Süddeutsche Zeitung

Jazz bis spät in die Nacht:Mongolische Symbiose

"The Jazz Train" und die "Enji's Sisters" besorgen zum Festival-Start im Turm der Grafinger Stadthalle die Extraschicht

Von Daniel Fritz, Grafing

Fast zu lange lassen die Enji's Sisters auf sich warten. Nach dem gelungenen Eröffnungskonzert von Andrea Motis im großen Saal der Grafinger Stadthalle sind die Ohren der Zuhörerschaft am späten Samstagabend für den Ausklang oben im Turm schon gut mit Musik versorgt. Die Combo The Jazz Train fungiert zunächst als Opener mit zwei Bläsern; dann werden Trompete und Saxofon von den drei Sängerinnen der Enji's Sisters abgelöst. Bis diese schließlich um viertel vor Elf zu singen beginnen, kämpft die Band mit dem instrumentalen Einsteig mehr und mehr um die Aufmerksamkeit des Publikums.

Dabei groovt und klingt es prinzipiell wie es soll, vielleicht etwas brav, zu akademisch. Etwas fehlt die offen gezeigte Spielfreude, das Risiko, der gute Jazz-Schmutz. Ein Teil der allesamt mongolischen und zunächst klassisch ausgebildeten Musiker studiert mittlerweile in München an der Hochschule. Technisch und klanglich passt alles, die fünf Musiker spielen soliden Jazz. Die jungen Musiker strahlen vor allem Coolness aus, ein Lächeln sieht man später nur von den singenden Damen, na ja, man möchte sie lieber respektvoll Mädels nennen. Überhaupt sind alle sieben Musiker aus Ulan Bator noch sehr jung, ihre Berührung mit dem Konzept Jazz generell recht kurz. Kritik und Vergleiche mit bekannten Größen und "alten Hasen" sind daher zu relativieren, denn dieser fernöstliche Kultursprung an sich ist bemerkenswert. Wie überzeugend würde ein deutscher Musiker mongolische Pferdekopfgeige oder Kehlgesang darbieten?

Mit einer Handvoll souverän gespielter Standards kommt der Zug ins Rollen. Schlagzeuger und Bassist liefern ein stabiles Fundament, die beiden Bläser harmonieren gut zusammen. Die Pianistin des Quintetts geht dabei leider unter. Sie kann sicher nichts dafür, dass ihr Flügel zur sehr im Abseits neben der Bühne steht und zu leise gemischt ist. Aber auch ihr Spiel und Ausdruck wirken nicht motiviert den Raum zurückzuerobern.

Als die "Sisters" dann schließlich mit abgestimmter Garderobe auf die Bühne kommen, geht in der Turmstube sofort die Sonne auf: Die drei strahlen sich und das Publikum an beim Singen, haben sichtbar Spaß an der Musik und etwaige Mitleidsgefühle bezüglich fehlender Empathie gegenüber der eröffnenden Instrumentalbesetzung sind nun zu hinterfragen. Sicherlich haben es die Sängerinnen durch Stimme und Text per se einfacher anzukommen, sie machen ihre Sache aber auch herzlicher und geschickter.

Der Funke springt nun über, Musik und Emotionen strahlen in den Raum. Zuhörer lächeln anerkennend, freuen sich über schmissig synkopierte Stimmrhythmen und perlende Phrasierungen, genießen die Vocal-Show. Enji, Ariù und Jojo teilen sich charmant ein Mikrofon, was nicht nur optisch gut kommt. Sie bilden so auch akustisch eine kompakte Einheit, mischen sich gekonnt selbst durch Platzierung und variierenden Abstand und vermitteln musikalisch eher das Wesen einer freundlichen, un-ungeheuren Hydra: ein Klangkörper, eine Einheit, drei Köpfe, drei Charaktere. Im Ensemble bewusst dünner, wie eine alte Schallplatte, einzeln voluminöser durch den geringeren Abstand zum Mikrofon - eine geschickte Klanggestaltung. Die gemeinsame Phrasierung, Intonation, Effekte wie Glissandi und der "Blend" der Stimmen klingen sehr eingespielt und bis ins Detail geprobt, so dass die Sängerinnen während der Show leicht und entspannt wirken. Was viele Sänger und Schauspieler kennen passiert den "Sisters" aber auch hin und wieder: die Unsicherheit in Blick und Bewegung, wenn man gerade nicht aktiv ist.

Die oft durch enge Lage und reibende Intervalle anspruchsvollen Stimmsätze der Vocal-Arrangements sind angelehnt an die Stilistik der Andrew Sisters und zum Teil auch direkt von den populären Aufnahmen transkribiert. Die großen damaligen Hits fehlen auch im Programm der Enji's Sisters nicht: Das jiddische "Bei Mir Bist Du Shein", der karibiklockende Calypso "Rum and Coca-Cola" oder "Boogie Woogie Bugle Boy", welches auch durch Christina Aguileras Bearbeitung "Candyman" von 2007 vielen bekannt sein dürfte. Die schnellen Kopf- und Mundbewegungen wie in der Uptempo-Nummer "Crazy People" von den Boswell Sisters (1932) sind so synchron, dass die Gesichter aussehen, wie in einem gezeichneten Disney-Cartoon. Respekt für diese perfekte Zusammenarbeit!

Der Fokus dieser Besetzung mit Gesangstrio liegt natürlich bei den ausdrucksstarken Frauen, wer schaut denn da noch oft auf den Bassisten? Die Rhythmusgruppe jedoch versteht ihren Job, liefert mit ihrem "Comping", ihrer Begleitung ein unaufdringliches Fundament für die Frontfrauen. Nur bei der schönen Ballade "When I fall in Love" will der Schlagzeuger zu viel. Die Nummer bräuchte, wenn es das Timing erlaubt, eigentlich gar keine Drums, aber wer kanns einem Jazzstudenten verübeln? Der gute Kerl hat eine neue Welt entdeckt und will spielen! Nach knapp vierzig Minuten ist der beschwingte, kurzweilige Ausflug in die vocale Welt der Enji's Sisters auch schon wieder verklungen. Zur anschließenden Session bleiben deutlich weniger Jazzer - war auch ein langer Abend.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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