer ist Onkel Emil, von dem die Nachrichter singen? Kann das der Widerständler aus Berlin mit eben diesem Tarnnamen sein? Kannten die sich? Haut das zeitlich hin?" Insofern gebe es durchaus noch einige offene Fragen in der "Operation Heil-Kräuter", aber wer weiß, vielleicht klären sich auch diese irgendwann. "So ein Thema lässt einen nicht mehr los, dieses Programm kann noch wachsen", sagt der Grafinger Künstler - möglicherweise dank Hinweisen aus dem Publikum? Sogar über ein Begleitheft denkt Schlagenhaufer nach, schließlich solle der Abend Interesse an dem Thema wecken und zum Weiterdenken anregen.

"Darf man über Hitler lachen?" Das werde er oft gefragt, wenn er von seinem neuen Programm erzähle, berichtet Schlagenhaufer. "Aber die Antwort darauf haben die Autoren von damals ja schon gegeben." Sie laute: Ja, wenn es nicht leichtfertig geschehe. "Im Grunde kommt mir Hitler zu oft vor in der heutigen Unterhaltungsbranche, und zwar auf ziemlich unreflektierte Weise", so der Grafinger. "Er ist keine lächerliche Witzfigur, sondern hat ein absolutes Terrorregime installiert, das darf man nie vergessen!" Seine Motivation für die "Operation Heil-Kräuter" sei aber nicht nur historisch-politischer, sondern auch künstlerischer Natur: "Es sind damals einfach sehr, sehr tolle Texte, Lieder und Szenen entstanden, die nicht in Vergessenheit geraten sollten." Zum Beispiel die "Briefe des Gefreiten Hirnschal", die die BBC jahrelang auf Deutsch gesendet und damit Millionen Hörer erreicht habe: "Wie dieser brave Soldat die Nazipropaganda absolut wörtlich nimmt, das führt das Ganze einfach herrlich ad absurdum." Der Titel des Programms übrigens ist einem Spruch Karl Valentins entliehen: "Hitler kann froh sein, dass er nicht Kräuter heißt. Sonst müssten wir immer Heil Kräuter rufen." Den Scherz habe der berühmte Münchner aber erst 1946 gemacht - "Valentin war kein sonderlich mutiger Mensch, er kam während der Diktatur nie über einen leicht kritischen Ton hinaus", stellt Schlagenhaufer klar. Verurteilen indes wolle er das nicht - "da tun wir uns ganz schön leicht heute".

Die Lehren aus der Geschichte sollten vielmehr andere sein: "Für mich war die Arbeit an diesem Programm eine echte Bereicherung", sagt Sebastian Schlagenhaufer. Vieler der Zeitdokumente - etwa eine Witze-Sammlung mit dem Titel "Das verspottete Tausendjährige Reich" - gäben einen tiefen Einblick in den schwierigen Alltag von damals, außerdem "baut man zu den Protagonisten mit der Zeit eine sehr persönliche Beziehung auf, man bewundert sie, leidet mit, spürt ihre Verzweiflung". Das nehme einen schon mit. Andererseits, so der 40-Jährige, habe er dank der "Operation Heil-Kräuter" nun noch mehr Gelassenheit gegenüber der vermeintlichen "Corona-Diktatur" entwickelt. "Mir ist wieder bewusst geworden, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht - was ja selbst heute überhaupt nicht selbstverständlich ist." Letztendlich aber zeige die Beschäftigung mit Kabarett im Schatten des "Dritten Reichs" Eines ganz deutlich: "Diese ganze Verbieterei bringt gar nichts. Es gibt immer Menschen, die nachdenken - und dann lachen."

An diesem Freitag, 25. September, gibt es bei den "Radiospitzen" auf Bayern 2 ein Interview zur "Operation Heil-Kräuter". Die Sendung beginnt um 14.05 Uhr. Premiere feiert das Programm am Freitag, 9. Oktober, im Münchner Hofspielhaus. Am Samstag, 31. Oktober, ist es beim Theaterverein Markt Schwaben zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 25.09.2020
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