Integration und Unabhängigkeit:Mit langem Atem

Integration und Unabhängigkeit: Aus Eritrea, Syrien, Somalia, Iran und Irak kommen die meisten der Geflüchteten, die im Jobcenter betreut werden.

Aus Eritrea, Syrien, Somalia, Iran und Irak kommen die meisten der Geflüchteten, die im Jobcenter betreut werden.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Mitarbeiter des Ebersberger Jobcenters kümmern sich momentan auch um 450 Flüchtlinge. Bevor diese im Arbeitsmarkt Fuß fassen können, sind oft umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen nötig. Insgesamt sieht der Chef der Behörde aber viel Potenzial

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Wer nicht fragt, der lernt auch nichts. Das bekommen in Deutschland Kinder recht früh in ihrem Leben beigebracht. In Eritrea, Syrien oder auch Somalia ist das ganz anders: Fragen zu stellen ist dort tabu, wer Fragen stellt, gibt sich eine unnötige Blöße. Wenn Menschen aus diesen Ländern hier auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen, kann dieser Unterschied zwischen den Kulturen durchaus zu Frust oder Ärger führen - und auch zum Abbruch einer Ausbildung oder eines Arbeitsverhältnisses. Die Überwindung interkultureller Hindernisse ist daher seit einigen Jahren eine neue Herausforderung für die Mitarbeiter des Ebersberger Jobcenters. Etwa 450 Geflüchtete sind dort momentan registriert, für viele von ihnen sieht Hermann Schmidbartl, der Chef der Behörde, durchaus gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Allerdings mahnt er zu einer realistischen Perspektive: "Man sollte weder in Euphorie, noch in Tristesse verfallen. Es ist viel Potenzial vorhanden, aber es kostet Kraft und Geld und Zeit, um es zu entwickeln." Denn bevor es darum geht, sich konkret um einen Job zu bemühen, müssen meist erst andere wichtige Grundlagen geschaffen werden. Viele der Flüchtlinge gerade aus Eritrea - sie stellen die größte Gruppe dar - hätten keine richtige Schulbildung genossen. "Viele von ihnen waren Kindersoldaten, sie hatten soldatische Indoktrination, aber keinen Unterricht, wie wir ihn kennen", erläutert Schmidbartl. Auch intensiven Deutschunterricht brauchen viele der Flüchtlinge noch. Und sie müssen lernen, wie das Zusammenleben in Deutschland funktioniert, so etwas wie Sozialkundeunterricht ist nach Einschätzung Schmidbartls für sie daher besonders wichtig.

Viel dazulernen mussten freilich auch die Mitarbeiter im Jobcenter. Denn wer meint, dass die Verständigung mit Händen und Füßen schon klappt, wenn man keine gemeinsame Sprache spricht, liegt nicht immer richtig. Die Geste mit dem hochgestreckten Daumen, die hierzulande ein aufmunterndes "Gut gemacht!" signalisiert, habe in manchen Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, eine ähnlich beleidigende Bedeutung wie ein hochgestreckter Mittelfinger, nennt Schmidbartl ein Beispiel. Damit es hier nicht zu falschen Signalen kommt, hat sich das Ebersberger Jobcenter Hilfe von einer Expertin für interkulturelle Kommunikation geholt, die die Mitarbeiter coacht.

Ein gewaltiger Vorteil ist, dass das Jobcenter in diesem Jahr erstmals wieder über genügend Geld verfügt, um Qualifizierungsmaßnahmen für die Kunden anbieten zu können. Im vergangenen Jahr hatte das Ebersberger Jobcenter gerade einmal 500 000 Euro als Eingliederungsbudget zur Verfügung, in diesem Jahr sind es immerhin 1,3 Millionen. Es handle sich zu einem großen Teil um Sondermittel für die Eingliederung von Flüchtlingen, erläutert der Chef des Jobcenters, sie ermögliche eine "bedarfsgerechte Unterstützung" auch dieser neuen Kunden. Ein Ziel des Jobcenters ist es, dass sich die anerkannten Flüchtlinge - nur solche darf die Behörde betreuen - gar nicht erst an Untätigkeit gewöhnen. Schon von Anfang an wolle man ihnen Weiterbildungsmaßnahmen anbieten oder sie in Praktika vermitteln, erläutert Schmidbartl: "Eigentlich wäre das Ziel, dass keiner der Flüchtlinge tagsüber in seine Unterkunft zurückkehrt, sondern sinnvoll beschäftigt wird." Zu 70 bis 80 Prozent gelinge das auch. Schmidbartl bestreitet dabei nicht, dass die Angebote des Jobcenters nicht immer das sind, was sich die Betroffenen selbst erhoffen, gerade wenn diese in ihren Heimatländern hohe Qualifikationen und gute Jobs hatten. Oft aber dauere es lange, bis die Abschlüsse in Deutschland anerkannt würden, "wir wollen verhindern, dass die Leute deshalb in die Langzeitarbeitslosigkeit rutschen". Wer einen Job annehme, der eine geringere Qualifikation erfordere, könne dennoch profitieren, indem er die Sprache besser lerne und die Arbeitswelt in Deutschland kennen lerne, sagt Schmidbartl. "Wir sind deshalb relativ strikt und streng und sanktionieren auch, wenn jemand eine zumutbare Beschäftigung ablehnt."

Insgesamt rechnet Schmidbartl damit, in diesem Jahr mehr als 600 Kunden des Jobcenters wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu verschaffen, darunter auch mehr als 100 Flüchtlingen. Bisher jedenfalls fällt die Bilanz des Jobcenters gut aus: Obwohl es sich um so viele Kunden kümmern muss wie schon lange nicht mehr, ist die Arbeitslosenquote im Juli auf einen historischen Tiefststand gesunken.

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