Interessenskonflikt in der Stadthalle:Zwei Grafinger Welten

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Rathauschefin Angelika Obermayr musste sich bei der Bürgerversammlung einige Kritik gefallen lassen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Parteipolitiker nutzen die Bürgerversammlung für den Kommunalwahlkampf - die Besucher bewegen aber ganz andere Dinge

Von Thorsten Rienth, Grafing

Bürgermeisterberichte hin oder her - warum es die jährlichen Bürgerversammlungen der Gemeinden vor allem gibt, ist der Tagesordnungspunkt "Aussprache, Wünsche und Anträge". Der Normalbürger, dessen Möglichkeiten für politisch-gesellschaftliche Debattenteilname ja sonst recht gering sind, soll mit der Bürgerversammlung ein Forum der Mitsprache haben. Einige Grafinger Parteienvertreter hatten mit diesen Gepflogenheiten am Dienstagabend so ihre Probleme - und haben sich in der Stadthalle lieber in eigener Kommunalwahlsache in Szene gesetzt.

Zum Beispiel Christian Kerschner-Gehrling, der eine zügige Zustandsaufstellung der Grafinger Liegenschaften anmahnte. "Damit es nicht andauernd Überraschungen gibt." Anschließend skizzierte er, wie eine solche Bestandsaufnahme seiner Ansicht nach am geschicktesten anzupacken wäre. Zu erwähnen, dass da mit ihm gerade der Bürgermeisterkandidat der Grafinger SPD referierte, hielt er nicht für nötig.

Oder Claus Eimer, der für die örtliche FDP ins Rathausrennen geht. Sie solle sich doch bitteschön weniger mit der Vergangenheit beschäftigen, kritisierte er Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne), sondern lieber damit, was sie gedenke in den nächsten fünf oder zehn Jahren zu tun. Obermayr reagierte kühl. Bei Interesse lade sie ihn gerne etwa zur Grünen Runde ein. "Da geht es dann gerne um mein Programm. Aber ich mache jetzt hier nicht die Bürgerversammlung zu einer Wahlkampfveranstaltung." Obendrein laute der Tagesordnungspunkt ja ausdrücklich "Bericht der Bürgermeisterin".

Schließlich mahnte der Straußdorfer Florian Wieser, der in Grafing nebenberuflich als CSU-Ortsvorsitzender tätig ist, eine gewissenhaftere Protokollpraxis in der Grafinger Stadtverwaltung an. Was im Rathaus eigentlich los sei, dass Stadträte ihre Sitzungsprotokolle erst mit monatelanger Verspätung erhielten? Gleichwohl ist die Frage nicht neu und wurde von der CSU so auch schon zuletzt öffentlichkeitswirksam im Stadtrat gestellt. Aber eben noch nicht im Forum Bürgerversammlung. Obermayr wiederholte also, was sie auch schon im Stadtrat antwortete: Die Verspätung sei freilich nicht in Ordnung, aber bei den Verwaltungsmitarbeitern sei "Land unter". Aber, berichtete sie: Im Rathaus sei vor wenigen Tagen eine neue Organisationsstruktur an den Start gegangen. "Die Situation wird sich jetzt verbessern."

Diejenigen, die Obermayr mit kritischen Nachfragen in die Bredouille bringen wollten, verschafften ihr eher unfreiwillig die Möglichkeit, Dinge zurechtzurücken. Zum Beispiel das Gerücht, sie hätte - entgegen eines Bauausschussbeschlusses - die asbesthaltigen Klappen der Stadthallenlüftung nicht austauschen lassen. Tatsächlich hatte der Bauausschuss hierfür rund 190 000 Euro freigegeben.

"Als die Experten oben waren, haben sie festgestellt, dass sich die Klappen gar nicht auswechseln lassen, weil sie fest verbaut sind", erklärte Obermayr. Alternative wäre gewesen, gut eineinhalb Millionen Euro für eine neue Lüftung auszugeben. "Also haben wir gesagt: stopp!"

Zwischendurch kam dann auch die eigentliche Zielgruppe der Veranstaltung zu Wort, nämlich jene außerhalb des parteipolitischen Spektrums. Diese Grafinger jedenfalls hatten ganz andere Anliegen als Gebäude-Bestandsaufnahmen, Stadtratsprotokolle oder vermeintlich negierte Bauausschussbeschlüsse.

Im Ortsteil Engerloh ist nach wie vor der Ostumfahrungs-Verkehrslärm großes Thema. Ein Anwohner wollte wissen, warum nicht auch die Böschung zur Straße hin landwirtschaftlich genutzt würde? "Je höher der Mais dort steht, desto ruhiger ist es bei uns." Eine bepflanzte Böschung würde logischerweise nochmals weniger Dezibel bedeuten. So einfach sei die Sache leider nicht, antwortete Bauamtsleiter Josef Niedermaier. Der Landwirt dürfe nicht bis direkt an die Straße bepflanzen.

Eine Besucherin echauffierte sich über die Deutsche Bahn und die nach wie vor nicht behindertengerecht ausgebauten Grafing-Bahnhofer Bahnsteige. "Die Aufzüge funktionieren nicht. Es ist unmöglich, mit dem Rollstuhl an die Gleise 2, 3, 4 und 5 zu kommen", klagte sie. Laut aktuellem Auskunftsstand der Bahn, so berichtete Obermayr, soll der erste neue Lift noch im Dezember in Betrieb gehen. Die verbleibenden Lifte würden laut Bahn im ersten Quartal 2020 folgen.

Auch der neue Caterer der Grundschul-Mensa treibt die Grafinger um. "Mir fehlt total das Verständnis dafür, dass jetzt Tiefgefrorenes von weither nach Grafing transportiert wird", klagte ein Besucher. Warum man nicht den früheren lokalen Caterer behalten hätte? "Niemand ist glücklich über die Situation", pflichtete ihm Obermayr bei. Die Neuausschreibung sei aber von Gesetzeswegen alternativlos gewesen. "Und alle örtlichen Unternehmer haben abgesagt, weil ihnen das inzwischen eine Nummer zu groß war."

© SZ vom 21.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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