In Haar und Poing:Traumatisierte Mütter, ausgesperrte Väter

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Das Beratungsangebot von Donum Vitae rund um Schwangerschaften ist in Corona-Zeiten gefragt wie nie. Statt wie geplant weitere Außenstellen zu öffnen, baut man die Kommunikation über Telefon und das Internet aus

Von Bernhard Lohr, Haar

Wie bereite ich mich auf die Geburt vor? Darf mein Partner auf der Geburtsstation dabei sein? Kann die Hebamme zu mir nach Hause kommen? Fragen über Fragen: Wenn sich ein Baby ankündigt oder wenn es auf die Welt gekommen ist, verändert sich innerhalb kurzer Zeit fast alles. Frauen sind dann auf Rat, Austausch und Hilfe angewiesen und haben womöglich nicht einmal eine schützende Familie um sich. Jetzt, in der durch den Coronavirus ausgelösten Ausnahmesituation, gilt das besonders. Die staatlich anerkannte Schwangerschaft-Beratungsstelle Donum Vitae mit Sitz in Haar steht Frauen in den Landkreisen München, Ebersberg, Freising und Erding zur Seite.

Viele Gewissheiten und Hilfsangebote sind wegen der Kontaktbeschränkungen in den vergangenen Wochen weggebrochen und haben viele Frauen in Nöte gestürzt. Beim per Videokonferenz abgehaltenen Pressegespräch mit dem Team von Donum Vitae in Haar wurden dramatische Fälle geschildert und viele Schwierigkeiten beschrieben, die sich jetzt auftun. Beraterin Andrea Seif versucht im Programm Helb (Helfen-Lotsen-Beraten) auf Frauen in schwierigen Lebenslagen zuzugehen. Hervorgegangen ist die Initiative aus dem Modellprojekt "Schwangerschaft und Flucht", bei dem speziell Geflüchtete angesprochen wurden. Jetzt wurde das ausgeweitet auch auf Frauen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen etwa. Nach wie vor stehen Frauen in Notunterkünften besonders im Fokus. Die Ängste dort in den engen Unterkünften seien groß, sagte Andrea Seif. "Was bedeutet es, wenn ich mit 30 anderen ein Badezimmer teilen muss?" Das sei so eine Frage, die Schwangere dort umtreibe.

Eine Hebamme tastet den Bauch einer Frau ab: Die Einschränkungen durch die Corona-Krise treffen Schwangere besonders, die Schutz, Beistand und auch Kontakt angewiesen sind. Beratung findet jetzt oft auch telefonisch und per Videoschalte statt. (Foto: Caroline Seidel/dpa)

Persönliche Beratungen sind derzeit nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Die Telefon-, E-Mail- und Video-Beratung, die Andrea Seif und ihre Kolleginnen ohnehin ausbauen wollten, hat innerhalb weniger Wochen massiv an Bedeutung gewonnen. Die Beratungsstelle in Poing, in der zusätzlich zu Haar dienstagvormittags Termine möglich waren, ist derzeit wegen Corona-Einschränkungen geschlossen. Die geplante Eröffnung weiterer Außenstellen in Unterhaching und Taufkirchen im Landkreis München wurde auf kommendes Jahr verschoben. Die Beratungsleistung an sich aber ist laut Donum-Vitae-Geschäftsführer Albert Fierlbeck gewährleistet. Die Kapazitäten seien vorhanden. Das frühe Engagement beim Ausbau der Online-Dienste zahle sich aus, sagte er. Ein Ersatz für persönliche Gespräche ist das aber nicht.

Die Beraterinnen Stephanie Klein und Monika Geitner schilderten, was es bedeutet, wenn etwa eine junge Frau wegen der Kontaktbeschränkungen nicht mit ihrem Partner zum Frauenarzt gehen kann und alleine erfährt, dass sie schwanger ist. Das setzt sich so fort: Es gibt keine Geburtsvorbereitungskurse, keine Schwangerentreffs. Je nach Klinik können Väter aus Gründen des Infektionsschutzes bei der Geburt dabei sein oder auch nicht. Besuche auf der Entbindungsstation werden untersagt, sodass Väter und Geschwisterkinder das Neugeborene manchmal erst nach Tagen sehen können. "Die Männer müssen vor der Tür warten oder ihrem Beruf nachgehen", sagte Claudia Nasahl, Stellvertretende Donum-Vitae-Leiterin. In ihren Augen ist es ein dramatischer "Rückschritt". Was lange erkämpft worden sei, gehe so schnell wieder verloren, alte Rollenbilder seien wieder präsent.

Weil manche Geburtskliniken strenger vorgehen als andere, ist der Wunsch nach ambulanten Entbindungen gewachsen. Manche Paare wollen dann noch die Klinik wechseln, was aber wegen fehlender Termine oft abgewiesen wird. Nasahl schilderte einen krassen - offenbar singulären - Fall einer Frau, die nach der Geburt traumatisiert ist, weil sie im Kreißsaal in Wehen einen Mundschutz tragen musste und Erstickungsängste entwickelte. Nasahl, die auch Traumatherapeutin ist, sagte, sie befürchte viele "Kollateralschäden" durch die Einschränkungen. Eine Schwangerschaft und eine Geburt veränderten eine Frau. Sinnliches Erleben und Kontakt seien nötig, wieder zu sich selbst zu finden.

Auch da hilft Donum Vitae, etwa in therapeutischen Gesprächen und Treffen unter Berücksichtigung der Hygieneregeln. Im Jahr 2019 wurde die Schangerschaftskonfliktberatung vor einem Abbruch 131 Mal geleistet, es gab Beratung zu Kinderwunschfragen und Pränataldiagnostik. Die Donum-Vitae-Mitarbeiterinnen boten in 14 Schulklassen Sexualpädagogik an. Insgesamt fanden vergangenes Jahr 778 Beratungen statt. 620 Personen kamen in die Beratungsstelle, darunter wurden auch 159 Männer mitberaten und zehn Männer kamen alleine. Aus Spenden und Stiftungsgeldern wurden 115 000 Euro ausgezahlt, um Mütter oder Eltern zu unterstützen.

© SZ vom 08.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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