Süddeutsche Zeitung

Jubiläum in Poing:Gewaltiger Spagat

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Staatsministerin Michaela Kaniber wirbt zum 70. Geburtstag des Tiergesundheitsdienstes in Grub um Verständnis für die Landwirtschaft. Sie fordert die Bereitschaft der Verbraucher ein, für verbesserte Haltungsbedingungen auch mehr zu zahlen

Von Alexandra Leuthner, Poing

Am Anfang waren die Rinder. 1949 wurde der bayerische Rindergesundheitsdienst als Selbsthilfeeinrichtung der bayerischen Landwirtschaft gegründet. Davor gab es bereits Versuche der bayerischen Bauern, gemeinsam gegen Viehkrankheiten und -seuchen vorzugehen, etwa in den 20er Jahren gegen die Schafräude. 1936 wurde dann ein Geflügelgesundheitsdienst gegründet. Doch erst der Rindergesundheitsdienst gilt als Grundstein für den seit Anfang der 70er Jahre in Grub ansässigen Tiergesundheitsdienst Bayern (TGD). Mittlerweile kümmert er sich längst auch um Schweine, Kleintiere, Pferde, Fische und, seit 2015, um Bienen. Und die Anforderungen haben sich seit Oktober 1949, als die BRD erst ein paar Monate alt war, ungemein verändert.

Dass die Tiergesundheit im Hinblick auf die Produktion tierischer Nahrungsmittel aber auch auf das Tierwohl heute eine bemerkenswert andere Rolle spiele als vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, konnten die Redner beim Festakt zum 70. Geburtstag der Einrichtung gar nicht genug herausstellen. Stichworte sind etwa prophylaktische Antibiotikabehandlung wegen zu enger Stallhaltung, das Töten von männlichen Küken oder die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung. Die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz der landwirtschaftlichen Tierhaltung lasse die Bauern heute manchmal "erschaudern", sagte die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) vor etwa 50 geladenen Gästen. All zu oft werde fachlich nur schwer nachvollziehbare Kritik geübt, an langjährig bewährten Produktionsverfahren etwa, die man gerade eben noch für richtig gehalten habe. Es könne nicht sein, so die Ministerin, "dass wir von unseren Landwirten verlangen, dass sie alle zwei bis fünf Jahre neue Ideen umsetzen". Das halte der wirtschaftlich gesündeste Betrieb nicht aus. Und doch müsse die Frage, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehe, in gesellschaftlichem Konsens gelöst werden, basierend auf wissenschaftlichen Untersuchungen und so, dass sie wirtschaftlich für die Landwirte tragfähig sei - wozu der Tiergesundheitsdienst in Grub seit Jahrzehnten seinen Beitrag leiste.

Dass die Skepsis weiter Teile der Bevölkerung an mancher Stelle ihren Grund habe, räumte Walter Heidl, Chef des TGD und Präsident des Bayerischen Bauernverbands, ein. Er nannte den Einsatz von Antibiotika als Beispiel. Doch, kritisierte er, werde die Debatte um die Nutztiere oft unverhältnismäßig emotional geführt. Bei Katzen etwa rate der Tierschutzbund zur Kastration, um die Tiere dem Leben als Haustier anzupassen, bei Ferkeln aber werde hitzig darüber diskutiert. Nicht die Landwirte allein könnten die gesellschaftlich gewünschten Veränderungen tragen, ließ Ministerin Kaniber durchklingen. Eine Tierhaltung, die dem Tierwohl gerecht werde, sei nicht umsonst zu haben. "Wir diskutieren darüber, wie wir den Verbraucher wieder einfangen können, aber da muss dann auch die Bereitschaft gegeben sein, für mehr Tierwohl auch mehr zu bezahlen." Da letztendlich nur gesunde Tiere gesunde Nahrungsmittel liefern könnten, könne auch nur mit ihnen wirtschaftlicher Erfolg erzielt und der Konkurrenz von tierischen Lebensmitteln aus dem Ausland entsprechend begegnet werden.

Hier sei der TGD mit seiner Beratung und Aufklärung über Produktionshygiene, mit Qualitätskontrollen, Diagnostik und Laboruntersuchungen sowie seiner Forschung eine wichtige Stütze. So sei der TGD als Gründungsmitglied des Bayerischen Aktionsbündnisses gegen Antibiotikaresistenzen ein "unverzichtbarer Partner bei unserem Bemühen, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu reduzieren", erklärte Kaniber. 2010 sei die Gruber Einrichtung entscheidend an der erfolgreichen Bekämpfung der Bovinen Virusdiarrhoe (BVD) beteiligt gewesen.

Zur Zeit arbeite der TGD gemeinsam mit der Universität Zürich an einer vom Freistaat geförderten Studie zur Kastration von Ferkeln unter lokalen Betäubung, die von den Landwirten selbst verabreicht werden kann. Tierärzteverbände lehnen diesen sogenannten vierten Weg - es gibt noch drei andere Methoden zur schmerzfreien Kastration - aber ab. Bisher habe sich Bayern allein für diesen Weg ausgesprochen. "Mir als Verbraucherin", so Kaniber, "wäre dieser Weg der liebste."

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SZ vom 12.07.2019
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