Süddeutsche Zeitung

Kabarett :Groß im Scheitern

Lesezeit: 2 min

Der Kabarettist Stefan Waghubinger zeigt auf einem Dachboden, dass Lachen, Weinen und Staunen oft nahe bei einander liegen

Von Simon Gross, Grafing

Ein paar ineinander geschachtelte Holzstühle auf zwei Tischen, ein paar abgegriffene Koffer, ein verstaubter Teppich und ein Stapel uralter Fernsehzeitschriften, mit denen sich Stefan Waghubingers literarisches Ich als Kind immer die Zeit vertrieb, wenn seine Eltern ihn zur Strafe auf den Dachboden schickten: Das ist das Bühnenbild, in das der österreichische Kabarettist mit einer Umzugskiste poltert. Damals, wenn er mal wieder etwas falsch gemacht hatte und eigentlich über seine Fehler nachdenken sollte, blätterte er in der Vergangenheit.

Das Vergangene und sein Konflikt mit der Gegenwart, so könnte man sagen, ist eines der immer wiederkehrenden Themen an diesem Abend. Das ist nicht immer witzig, muss es aber auch nicht sein. In der Turmstube der Grafinger Stadthalle lädt Waghubinger mit seinem Programm "Jetzt hätten die guten Jahre kommen können" die gut 30 Zuschauer auf den fiktiven Dachboden seiner Eltern ein. Von seiner Frau verlassen und aus der gemeinsamen Wohnung geschmissen, kehrt sein Protagonist desillusioniert zurück, um seine Sachen zu verstauen. Und zieht unterm Dach gnadenlos Bilanz über sein Leben, die Gesellschaft, den Zeitgeist, Gott und die Welt.

Letzteres muss dabei sowohl im übertragenen Sinn als auch wörtlich verstanden werden. Denn das Stück ist einerseits thematisch kaum einzugrenzen: Waghubinger springt munter von Kindheitserinnerungen zu skurrilen Alltagsbeobachtungen oder Gesellschaftskritik. Er beschäftigt sich aber auch zu einem Gutteil mit den Widersprüchen der menschlichen Existenz und des Glaubens, genauso wie mit den Unfassbarkeiten der naturwissenschaftlichen Welt: Schrödingers Katze lässt grüßen. Das wirklich Besondere ist aber nicht unbedingt der abrupte Wechsel zwischen den verschiedenen Themen, sondern vielmehr die Wankelmütigkeit des einfältig, naiven, ja dümmlich gezeichneten Charakters, der es binnen Sekunden vermag, Komik in Melancholie und Belangloses in Existenzielles zu verwandeln - und umgekehrt. Die gescheiterte Figur verfällt im einen Moment in zynische Gleichgültigkeit, nur um im nächsten mit kindlichem Interesse über seine eigene Betrachtung zu staunen. Und immer wieder verstecken sich kleine und große philosophische Fragen dazwischen.

Leider taucht dort aber auch der eine oder andere schnelle Witz auf, der so oder so ähnlich schon einmal erzählt wurde, besonders, wenn es um von Kollegen bereits ausgiebig beackerte Themen wie Mann und Frau geht. Ebenfalls passt eine cartoonhaft daherkommende Religionskritik nicht so ganz zum restlichen Sound des Stücks, der besser, weil subtiler und immer mit einem Fragezeichen versehen ist. Waghubinger geizt auch nicht an Wortwitzen, die mal originell, mal vorhersehbar sind. Doch seine Rolle hält der Kabarettist in ihrer Überzeichnung konsequent bis zum Ende durch. Man nimmt dem armen Mann die grundlegende Enttäuschung, den sogenannten Weltschmerz, ab - und zwar so sehr, dass man sich fragt, wie der echte Waghubinger die Welt wohl eigentlich sieht, wenn er die Bühne verlässt.

Der Österreicher ist immer dann am stärksten, wenn am Ende nicht der Witz, sondern das Wundern steht. Wenn er es schafft, die Zuschauer auf Gedankenpfade mitzunehmen, die sie vorher noch nicht gedacht haben. Etwa als er davon erzählt, wie er einen Sonnenschirm aufspannt und er Mitgefühl für den Sonnenstrahl empfindet, der die ganze Distanz durch das Weltall zurücklegen muss, nur um dann, einen Moment zu spät, an einem Schirm abzuprallen. Oder wenn er durch einen leeren Bilderrahmen schaut und feststellt, dass die Welt als Bild meist schöner aussieht. In diesen Momenten ist das Staunen fast greifbar und die Stille keine Reaktion auf einen versemmelten Gag, sondern Ausdruck einer tiefen Verwunderung.

Waghubinger spielt auch gerne mit seinem Publikum, zum Beispiel wenn er verdeutlicht, wie berühmt er werden möchte - indem er eine Liebesgeschichte erzählt. Die Zuschauer folgen ihm auf der Fährte, von der sie bald schon gar nicht mehr wissen, wie sie dorthin hingelangten. Als die romantische Spannung den Höhepunkt erreicht, reißt der geschickte Erzähler sein Publikum mit einer absurden Pointe abrupt aus der romantischen Szene, und man muss sich eingestehen: Er hat mich gerade erwischt.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019
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