Süddeutsche Zeitung

Industrieansiedlung:Planen ohne Plan

Seit einem Jahr bereitet man in Vaterstetten ein neues Gewerbegebiet an der A94 vor. Doch offenbar wissen nicht einmal die Gemeinderäte genau, was dort entstehen soll

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Phantome findet man für gewöhnlich in Büchern, Filmen und gelegentlich in der Oper. Doch auch in Vaterstetten scheint es ein solches zu geben: das geplante Gewerbegebiet an der Autobahn 94. Am Donnerstag hat der Gemeinderat den Flächennutzungsplan für das rund 40 Hektar große Areal geändert - und dabei einige Wissenslücken offenbart. Denn es ist weder klar, was dort passieren soll, noch wann. Nicht einmal das Grundstück ist derzeit verfügbar.

Vor mehr als einem Jahr verkündete die Vaterstettener Verwaltung, bald werde sich der Autobauer BMW in Parsdorf niederlassen. Zwar nur mit einem Logistikzentrum, aber immerhin. In Rekordzeit begann man daraufhin, ein Grundstück nördlich der A94 zu überplanen - obwohl es der Gemeinde gar nicht gehört. Es ist Landesbesitz und wird vom Staatsgut Grub genutzt. Der Plan ist, das Grundstück gegen ein anderes zu tauschen, das derzeit einem belgisch-luxemburgischen Unternehmen gehört, das vorwiegend mit Gewerbeflächen spekuliert. Ob und vor allem wann der Tausch über die Bühne geht, ist unklar. Eigentlich sollte der zuständige Ausschuss der Staatsregierung diese oder kommende Woche darüber befinden. Inzwischen gibt es aber offenbar sogar in der Verwaltung Zweifel an dem Zeitplan, Bürgermeister Georg Reitsberger (FW) hatte kürzlich erklärt, er rechne nicht mehr mit einer Entscheidung vor der Landtagswahl.

Ebenfalls sehr vage ist, was abgesehen von BMW nördlich der A94 entstehen soll. Offiziell heißt es, ein Maschinenbauer wolle eine Produktion mit mehr als 1000 Arbeitsplätzen errichten, Namen nennt die Gemeinde nicht. Unter der Hand wird gemunkelt, es handle sich um Krauss Maffei, der Firma sei ihr Standort in Allach zu eng. Was man dort indes nicht bestätigen will. Es gebe keine entsprechenden Pläne, heißt es aus der Konzernzentrale. Auch von BMW gibt es keinerlei Zusagen für einen Bau in Parsdorf.

Das könnte natürlich Taktik bei der Standortsuche sein - allerdings eine, die inzwischen manchen im Gemeinderat ziemlich nervös macht. "Wir sind nicht schlauer als vor einem Jahr", bemängelte SPD-Fraktionssprecher Sepp Mittermeier. Der Gemeinderat solle planen, obwohl niemand wisse, "ob da überhaupt irgendetwas kommt". Das kritisierte auch Stefan Ruoff (Grüne): "Wir sollten erst schauen, welche Firmen hinkommen und dann die Pläne aufstellen - hier ist es andersrum gelaufen."

Dass man auf mehr Gewerbesteuer angewiesen sei, wollen SPD und Grüne gar nicht bestreiten - wohl aber, ob das aktuelle Projekt daran etwas ändern werde: "Wir sollten nicht die Fehler von Parsdorf II wiederholen", warnte Mittermeier. Dort - das gibt man inzwischen sogar bei CSU und Verwaltung zu - sind die Steuereinnahmen deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Eine solche Entwicklung könne man sich nicht noch einmal leisten, so Mittermeier: "Das ist die letzte große Fläche, die wir haben. Wenn man die wirklich bebaut, muss auch etwas dabei herauskommen."

Was diesmal der Fall sein werde, davon zeigte sich CSU-Fraktionschef Michael Niebler überzeugt. Darum werde man diesmal keine Handelsfirmen, sondern einen Industriebetrieb ansiedeln, damit "stoßen wir eine große Tür auf bei der Gewerbesteuer". Dies ist auch die offizielle Hoffnung von Bürgermeister und Verwaltung: Reitsberger betonte erneut den Finanzbedarf der Gemeinde, der sich eben nur durch ein großes Gewerbegebiet stillen lasse. Zweiter Bürgermeister Martin Wagner (CSU) hatte kürzlich die erwarteten Mehreinnahmen auf fünf Millionen Euro pro Jahr beziffert.

Das Verfahren könne nicht anders laufen, schließlich müsse man Firmen etwas anbieten, damit sie sich für Parsdorf entschieden, sagte Niebler. Er verwies zudem darauf, dass man kein Baurecht schaffe, sondern nur die Voraussetzungen dafür. "Wir haben die Möglichkeit, dass wir auswählen können", sagte Renate Will (FDP). Herbert Uhl (FW) erinnerte an den vom Gemeinderat beschlossenen Kriterienkatalog für Gewerbeansiedlungen. An den darin enthaltenen Zielen wie die Zahl der Arbeitsplätze und die Höhe der Gewerbesteuer müssten sich die Firmen messen lassen: "Wenn einer die Kriterien nicht einhält, haben wir die Möglichkeit, zurückzuziehen." Wozu sich Axel Weingärtner (Grüne) den Zwischenruf "Ihr Wort in Gottes Ohr" nicht verkneifen konnte. Leo Spitzauer (CSU) erklärte, er werde zwar zustimmen, forderte aber von der Verwaltung, das Projekt "muss schon noch besser dargestellt werden". Offenbar gibt es auch in der CSU Unbehagen über das Phantom an der Autobahn.

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SZ vom 22.09.2018
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