Süddeutsche Zeitung

Inklusion im Job:Eine Frage der Einstellung

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Johanna Kopec ist eine von 27 Mitarbeitern mit Behinderung im Ebersberger Landratsamt, die sich im Bewerbungsverfahren durchsetzte. Die 35-Jährige wurde mit einer Form von Kleinwüchsigkeit geboren - das bringt so manche Herausforderung mit sich

Von Victor Sattler, Ebersberg

Für Johanna Kopec ist ihre Behinderung keine Schwäche. Sie wurde mit Achondroplasie, einer Form der Kleinwüchsigkeit, geboren, ließ sich davon aber nicht ihr Leben diktieren. Im Umgang mit jenen, die sie im Landratsamt Ebersberg über den Sozialdienst und das Arbeitslosengeld berät und die oft ganz eigene Kämpfe auszutragen haben, könne ihre Behinderung sogar eine Stärke darstellen, sagt sie. Das verbindet, das besänftigt und "räumt auch mal den Groll gegen die Behörden aus" - so erklärt Kopec die besondere Bewandtnis.

An ihrem Tisch wird fieberhaft nachgedacht, wenn es zum Beispiel gilt, die bürokratischen Hürden auf dem Weg zu einem Schwerbehindertenausweis für einen Klienten zu meistern. Nach dem Gespräch holt Johanna Kopec dann ihren Fensteröffner raus, einen verlängerten Arm, und lüftet mit einem Handgriff durch. Das Gadget hat sie vom Landratsamt bekommen, den Hocker zu ihrem Schreibtischstuhl vor drei Jahren vom letzten Job mitgebracht.

Personalleiterin Margrita Schwanke-Berner ist zufrieden, dass die Ebersberger Behörde den geforderten Anteil an behinderten Mitarbeitern von fünf Prozent um 2,5 Prozentpunkte übertrifft: Das macht 27 Beschäftigte aus. "Wir wählen nach Bestenauslese aus", sagt Schwanke-Berner. Schwerbehinderte, die das Anforderungsprofil für einen Job erfüllen, müssen laut Vorschrift zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden; ab da sollen sie dann die gleiche Chance wie jeder andere haben, aber auch nicht bevorzugt werden.

"Wenn es überall laufen würde wie hier, bräuchte es die Quote gar nicht", lobt Kopec ihren Arbeitgeber. Nachdem sie die Schule abgebrochen hatte, versuchte sie sich als Gärtnerin, oft sei ihre Größe dabei der einzige Hinderungsgrund für eine Stelle gewesen. Die Arbeit war hart für ihre Gelenke. Trotzdem schloss die 35-Jährige eine zweijährige Gärtner-Ausbildung ab, holte dann ihr Abitur und ein Studium nach, um daraufhin in einer Suchtklinik zu arbeiten. Auf die Arbeit im Landratsamt sei sie einfach neugierig gewesen. "Super, dass jemand mit Behinderung genau an dieser Stelle sitzt", habe sich Schwanke-Berners Vorgänger damals bei Kopecs Einstellung im Januar 2015 gefreut.

Gemessen an ihrem Oberkörper, wäre Johanna Kopec 1,84 Meter groß, nur ihre Extremitäten sind verkürzt. Wenn es mal nicht nach ihrem Kopf geht, kann sich die humorvolle Kopec aber auch so mit viel Chuzpe durchschlagen: Lutscher lasse sie sich noch schenken von den Leuten, die sie für ein Kind halten, aber bei Spott oder gar Grobheiten in der Öffentlichkeit kontert sie, konfrontiert unverhohlen mit ihrer Realität. Kindern, die sie auslachen, erklärt sie auch mal offenherzig ihre Gefühle dabei - sehr zur Peinlichkeit manch verklemmter Eltern. Dabei sei die Kommunikation doch das Wichtigste. "Menschen ordnen zuerst mal in bekannte Raster ein", erklärt Kopec, die am Gesicht klar von einem Kind zu unterscheiden ist. Sie empfiehlt, offen zu sein und Dinge anzusprechen, die einen verletzten, auch wenn das vielleicht erst einmal Überwindung kostet.

Denn Hemmungen gebe es noch auf beiden Seiten, bei Nichtbehinderten aber auch bei Behinderten: Teilweise erfährt Margrita Schwanke-Berner erst nachdem Bewerbungsverfahren von der Behinderung ihres neuen Kollegen, manche Bewerber lassen diese Information über sich weg, vielleicht aus Angst vor einer Benachteiligung. Niemand ist gezwungen, sein Handicap anzugeben. Im Ebersberger Landratsamt heißt es aber, dass man dadurch keinen Nachteil habe.

Kopec ist ein gutes Beispiel dafür, dass das stimmen könnte. In dem Dorf, in dem sie aufwuchs, war hingegen nicht viel über Behinderungen bekannt, ihre Eltern seien ratlos gewesen, sagt Kopec, und sie hatten Angst. Mittlerweile ist die Aufklärung weiter fortgeschritten. "Was Inklusion ausmachen sollte, das wird hier gelebt", sagt Kopec. Im Landratsamt wurde sie einfach gefragt, was sie brauche, die Kollegen hätten keine Berührungsängste gehabt, "da war ich von Anfang an ich", sagt sie. Die gemeinschaftlichen Küchendiensten macht Kopec ganz normal mit. Bei den Klienten musste sie sich den Respekt und das Vertrauen hingegen erst verdienen; wie angewurzelt hätten manche schon in ihrer Tür gestanden oder die Stimme von unten gar nicht zuordnen können. Heute kommen sie alle dankbar zur Frau Kopec.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2018
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