Süddeutsche Zeitung

"Jazz im Turm" in Grafing:Mysterium Musik

Der Weltklasse-Bassist Martin Zenker aus Kirchseeon präsentiert am kommenden Donnerstag mit seinem Quartett eigene Kompositionen

Interview von Anja Blum, Grafing

"Martin Zenker plays the music of Martin Zenker." Aha. So prägnant und doch geheimnisvoll lautet der Titel der nächsten Ausgabe des "Jazz im Turm" am Donnerstag, 25. Juli, in Grafing. Klar ist nur, dass ebenjener Zenker, Bassist, einer der berühmtsten Jazzer aus dem Landkreis ist - und nun erfreulicherweise zu einem sehr persönliches Heimspiel antritt. Was genau das geneigte Publikum erwarten darf, soll ein Gespräch mit dem Musiker klären.

SZ: Herr Zenker, bevor wir auf Ihre Musik zu sprechen kommen: Wo auf der Welt sind Sie derzeit unterwegs?

Martin Zenker: Momentan bin ich im Wechsel an den beiden Unis in Ulan Bator und in München, das ist ein Drei-Wochen-Rhythmus. Dazwischen sind Konzerte und so weiter, in Berlin, China ... Mein Leben ist jedenfalls sehr unruhig und bunt.

Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?

Nein, eigentlich nicht, denn Austausch, Netzwerke und gemeinsame Projekte über Grenzen hinweg sind genau mein Ding. Ich bin sehr gerne Teil von so etwas, weil es immer bedeutet, Horizonte zu erweitern. Zwischen Ulan Bator und München zum Beispiel funktioniert das mittlerweile hervorragend.

Zuletzt waren Sie in der Heimat, im Landkreis Ebersberg, zwar oft mit diversen tollen Musikern zu hören, aber nicht mit Ihren eigenen Kompositionen. Weshalb?

Irgendwie hat sich das nicht ergeben. Ich habe zwar in Korea eine Quartett-CD mit eigenen Stücken aufgenommen, es aber irgendwie bisher nicht geschafft, die hier zu promoten. Aber jetzt dachte ich, es ist an der Zeit für was Eigenes daheim, und habe mir in der hiesigen Szene die passenden Leute gesucht: Tim Collins am Vibraphon, Moritz Stahl am Sax und den chinesischen Schlagzeuger Xu Zhitong.

Sie haben für Vibraphon komponiert?

Ja, wieso nicht? Chris Varga, mit dem ich in Korea zusammengearbeitet habe, hat mich dazu inspiriert. Dieses Instrument hat einfach einen tollen Sound, so fragil, weniger dicht als das Klavier. Und Tim ist ein Meister!

Und wie hört sich das dann an? Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Ganz ehrlich: Das kann ich nicht. Für mich ist das einfach meine Musik. Ich kann nur sagen, dass sie dem Jazz-Genre treu ist, also keine Weltmusik oder so. Ansonsten würde ich die Songs als energetisch beschreiben, als mitreißend. Es gibt zwar durchaus komplexe Formen darin und ungerade Rhythmen, aber das soll der Zuhörer eigentlich gar nicht so deutlich merken. Ich möchte die Menschen nämlich nicht intellektuell abholen, sondern bei ihren Emotionen. Es geht mir dabei eher um ein gewisses Mysterium, das Musik immer haben sollte.

Ein Mysterium, das man nicht entzaubern sollte?

Ja, genau! Viele meinen, Jazz verstehen zu müssen, aber das ist Quatsch. Bach kann man doch auch nicht wirklich verstehen. Man sollte sich im Konzert viel lieber locker machen und genießen, nicht so viel nachdenken - das ist nach 30 Jahren als Musiker meine feste Überzeugung.

Sie sind seit langem rund um den Globus unterwegs. Inspirieren fremde Kulturen Ihre Musik?

Zumindest nicht bewusst. Natürlich beeinflussen mich die Orte und Menschen, ein Stück ist zum Beispiel auf Hawaii entstanden, das ist schon ziemlich meditativ-entspannt (lacht). Aber ich bemühe mich nicht, traditionelle Musik anderer Kulturen in meinen Kompositionen zu verarbeiten. Was solche Experimente angeht, bin ich ziemlich bodenständig. Das Angebot, Beethoven mit einer mongolischen Pferdegeige zu kombinieren, habe ich zum Beispiel dankend abgelehnt. So etwas ist mir einfach zu plakativ, zu konstruiert.

Macht es einen Unterschied für Sie, ob Sie mit eigenen Songs oder mit fremden auf der Bühne stehen?

Oh ja, durchaus. Denn wenn sich bei bekannten Nummern jemand verspielt, dann checken das die Leute. Wenn sie aber das Material nicht kennen, denken sie: Was hat denn der Zenker da für einen Mist geschrieben?! Außerdem bin ich, ehrlich gesagt, schon ziemlich penibel. Die Themen, die komplexeren Formen, die Baselines: Da gibt schon einige bestimmte Sachen, die will ich genau so haben.

Von Kirchseeon um die Welt

Martin Zenker, Jahrgang 1970, wuchs in Kirchseeon auf, aufs Gymnasium ging er in Grafing. Seine ersten musikalischen Schritte unternahm er an der Geige, mit der er damals auch in einem Salonorchester von Sepp Ametsbichler mitspielte. Eine denkwürdige Begebenheit, denn der Bandleader und Bassist aus Grafing wurde bald Zenkers erster Lehrer am größten aller Streichinstrumente. Mit 17 Jahren schon begann der Kirchseeoner dann sein Kontrabass-Studium am Konservatorium in München (1987 bis 92) - heute unterrichte er dort in dem selben Raum, erzählt er und lacht. Beendet hat er sein Studium in den USA.

Danach sammelte Martin Zenker jahrelang Erfahrungen auf weltweiten Tourneen. Er spielte mit Stars wie Jimmy Cobb, Herb Geller, Billy Hart, James Moody, Steve Grossman, Jim Snidero sowie Eartha Kitt und trat bei Festivals in Washington, Baltimore, Honolulu, Shanghai, Peking, London, Sankt Petersburg und Kopenhagen auf. Seither ist er als Bandleader, Produzent und Dozent weltweit unterwegs.

Als einer der ersten ausländischen Musiker bekam Zenker 2008 eine Professur an der renommierten Kyung-Hee University in Seoul, Südkorea. Als Sammler musikalischer Talente brachte er 2013 das Festival "Jazz-Korea" nach Deutschland und in den Landkreis. Die nächste Station aber war noch exotischer: In der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator wirkte der Bassist 2014 sozusagen als Missionar, baute mit Hilfe des Goethe-Instituts ein "Musiklabor" für Jazz auf, ein Genre, das dort bis dato völlig unbekannt war. Schon heute trägt dieses Engagement reiche Früchte: Viele Studenten der ersten mongolischen Jazzgeneration sind mittlerweile an der Musikhochschule in München, um ihrem Bachelor aus der Mongolei noch einen Master hinzuzufügen. Beim Festival "EBE-Jazz 19" im Oktober kann man Zenkers Schützlinge als "Jazz Train" bei diversen Sessions erleben. abl

Überwiegen bei Ihren Stücken denn die auskomponierten Teile oder die improvisierten?

Beides ist vorhanden, aber in jedem Fall sind meine Kompositionen schon mehr als Leadsheets. Trotzdem bin ich sehr zuversichtlich, was das Konzert in Grafing angeht, denn die Kollegen sind super, und wir sind bestens vorbereitet!

Nach dem Konzert ist vor dem Konzert, könnte man sagen: Schon im Herbst steht das Festival EBE-Jazz 2019 an, zu dem Sie sicher wieder viel beigetragen haben ...

Ja, aber ich habe als künstlerischer Berater den Rosinenjob abbekommen: Ich darf einfach Bands vorschlagen, ohne mich um die ganze unangenehme Organisation kümmern zu müssen. Das ist fantastisch, dafür bin ich den anderen, Frank, Sepp und Mike, sehr dankbar. Denn das Mitgestalten macht großen Spaß.

Werden Sie auch auf der Bühne stehen?

Nein, diesmal nicht. Ich möchte nämlich unbedingt den Eindruck vermeiden, dass ich da nur meine Projekte unterbringen will. Dieses Festival will überregional sein - und ich da keine Ausnahme. Aber ich freue mich trotzdem schon wahnsinnig auf diese Tage in Ebersberg und Grafing. Auf die vielen tollen Konzerte und die vielen Leute, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Dieses Festival bindet mich sehr an meine Wurzeln - musikalisch wie menschlich.

"Jazz im Turm" neben der Stadthalle Grafing am Donnerstag, 25. Juli, um 20 Uhr: Martin-Zenker-Quartett. Im Anschluss Jamsession. Einlass und Gastro von 19 Uhr an, Eintritt frei, Spenden für die Musiker werden erwartet. Reservierung unter www.ticket-regional.de dringend empfohlen.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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