Initiativen feiern im Wildpark:Vermächtnis für die Zukunft

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Eltern engagieren sich auf der Kinderkrebsstation "Intern 3" des Haunerschen Kinderkrankenhauses

Karin Kampwerth

- Ein Podest aus Gitterstäben. Drei Stufen rauf, dann noch auf einen kleinen Vorsprung, und das Fenster hoch oben an der irgendwie farbfrei getünchten Wand des Klinkgebäudes ist erreicht. Es gibt den Blick frei: Auf die Welt da draußen, wo Autos sich spielzeugklein durch die Lindwurmstraße schieben, die Bäckerei gegenüber Kaffee, Kakao und Kuchen verkauft und die Menschen zur U-Bahn eilen. Das Podest, das Fenster, die Treppen rauf zum Leben dahinter - all das scheint Sinnbild für die Schicksale zu sein, die sich in der onkologischen Tagesklinik im vierten Stock der Haunerschen Kinderklinik in München begegnen. Hierher kommen die jungen Patienten - Babys, Kleinkinder, Schulkinder, Jugendliche, die alle eine furchtbare Diagnose teilen: Krebs. Bösartige Tumore, die nicht nur in ihren Körpern wuchern, die Knochen zerfressen oder das Blut zerstören, sondern sich auch im Alltag ihrer Familien festgesetzt haben. Den Weg zurück in ein Leben ohne Angst, Schmerzen und Therapien müssen sie erklimmen wie das Podest. Begleitet werden sie dabei von der Elterninitiative "Intern 3". Deren Ziel lautet: Der Krankheit mehr Leben abzuringen. Und im besten Fall ganz zurückzugewinnen. Bei 70 Prozent aller erkrankten Kinder gelingt das inzwischen.

Dazu gehört auch, einmal im Jahr gemeinsam mit den anderen Elterninitiativen der Aktion "Münchner Künstler helfen krebskranken Kindern" auf das Engagement aufmerksam zu machen - in diesem Jahr erstmals im Wildpark in Poing, wo am Sonntag, 28. Oktober, von 10 Uhr an und bei schlechtem Wetter im Zelt gefeiert wird. Die Elterninitiativen wollen den betroffenen Kindern und ihren Familien einen unbeschwerten Tag bereiten - und jenen danken, die die Arbeit unterstützen. Neben den Prominenten, die bei Benefizveranstaltungen regelmäßig für Unterhaltung sorgen und um Spenden werben, ist das die Ebersberger Kinderkrebshilfe. Sie wurde 1982 als Verein "Hilfe für krebskranke Kinder" vom Ebersberger Ehepaar Heidrun und Gerd Kohnert gegründet, das zwei Töchter an die Krankheit verloren hat.

Seinerzeit ging es vor allem darum, mehr Lebensqualität auf die Kinderkrebsstation des "Haunerschen" zu bringen - bunte Bettwäsche, farbige Vorhänge, Spielsachen. Doch schon lange hat sich das Engagement über die Beschaffung kindgerechten Interieurs hin zu Verbesserungen in der medizinischen Versorgung entwickelt. Vor 27 Jahren kamen deshalb die Eltern der "Intern 3", so der Name der Kinderkrebsstation in der Haunerschen Kinderklinik, dazu. Die meisten sind selber von der Krankheit betroffen. Wie Ernst Bauer. Der Vorsitzende, heute 71 Jahre alt, hat seinen damals 14-jährigen Sohn verloren. Der Junge starb an Knochenkrebs.

"Was ich hier tue, ist das Vermächtnis meines Sohnes", sagt Bauer über seine Aufgabe. Daraus ist vieles entstanden, was für Bauer eigentlich zu den Grundlagen der Behandlung gehören sollte - von den Kostenträgern aber zu Beginn nie als Notwendigkeit erkannt wurde. Die Tagesklinik im vierten Obergeschoss zum Beispiel. Hier werden krebskranke Kinder behandelt, die für die Chemotherapie oder andere Medikamentengaben nicht mehr zwingend in einem Klinikbett liegen müssen. 1990 wurde die Tagesklinik von den Müttern und Vätern der "Intern 3" initiiert. Die Eltern haben viel Überzeugungsarbeit dafür leisten müssen. "Damals gab es ja die so genannte Mitternachtsstatistik", erzählt Bauer. Die Klinik habe nur Geld für Patienten bekommen, die auch um Mitternacht in einem Krankenhausbett lagen. "Ambulante Behandlungen waren die Ausnahme." Dabei sei es eine große Entlastung, dem Klinikalltag zu entrinnen, sagt Bauer und blickt in dem mit hellen Holzmöbeln eingerichteten Wartezimmer der Tagesklinik auf eine junge Mutter, die ihrem Säugling die Flasche gibt.

Unter dem rosafarbenen Mützchen des Babys keine properen Pausbäckchen, keine großen, neugierigen Augen, kein zufriedenes Schmatzen am Flaschennuckel. Stattdessen ein erschreckend zartes Kind, das winzige Gesichtchen durch die Mühe beim Saugen angestrengt zusammengekräuselt. An einem anderen Tisch spielt ein Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt, mit seiner Mutter Uno. Auf dem Kopf trägt es einen bunten Stoffturban, um den nach der Chemotherapie kahlen Schädel zu verdecken. Keine Haare mehr zu haben, das scheint den Teenager in Jeans und Lederjacke, der auf einer Bank im hinteren Teil des Wartezimmers lümmelt, nicht zu stören. Zumindest hier oben ist auch niemand erschrocken über den Anblick der wie blank geputzt aussehenden Köpfe - ein Symbol für einen der vielen Schrecken, die die Diagnose Krebs bei Kindern und Jugendlichen mit sich bringt.

Um das alles aushalten zu können, braucht es noch so viel mehr, als die Gewissheit, nach der Therapie nach Hause gehen zu dürfen. Mehr als Ärzte, Schwestern oder die Infusionsgeräte mit all ihren Schläuchen und computergesteuerten Bedienungsarmaturen, die zwei Stockwerke tiefer auf der "Intern 3" fast inflationär auf dem Gang herumstehen. Die Elterninitiative hat das Personal aufgestockt, damit die Seele über den Krebs hinaus nicht auch noch krank wird. Ein neunköpfiges Team aus Psychologen, Sozialpädagogen, Erzieherinnen, einer Kunsttherapeutin und einer Ökotrophologin kümmert sich um die Kinder und ihre Familien. In fünf Elternwohnungen können Mütter und Väter, die nicht in München wohnen, übernachten, während ihr Kind stationär oder ambulant behandelt wird. Ein weiterer Psychologe und ein Sozialpädagoge sind im Projekt "Perspektive" mit der Nachsorge betraut. "Auch wenn man geheilt ist, ist es ja nicht vorbei", sagt Ernst Bauer. Ängste bleiben, oder viele andere Auswirkungen, mit denen die Krankheit die Psyche weiter malträtiert, selbst wenn der Krebs besiegt ist.

"Wir helfen Jugendlichen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder nehmen bei Lernschwierigkeiten Kontakt mit der Schule auf", sagt Bauer. Kommen könnten aber auch Angehörige, einfach alle: Selbst wenn die Krankheit schon 30 Jahre zurückliegt. Bezahlt wird das alles von der Elterninitiative und ihren Unterstützern. Eine halbe Million Euro gibt der Verein alleine für die Personalkosten jährlich aus. "Alles aus Spendengeld", sagt Bauer, der sich inzwischen daran gewöhnt hat, dass es bei jedem neuen Projekt anfangs immer heißt: "Brauchen wir das wirklich?"

Wichtig ist für die Initiative deshalb nach wie vor die Unterstützung von Menschen, die sich zu Geburtstagen statt Geschenken Geld für die Elterninitiative wünschen. Oder die Hilfe von Prominenten wie dem Musiker Max Greger mit Sohn oder der Schauspieler Hansi Kraus, Mona Seefried, Sabine Bohlmann und Eva Christian, die alle nach Poing kommen, um mit den Kindern zu spielen - und das Publikum zum Spenden zu animieren.

© SZ vom 27.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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