Interview zum Jubiläum:Zuschussgeschäft mit Mehrwert

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Hochkarätiges zu moderaten Preisen - das ist seit 40 Jahren der Anspruch der Vaterstettener Rathauskonzerte. Darüber hinaus kämpft Leiter Kurt Schneeweis mit der Überalterung des Publikums und Raumproblemen

Interview Von Anja Blum

Ein leibhaftiger Fürst am Saxofon, "Krieg, Frieden und Versöhnung", Geständnisse eines Ex-Oberbürgermeisters - die Vaterstettener Rathauskonzerte haben 2018 wieder jede Menge Hochkarätiges zu bieten. Kein Wunder, steht doch ein Jubiläum ins Haus: Genau vor 40 Jahren, 1978 nämlich, initiierte Kurt Schneeweis, bis heute Chef der Reihe, die Rathauskonzerte. Grund genug für ein Gespräch mit dem 71-jährigen "Generalmusikdirektor" der Großgemeinde.

SZ: Herr Schneeweis, im kommenden Jahr feiern die Vaterstettener Rathauskonzerte ihren 40. Geburtstag. Hätten Sie das zu Beginn gedacht?

Kurt Schneeweis: Nein, ich bin selbst überrascht. 40 Jahre sind schließlich kein Klacks. Und wissen Sie: Aller Anfang ist leicht - aber das Niveau über lange Zeit zu halten, das ist schwer. Wir aber haben es sogar noch steigern können.

Wie ist die Reihe 1978 denn genau entstanden? Damals waren Sie Leiter der Vaterstettetener Musikschule...?

Ja, genau. Und da gab es auch noch den Trompeter Helmut Musser, mit dem zusammen hatte ich die Idee einer Reihe von Konzerten mit ortsansässigen Profimusikern im Rathaus. Schließlich hatte sich dessen Lichthof schon bei einigen Lehrerkonzerten akustisch wie atmosphärisch bestens bewährt. Naja, und da die ersten Abende sehr gut ankamen, lag es auf der Hand, weiterzumachen. Außerdem hatte ich schon so viele Ideen im Kopf, zum Beispiel zeitgenössische Komponisten einzubinden und auch internationale Gäste auf die Bühne zu holen. Das ist dann mit Frans Brüggen, dem niederländischen Flötisten, bereits im zweiten Jahr gelungen. Da hatten wir schon sieben Abos!

Meilensteine im Vaterstettener Rathaus: Kurt Schneeweiß, Karl-Heinz Böhm und Peter Dingler vor einem Porträt von Karl Böhm. (Foto: Archiv Rathauskonzerte)

Wie gelingt es Ihnen seit Jahrzehnten, Musiker der Weltelite nach Vaterstetten zu locken?

Extrem wichtig sind gute Kontakte, und für die bin ich einfach viel auf Konzerten unterwegs, sei es in Wien oder sonstwo. Denn mir ist es wichtig, die Künstler live zu erleben, das ist nämlich ein ganz anderer Eindruck, als nur eine CD-Aufnahme anzuhören. Außerdem gibt es dabei meist die Möglichkeit, die Musiker hinter der Bühne kennenzulernen und nach Vaterstetten einzuladen. Aber dabei muss man auch hartnäckig sein: Bei Lisa Batiashvili zum Beispiel habe ich acht Jahre gebraucht, um sie zu bekommen.

Wie sah es denn zu Beginn mit der Organisation und der Finanzierung aus?

Das erste Jahr ging noch auf mein eigenes Risiko, 2000 Mark hatte ich mir damals als Obergrenze gesetzt. Es wurden aber Gott sei Dank nur 900 - und dieses Defizit übernahm am Ende sogar der Bürgermeister. Vom zweiten Jahr an wurde ich organisatorisch vom Förderverein der Musikschule unterstützt, später hat die Gemeinde diese Aufgabe übernommen.

Was hat sich sonst im Laufe der 40 Jahre verändert?

Leider vor allem die Resonanz. Bereits Anfang der 80er Jahre hatten wir bei den Abos die Hundert überschritten, am Höhepunkt waren es etwas mehr als 200. Mehr sollten es auch gar nicht sein, denn wir wollten immer noch frei verkäufliche Plätze. Heute sind wir bei etwa 120 Abos angekommen.

Der jüngste Zuschuss der Gemeinde betrug gut 60 000 Euro. Gab es je eine Zeit, in der die Rathauskonzerte nicht gefördert werden mussten?

Nein, selbst getragen hat sich die Reihe nie, das ist bei diesem Konzept auch schlecht möglich. Hier soll ja hochkarätige Kunst geboten werden - vor Ort und zu moderaten Preisen. Das will auch die Gemeinde so. Diese Rechnung kann aber natürlich nicht aufgehen.

Musik-Papst Joachim Kaiser wird umringt von seinen Fans. (Foto: Archiv Rathauskonzerte)

Hat sich die Zahl der Konzerte verändert?

Am Anfang waren es sieben pro Jahr, dann war der Standard lange acht Abo- und vier Sonderkonzerte. Vor ein paar Jahren haben wir dann auf zwei Sonderkonzerte reduziert, weil die immer ein größeres Risiko sind, dafür gibt es ein Abokonzert mehr, also insgesamt sind es jetzt elf pro Saison.

Und wie schaut es momentan mit dem Zuspruch aus? Eher schwierig, oder?

Ja, schon. Zu den großen Namen kommen die Leute, auch von weit weg. Aber generell schrumpft das Publikum, vor allem haben wir eben viele Abonnenten verloren.

Worin sehen Sie die Gründe dafür?

Naja, generell kann man beim Klassikpublikum eine deutliche Überalterung feststellen, das ist auch in München so. Das bedeutet: Die Leute gehen in ein Heim, von wo aus ein Konzertbesuch nicht mehr möglich ist, oder sie sterben uns weg. Und auf der anderen Seite ist es einfach sehr schwer, an jüngere Menschen ranzukommen. Die ganz jungen haben kein Interesse, und die mittleren sind zwischen Beruf und Familie so eingespannt, dass keine Zeit bleibt für Kultur. Aber ganz besonders schlimm war es, als die Reihe wegen Brandschutzmängeln am Gebäude aus dem Rathaus ausziehen musste, das hat uns insgesamt etwa 40 Abos gekostet.

Weil die Alternativen so schlecht sind?

Ja, auch. Weder der Saal im Seniorenwohnpark noch die Kirche oder das Bürgerhaus in Neukeferloh reichen akustisch an das Vaterstettener Rathaus heran. Seit wir dieses verlassen mussten, zeichnet der Bayerische Rundfunk bei uns auch keine Konzerte mehr auf. Das ist ein herber Imageverlust. Außerdem sind die anderen Standorte eben nicht so zentral gelegen, also für manche eben nicht zu Fuß erreichbar. Das macht zumindest bei den Senioren sicher auch einiges aus.

Der frühere Bürgermeister Robert Niedergesäß erklärt die neue Brandschutzmaßnahmen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sie trauern dem Rathaus also immer noch hinterher?

Ja, sehr. Zu sagen, wir hätten "guten Ersatz" gefunden, ist in meinen Augen ein Euphemismus. Denn zur verschlechterten Lage und Akustik kommen noch etliche andere Probleme hinzu: von zu wenig Sitzkissen und fragwürdigen Umkleiden über nun nötige Klaviertransporte bis hin zu hohen Mietkosten. Da sind einfach viele Behelfsmaßnahmen nötig.

Haben Sie Hoffnung, dass dieses Raumproblem irgendwann gelöst sein wird?

Nein, da wird sich so bald nichts tun. In Vaterstetten sollte schon so oft eine neue Ortsmitte entstehen - aber die Pläne sind immer wieder in der Schublade verschwunden. Ich glaube, dafür fehlt letztendlich einfach der zwingende politische Wille.

Aus den Reihen des Gemeinderates wiederum wurde die Konzertreihe erst kürzlich kritisiert: Das Programm müsse modernisiert werden, um wieder mehr Menschen anzusprechen. Was sagen Sie dazu?

Da kann ich eigentlich nur lachen, denn ich bin schon immer darum bemüht, Veranstaltungen anzubieten, die es in einer Klassikreihe normalerweise nicht gibt. In der neuen Saison sind das Quadro Nuevo zum Beispiel, oder der Abend mit Christian Ude, dem Ex-OB aus München. Außerdem fände ich es schön, wenn der ein oder andere aus dem Gemeinderat mal zum Zuhören kommen würde, anstatt die Konzerte immer nur von außen zu beurteilen. . .

Fühlen Sie sich vom Rathaus zu wenig geschätzt?

Kurt Schneeweis hat die Rathauskonzerte vor 40 Jahren initiiert. Ans Aufhören denkt er nicht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nein, insgesamt auf keinen Fall. Der Bürgermeister zum Beispiel, Georg Reitsberger, ist voll dabei. Letztens habe ich in einem Gespräch festgestellt, dass er sogar die Texte im Programmheft aufmerksam liest. So etwas freut mich sehr.

Zurück zur Überalterung: Wie gedenken Sie, wieder mehr Menschen in Ihre Konzerte zu locken?

Ich möchte einfach weiter ein interessantes Programm machen, für das ich immer noch viele Ideen habe. Und es muss mehr Werbung geben dafür. Wir haben jetzt zum Beispiel an einem eigenen Stand auf dem Christkindlmarkt für das Abo als Weihnachtsgeschenk geworben, durchaus mit Erfolg. Es wurden, glaube ich, vier neue abgeschlossen.

Und wie sieht es auf der anderen Seite der Bühne aus? Kommen die Künstler gerne nach Vaterstetten?

Ja, sehr. Erstens, weil sie hier gut betreut werden, und zweitens, weil das Publikum so diszipliniert ist. Denn wissen Sie: Absolute Stille ist die Voraussetzung für jede Musik. Mehrere Musiker haben schon zu mir gesagt, sie würden die Vaterstettener gerne mit auf Tournee nehmen.

Herr Schneeweis, die Rathauskonzerte werden nun 40, Sie selbst sind 71 Jahre alt. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Die hat Landrat Robert Niedergesäß schon festgelegt, als er noch Bürgermeister war. Da hat er mir nämlich das Versprechen abgenommen, bis mindestens 80 weiterzumachen. Und daran werde ich mich wohl auch halten. Schließlich hat schon mein Vater bis zu diesem Alter gearbeitet.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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