Jahrespressekonferenz:Reichsbürger machen der Justiz viel Arbeit

Amtsgericht Ebersberg - Symbolbilder

Die Zahl der Verfahren am Ebersberger Amtsgericht hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Verfahren am Ebersberger Amtsgericht haben vergangenes Jahr in fast allen Bereichen zugenommen. Doch die Personalausstattung ist schlecht - der Direktor spricht von "Mangelverwaltung"

Von Anja Blum, Ebersberg

Das Phänomen der selbst ernannten "Reichsbürger", die den deutschen Staat und demnach auch seine Justiz nicht anerkennen, beschäftigt zunehmend auch das Ebersberger Amtsgericht. Das ist eine der Erkenntnisse aus der Jahrespressekonferenz der Behörde. Die Zahl entsprechender Personen, die 2016 am Gericht in Erscheinung getreten seien, lasse sich zwar nicht seriös schätzen, vor allem auch, weil die Gruppe der "Reichsbürger" sehr heterogen sei, berichtete Amtsgerichtsdirektor Christian Berg. "Doch meiner Meinung nach wird es auf jeden Fall mehr." Die Problematik sei auch Thema in diversen juristischen Gremien gewesen. "Seit Georgensgmünd sind alle ein bisschen aufgeschreckt."

Zu derart drastischen, gewalttätigen Vorfällen wie in der fränkischen Gemeinde, wo ein Reichsbürger tödliche Schüsse auf einen Polizisten abgegeben hat, kam es in Ebersberg zwar bislang nicht, doch auch hier beschäftigen "Reichsbürger" die Justiz - vor allem mit Bußgeldverfahren und Vollstreckungen durch Gerichtsvollzieher. "Diese Menschen erkennen einfach die staatlichen Regeln und Autoritäten nicht an", erklärt Pressesprecher Markus Nikol, "und wollen deswegen oft nicht zahlen." Seien es Bußgelder wegen Tempoüberschreitungen, die Beiträge zur Pflegeversicherung oder GEZ-Gebühren. Generell verfolge das Amtsgericht hier aber eine "Null-Toleranz-Politik" mit allen Konsequenzen. Das fange schon damit an, dass bei Verhandlungen, bei deren Angeklagten es sich eventuell um einen "Reichsbürger" handle, eine Ausweiskontrolle am Eingang angeordnet werde. "Wenn derjenige dann nur einen Fantasieausweis oder gar keinen Pass vorzeigen kann, dann ist es, als wäre er gar nicht erschienen", so Nikol.

In einem besonders dreisten Fall hat das Amtsgericht selbst Strafanzeige erstattet: Eine Reichsbürgerin aus Vaterstetten habe, anstatt ihre Schulden auf das Dienstkonto eines Gerichtsvollziehers einzuzahlen, selbst von eben diesem eine erhebliche Summe Geld abgehoben, berichtet Nikol. Über eine Firma, per Einzugsermächtigung. Da diese sicher nicht von dem Justizangestellten unterschrieben war, muss es sich dabei um eine Fälschung gehandelt haben. Doch genauere Angaben will Nikol zu dem Fall nicht machen, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt. "Die Staatsanwaltschaft in München ermittelt noch." Nur so viel: Die falsche Überweisung, ein wohl sechsstelliger Betrag, sei von der Bank sofort rückgängig gemacht worden.

Die absurde Weltsicht der "Reichsbürger", deren "Regierungssitz des Bundesstaates Bayern" in Landsham bei Pliening erst kürzlich von der Polizei unter die Lupe genommen worden ist, zeigt sich auch in vielen Briefen an den Amtsgerichtsdirektor persönlich. "Ich bekomme regelmäßig irgendwelche Schreiben, laut denen ich dies oder jenes zur Kenntnis nehmen, unterlassen oder ausführen soll, teils sogar unter Androhung von Ordnungsstrafen", berichtet Berg. "Verklausulierte Konglomerate", nennt er diese Briefe. Beunruhigt scheint der Leiter der Amtsgerichts deswegen allerdings nicht zu sein, eher amüsiert. "Relevante Daten gebe ich natürlich an die Polizei weiter, aber ansonsten hefte ich diese Post einfach ab und ignoriere sie."

Tatsächlich messbar ist eine generelle Zunahme der Verfahren am Ebersberger Amtsgericht. Signifikant angestiegen sei etwa die Zahl der Familiensachen, so Berg. Von rund 700 Verfahren im Jahr 2015 auf knapp 1000 in 2016. Warum das so ist, darüber können die Juristen nur spekulieren. "Ganz subjektiv würde ich sagen, die Familien wollen es sich und dem Richter einfach besonders schwer machen", sagt Berg. Besonders schwer wiege die Zunahme, weil hier in einem Verfahren oftmals mehrere Fälle steckten: Bei einer Scheidung können auch Versorgungsausgleich, Unterhalt, Zugewinn sowie das Sorge- und Umgangsrecht geregelt werden müssen."

Ebenfalls deutlich zugenommen hat die Zahl der Strafverfahren, sie stieg von 453 im Vorjahr auf 519 in 2016. Genauso verhält es sich mit den Jugendstrafsachen, sie stiegen von 285 auf 313, und den Bußgeldverfahren, die von 331 auf 335 zunahmen. Aber auch zunehmend viele Zivilverfahren, in denen es um Dinge wie Schadensersatz oder Mietforderungen geht, hatte das Amtsgericht zu bewältigen: Zählte man im Jahr 2015 noch knapp 1200 Fälle, waren es 2016 etwa hundert mehr. "Das bedeutet, dass einem Richter in diesem Bereich durchschnittlich 42 neue Verfahren pro Monat zugeteilt wurden", sagt Nikol. "Das ist eine ganze Menge, zumal diese meist nicht in einem Monat erledigt sind." Das Problem: "Wir sind unterbesetzt - wie alle Gerichte", sagt Berg. "Der öffentliche Bereich ist einfach überall eine Mangelverwaltung." Besonders groß sei das Problem in der "Serviceeinheit", also der Geschäftsstelle. Hier habe man 25 Prozent zu wenig Mitarbeiter. "Aber ohne diese Kräfte geht hier nichts voran: Sie nehmen alles entgegen, geben alles raus und setzen um, was am Gericht produziert wird. Das ist, wenn man so will, unsere Exekutive." Doch mit Engagement von allen Beteiligten und guter Organisation sei die Situation zu meistern, sagt Berg, tatsächlich schwierig werde es nur bei längeren Ausfällen von Mitarbeitern. Und trotzdem bemühe sich das Amtsgericht, ein guter, also vor allem familienfreundlicher Arbeitgeber zu sein. Von den 62 Mitarbeitern seien 43 weiblich und 29 in Teilzeit beschäftigt. Darunter auch zwei Richterinnen und ein Richter.

Kaum zu glauben ist, was die Wachtmeister bei Eingangskontrollen erleben: Bei einer Frau wurden Drogen gefunden, ein anderer hatte ein Messer dabei, für das ein gesetzliches Führungsverbot bestand. Normale Messer müssen die Wachtmeister fast täglich vorübergehend verwahren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: