Jubiläum in Ebersberg:Klein und unbequem

Jubiläum in Ebersberg: Zwei Frauen, die die Arbeit der ÖDP in den vergangenen Jahren stark geprägt haben: Rosi Reindl (links) und Johanna Weigl-Mühlfeld im Jahr 2008. Stolz präsentieren sie das Plakat, das die ÖDP bekannt gemacht hat.

Zwei Frauen, die die Arbeit der ÖDP in den vergangenen Jahren stark geprägt haben: Rosi Reindl (links) und Johanna Weigl-Mühlfeld im Jahr 2008. Stolz präsentieren sie das Plakat, das die ÖDP bekannt gemacht hat.

(Foto: Christian Endt)

Der ÖDP-Kreisverband feiert sein 30-jähriges Bestehen. Wichtige Themen aus der Anfangszeit spielen auch heute noch eine große Rolle: ökologische Landwirtschaft und lokale Wertschöpfung

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Den Löwen zwickt's am Allerwertesten. Den Grund kann er so einfach nicht erkennen. Denn der Kopf ist weit oben. Mit seinem weiß-blauen Rautenmuster auf dem Rücken steht er für die CSU. Der kleine Reißnagel, der den Löwen zwickt, für die ÖDP, die Ökologisch-Demokratische Partei. Daneben steht: "Auch ein kleiner Reißnagel kann einen großen Hintern bewegen." Das Wahlplakat aus den 1980er Jahren macht die Partei schlagartig bekannt.

So schlagartig geht das beim dieser Tage vor 30 Jahren gegründeten Ebersberger Kreisverband nicht. Aber warum auch? Lautstärke, so erzählt die langjährige frühere ÖDP-Kreisrätin Johanna Weigl-Mühlfeld aus Baiern, sei noch nie Stilmittel der Ebersberger ÖDP gewesen.

Ein Blick ins Archiv des Jahres 1990 gibt ihr recht. Der neue Spieler auf dem politischen Landkreisparkett kommt ziemlich entspannt daher. Anstatt ums dagegen sein geht's ums dafür sein. Für ökologische Landwirtschaft und lokale Wertschöpfung zum Beispiel. Also produziert der Kreisverband einen Einkaufsführer für Bio-Produkte im Landkreis.

Auch der ÖDP-Kreisverband lässt sich als Nachwirkung der grünen Bürgerbewegung aus den 1980er Jahren interpretieren. "Vielen - auch mir - sind die Grünen zu weit links gewesen", erinnert sich Weigl-Mühlfeld. Mit der ÖDP tat sich eine Ebersberger Alternative auf, die nicht gleich das tiefschwarze Gewand anzog.

Gerade zu den Grünen zieht Weigl-Mühlfeld auch heute noch zwei klare Grenzen. Zum einen, und das meint Weigl-Mühlfeld durchaus vorwurfsvoll, würden die Grünen im Gegensatz zur ÖDP Parteispenden von Konzernen annehmen. "Für mich ist es eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, eine Abhängigkeit, die dadurch entstehen kann, überhaupt nicht erst zuzulassen."

Zum anderen gebe es bei der ÖDP neben dem Fokus auf die Umweltpolitik einen klaren Familienfokus, Stichwort: Erziehungsgehalt. Die Partei will es an den durchschnittlichen Arbeitnehmer-Bruttolohn anlehnen und je nach Anzahl der Kinder unter sieben Jahren prozentual ausbezahlen. Bei einem Kind zur Hälfte, bei zwei Kindern zu drei Vierteln und bei drei Kindern komplett. "Kinder zu erziehen ist eine Aufgabe wie ein Beruf", sagt Weigl-Mühlfeld. Also sollte sie auch entsprechend behandelt werden.

Um solche Fragen der politischen Metaebene geht es in der Landkreispolitik freilich weniger. Wohl aber darum, wie sie sich die konservativ-ökologische Denkweise auf die lokale Ebene herunterbrechen lässt. Dabei war die ÖDP im Landkreis Ebersberg durchaus erfolgreich: Die Auflösung der Cliniservice GmbH in der Kreisklinik zum Beispiel geht auf eine Initiative des Kreisverbands zurück. Seither werden die Pflegekräfte wieder nach Tarif bezahlt. Auch eine Petition gegen die Briefkastenfirmen im gemeindefreien Landschaftsschutzgebiet im Ebersberger Forst startete die ÖDP, in den zuständigen Kreis-Gremien gab es dafür allerdings keine Mehrheit. Oder der stetige Druck, die Energiewende ernsthaft anzugehen - und auch auf bisweilen unpopuläre Gewinnungsformen wie Windenergie nicht zu verzichten.

Trotzdem ist die politische Metaebene gerade bei der Kreisvorsitzenden Rosi Reindl die bestimmende Leitlinie. Wo sie argumentiert, ist es zum Begriff der Postwachstumsökonomie nie weit. "Alles redet vom Wachstum und meint damit materielles Wachstum", sagt sie. Noch größeres Auto. Noch schärferer Fernseher. Noch besseres Smartphone. "Das ist doch ein Hintergrund, vor dem die Zwischenmenschlichkeit total auf der Strecke bleibt." Auf Reindls "Ja" zum ausreichenden Auskommen folgt ihr, frei nach Gandhi, "Nein" zur grenzenlosen Gier.

Das prozentuale Wirtschaftswachstum als Gradmesser für den Wohlstand der breiten Bevölkerung? Reindl glaubt nicht dran. "Unendliches Wachstum kann es doch auf einem endlichen Planeten gar nicht geben", sagt sie - und gesteht ein: "Ich tu mich echt schwer damit, dass wir damit so schwer durchdringen." Vielleicht kommt für Reindl deshalb an diesem Punkt die Politik ins Spiel: Wenn die Erkenntnis bei der Menschheit nicht von selbst reife, brauche es eben gesetzlichen Druck. Zum Beispiel mit einem am besten europaweiten Lieferkettengesetz: Unternehmen, die entlang ihrer Lieferketten Schäden an Mensch und Umwelt in Kauf verursachen oder in Kauf nehmen, müssten dafür in die Haftung genommen werden.

Den Spagat zwischen Weltverbesserung und lokalpolitischem Realismus im Kreistag weiterzuführen liegt im Landkreis nun vor allem an den beiden neuen ÖDP-Kreisräten Renate Glaser aus Glonn und Karl Schweisfurth aus Herrmannsdorf.

Das Plakat mit dem Löwen und dem Reißnagel aus den 1980er Jahren hat derweil eine aktuelle Abwandlung erhalten. Eine kleine kecke Biene sticht diesmal in das Hinterteil des Löwen hinein. Gemeint ist das von der ÖDP initiierte "Volksbegehren Artenvielfalt", das an der Unterschriftenanzahl gemessene bisher erfolgreichste Volksbegehren in Bayern. Der Löwe war erst dagegen - nahm es dann aber per Landtagsbeschluss an.

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