Süddeutsche Zeitung

Integrationstheater Ebersberg:"Wir haben zwei echte Hardliner geknackt"

Das Integrationstheater Ebersberg tritt am Donnerstagabend mit einem neuen Stück im Alten Kino auf. Vor der Premiere hat das Team mit Tabus gebrochen und Drohungen verarbeitet.

Von Victor Sattler, Ebersberg

Die jungen Männer wärmen sich auf, hüpfen immer wieder auf der Stelle. Friederike Wilhelmi geht mit Krücken auf und ab. Die Theaterregisseurin ist ein wenig gekränkt, weil wenige Tage vor der Premiere ein Schauspieler die Probe schwänzt. Aber wirklich sauer ist sie nicht: "Die deutschen Tugenden!", sagt sie gekonnt ironisch, "in so mancher Kultur hat Zuverlässigkeit eben nicht den gleichen Stellenwert".

Fremde Kulturen und stressige Terminkalender hat Wilhelmi sich gewissermaßen ins Haus geholt: Ihre Schauspieler stammen aus Afghanistan, Eritrea, Kuba, Libyen, Mali, Senegal, Somalia und Deutschland. Ihr Konzept "Integrationstheater" ist preisgekrönt. Die Darsteller, die im Alten Kino in Ebersberg für den Auftritt proben, jonglieren im wirklichen Leben mit mehreren "Jobs". Neben der Schauspielerei machen sie die mittlere Reife, Ausbildungen oder lange Nachtschichten. Einer von ihnen hat keine Arbeitserlaubnis, einem anderen drohte zeitweise die Abschiebung. Am nächsten Morgen wartet schon wieder eine Schulaufgabe, weshalb die Probe auch mit unvollständigem Team vonstatten gehen muss.

Es ist natürlich nur ein kleiner Dämpfer nach den glorreichen drei Jahren, die Wilhelmi und der Kern ihres Teams bereits miteinander erlebt und durchgestanden haben. Zwei selbstgeschriebene Stücke haben sie seitdem produziert und in Ebersberg aufgeführt, nun wird die Trilogie komplett.

Die jungen Männer, die den Großteil des Ensembles ausmachen, sind Freunde geworden, begrüßen ihre Regisseurin mit einer herzlichen Umarmung. Auch Schauspielkollegin Nadia Rodriguez Reyes ist ihnen allen eine Art Mama geworden. Über die drei Jahre hinweg war der künstlerische Prozess nie mit dem eines normalen Theaters vergleichbar, das ist aus den Erzählungen heraus zu hören. Viel größer war die Entwicklung, oft musste die Arbeit ruhen, weil auf einmal Gesprächsbedarf bestand.

Im Stück wird die Gemeinschaft ins Chaos gestürzt

So auch diesmal. Bevor die Arbeit am Stück beginnt, wird beraten und abgestimmt, was für Themen vorkommen sollen - als dann Homosexualität auf dem Flipchart stand, lag das Brainstorming aber erst einmal auf Eis: "Wir haben da einen großen Dienst geleistet", sagt Wilhelmi zufrieden, "in einer langen Debatte haben wir zwei echte Hardliner geknackt und ihre Meinung zu dem Tabuthema verändert".

Letztlich schafften es so alle Stichpunkte vom Flipchart auf die Bühne. Und zwar ohne, dass man das Skript zu "Auf alle Fälle stabil" verbiegen musste. Die Figuren um die es geht, leben alle im selben Hochhaus zusammen. Da sind zum einen die BAMF-Mitarbeiterin und ihre Frau (Svenja Schött und Franziska Köppl) mit dem afghanischen Adoptivsohn (Enayat Tajik), der seinerseits einen Straßenjungen (Adhanum Tesfaldet) im Keller einquartiert und die Gemeinschaft ins Chaos stürzt.

Außerdem trifft man auf einen komatösen Paket-Proletarier (Yohannis Gebre), einen Hau-drauf-Handwerker (Ahmed Ali) und einen Deutschlehrer (Abdulaziz Bah), der ein solch sakrales Verhältnis zum deutschen Bildungssystem pflegt, dass es sich schon als Satire liest. Der Kleber, der all diese Personen gegen ihren Willen zusammenhält, ist Frau Dulce (Nadia Rodriguez Reyes) als gestikulierendes, gurrendes Tratschweib, das ihren Schürzenzipfel wie einen Schweif fegen kann und das, wie das Stück auch, keinerlei Grenzen kennt.

Die Kubanerin Rodriguez Reyes ist die einzige professionelle Schauspielerin im Ensemble, aber darauf kommt es hier nicht an. Hier wird aus jeder Not viel Tugend gemacht. Adhanum Tesfaldet hat in Eritrea auf der Straße sein Geld verdient und das Rappen gelernt, deshalb ist es nur folgerichtig, dass er genau diese Erfahrungen - die Straße und den Rap - auf die Bühne bringt. "Wenn ich mal sauer bin oder nicht verstanden werde, kann ich mit dem Rap meine Gefühle in Worte fassen", sagt er.

Der Deutschlehrer mit brüchigem Deutsch

Abdulaziz Bah, der Deutschlehrer mit brüchigem Deutsch, dürfte in diesem Beruf zwar nicht gerade realistisch sein, aber dafür hundert Prozent authentisch. Ohne lang zu fackeln, wird sein längerer Monolog einfach synchronübersetzt. Das ist eine Abwechslung zu allen Sehgewohnheiten aus der Dose. Bahs päpstliche Anwendung der deutschen Grammatikregeln produziert außerdem viele Kalauer und Missverständnisse.

Es gibt noch mehr Szenen, die man so gar nicht kommen sieht und die für die große Kreativität des Teams sprechen. Dazu zählt das kleine Einmaleins der Bomben, das Dulce aus der BAMF-Mitarbeiterin Kerstin herauskitzelt: Ab wie vielen Attentaten bekommt ein Land vom Migrationsamt welchen Status zugeschrieben, wann sprechen wir von Krieg, wann nur von einem verschärften Konflikt?

Das zynische System zerbröselt vor Dulces großen Augen, vor dem geschäftigen Kritzeln in ihr Büchlein, und Kerstin stolpert spätestens beim subsidiären Schutzstatus über ihre eigene Logik. Das BAMF hat das Projekt Integrationstheater zwar finanziert, ist ansonsten aber wohl selbst manchmal mit seinem Latein am Ende. Das kommt authentisch rüber, ohne dass es plakativ würde.

Wie ein Paukenschlag fühlt es sich schließlich an, als eine Reihe von Whatsapp-Nachrichten auf ein weißes Laken projiziert wird. Einer der Darsteller hatte die vulgären und rechtsradikalen Drohungen während der Proben geschickt bekommen, als er online ein Bett kaufen wollte. Robel Redea deckt sein anonymes Teammitglied, den wahren Empfänger der Nachrichten, indem er die Nachrichten in character vorliest.

Im Dialog gesteht er auch, dass er die Sache vor lauter Angst lieber aussitzen würde; so wie der Absender der realen Texte nie belangt wurde. Dieser Moment hinter der Bühne, als Regisseurin Wilhelmi mit der Adresse des Neonazis in den Händen dasaß und mit sich rang, ihr weiteres Vorgehen abwog - das war einer der Tage, an denen das Projekt am fallenden Vorhang längst nicht Halt machte.

"Auf alle Fälle stabil", die dritte und letzte Produktion des Integrationstheaters, wird am Donnerstag und Freitag, 23./24. Mai, jeweils 20.30 Uhr im Alten Kino Ebersberg aufgeführt. Karten unter www.kultur-in-ebersberg.de oder (08092) 255 92 05.

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SZ vom 20.05.2019/koei
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