Süddeutsche Zeitung

Ignasi Terraza:Reise ins Innere der Musik

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Der Pianist Ignasi Terraza begeistert in der Musikschule

Von Claus Regnault, Ebersberg

Der Samstagnachmittag des großartigen EBE-Jazz 17 war ausgefüllt mit zwei Veranstaltungen, deren erste durch ein Gespräch mit Festivalleiter Martin Zenker bestritten wurde. Zenker ist nicht nur wegen seines Professorentitels, errungen im außereuropäischen Ausland, in Südkorea und Ulan Bator/Mongolei, der Kopf auch der heimischen Jazzinitiative. Vor einer großen offenbar kundigen Zuhörerschaft sprach er über das, was Jazz für ihn ist, nämlich Kommunikation und gegenseitige Inspiration auf der Basis der klassischen Blueskadenz.

Freejazz dagegen ist für ihn eine zwar interessante, aber eher spannungslose Entwicklung des Jazz, während die Kadenz mit Tonika, Dominante und Subdominante gerade für ihn, den Kontrabassisten, das eigentliche Vehikel der Spannung ist, denn sie führt zurück zur Tonika wie zu einem Tor, durch welches Spieler wie Hörer nach Hause kommen. Sein Instrument ist nicht nur Fundament, sondern auch Bindeglied zwischen Schlagzeug/Rhythmus und dem Gesang der Melodieinstrumente. Zenker zeigte sich als konzentrierter Zuhörer und gab auf die Fragen des Publikums einleuchtende Antworten. Ein souveräner Beherrscher seines Mediums.

Ihm folgte einer der Höhepunkte des Festivals, der Auftritt des blinden, katalonischen Pianisten Ignasi Terraza. Überhaupt war dieses Festival eine Parade großartiger Jazzpianisten, beginnend am Vorabend mit dem Leiter der beiden Jamsessions, dem schottischen Pianisten David Patrick. Er ist stilistisch ein Allroundmusiker, der technisch perfekt und einfallsreich, vor allem bei bluesigen Themen improvisiert und der in einem Crossover-Experiment, seiner Bearbeitung von Strawinskys "Sacre du Printemps" schon einigen Ruhm erlangt hat, allerdings begrenzt durch das kaum verständliche Verbreitungsverbot der Familie Strawinsky für diese hoch interessante Version eines Klassikers der neuen Musik. Er ist, wie gesagt, Schotte, beteuert aber - der Brexit scheint eine Stellungnahme nahe zu legen -, mehr Europäer als Brite zu sein.

So geht es in diesen Zeiten auch dem ständige Kompagnon Martin Zenkers, der gleichfalls schottische Pianist Paul Kirby, dessen fein gesponnene, luftdurchlässige Improvisationen einen ausgesprochen eigenpersönlichen Stil gewonnen haben. Er war auch Begleiter des großartigen Sängers und Scat-Virtuosen Kenny Washington und Einsteiger bei den Jamsessions.

Aber zurück zu Terraza: Es ist bedenkenswert, wie die gegenwärtige Politik ihrer Herkunftsländer schottische und katalonische Musiker betrifft. Beide Völker werden von den herrschenden Kräften dominiert; die Schotten von den Briten, die mit ihrem Brexit längst verjährten Weltmachtträumen nachhängen und Schottland mit ihn die ungeliebte Unabhängigkeit ziehen; die Katalonier von den nach unangefochtener politischer Einheitlichkeit ihrer Nation strebenden Spaniern. Auch Ignasi Terraza leidet spürbar unter der Dominanz und der mangelnden Flexibilität Madrids. In zwei seiner Eigenkompositionen "Time for Changes" und "Praying for Peace" gibt er seinem Leiden beredten Ausdruck.

Aber sein Spiel hat insgesamt den faszinierenden Charakter einer Summe aus der Erfahrung seiner pianistischen Vorgänger, darunter Art Tatum, Oscar Peterson, Fats Waller, Ahmad Jamal. Sein Klavierstil integriert diese Vorbilder in die eigene Musiksprache, gewürzt mit einer Prise Bud Powell. Technisch perfekt, entwickelt er - Blinder wie Art Tatum - aus seiner Innensicht der Themen deren allmähliche Entfaltung bis zu ihrer vollständigen Präsentation. Und erst dann folgen mehrere Improvisationscharaktere, vom Stridepiano über Mainstream und darüber hinaus, vom zart Angedeuteten bis zur Vollgriffigkeit.

Dabei ist vor allem sein markiges Spiel der linken Hand das fast orchestrale Fundament. Zauberhafte Musikbilder versteht er zu evozieren, so die Vielfalt der Charaktere in "Softly as in a morning sun rise" und in seiner unendlich zarten Interpretation von Ellingtons "Mood indigo". Terrazas Spiel ist eine berührende Reise in das Innere der Musik.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2017
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