Süddeutsche Zeitung

In der Schrottgalerie:Die drei Musiktiere

Die Pop-Rock-Band "Vait" aus Bad Aibling erntet für ihre "Kleinen Lieder" tosenden Applaus

Von Heloise Olufs, Glonn

Die Gitarrenmusik nimmt an Tempo und Lautstärke zu, die Hände bewegen sich immer schneller über die Saiten. Der Bass dröhnt tief, das Publikum wippt hemmungslos mit: Die Klimax des Songs ist erreicht. Normalerweise folgt auf sie ja diese Millisekunde Stille, die das Ende der Anspannung symbolisiert und dann durch einen letzten Akkord aufgelöst wird. Doch dieser kommt einfach nicht, stattdessen hören die drei Musiker auf zu spielen: "Welchen nehmen wir denn jetzt?", fragt Gitarrist und Liedsänger Ralf Müller seine beiden Bandkollegen. "Am besten F-Dur, oder?" - "Nein, lieber D-moll", widerspricht Benedikt Dorn, im Arm hält er ebenfalls eine Gitarre. Stefan Strattner am Bass ist beides recht, Hauptsache seine Freunde entscheiden sich bald, denn es gilt ja noch immer, ein Lied in Wohlgefallen aufzulösen. Währenddessen hat sich das Publikum bereits aus seiner kurzen Fassungslosigkeit gelöst und lacht herzlich. Die Stimmung in der Schrottgalerie in Glonn ist schon jetzt, nach dem ersten Song der Band Vait, ausgelassen und fröhlich, denn die drei Musiker gewinnen mit spontanen, humorvollen Einlagen wie dieser schnell die Herzen der Zuschauer.

Aus Bad Aibling kommen die Jungs und treten seit 2011 als deutsche Pop-Rock-Band auf. Bis Ende Mai sind sie mit ihrem neuen Album "Kleine Lieder" noch auf Bayern-Tour. Bekannt ist Vait vor allem für seine authentischen und ehrlichen Texte, beim "Chiemsee Rocks Festival" waren sie Opening-Act, für La-Brass-Banda, Foreigner, Django 3000 und für Mark Forster. Mit leicht durchscheinendem bayerischen Akzent überzeugt die Band auch die Zuschauer in Glonn - und erntet tosenden Applaus. Zumal sich die Musiker für dieses Frühjahr etwas Neues ausgedacht haben: Sie spielen viele ihrer eigenen Lieder in der Akustikversion, also ohne Verstärker, ganz "back to the roots", wie sie es bezeichnen.

So klar, ursprünglich und unberührt wie die Musik daher klingt, so direkt sind auch die Texte, die Müller singt. Sie handeln von Liebe und Schmerz, aber auch von Verlustängsten und Gesellschaftskritik. Dabei verändert der Sänger seine Stimme stets passend zur Stimmung der Songs: So klingt er zum Beispiel rauchig und verführerisch in dem neuen Lied "Meine Steine", wenn er dem Mädchen seiner Träume erzählt: "Ich mag alles an Dir." Von dieser in der Luft hängenden Sehnsucht ist allerdings kurz darauf nur noch wenig zu spüren, wenn die drei Musiker eine Art Countrywestern Melodie verlauten lassen und vom Publikum mit "Yeehaw-Rufen" angefeuert werden. Auch Dorn und Strattner unterstützen Müller im Hintergrund, mal singen alle drei im Chor oder Kanon zusammen.

Wie die drei Musketiere erscheinen die Bad Aiblinger, wie sie da im Bühnenlicht stehen, denn jeder musiziert irgendwie für sich selbst, während sie gleichzeitig für einander und natürlich für das Publikum spielen. Alle drei bringen Improvisationen ein und scheinen sich in ihrer eigenen traumhaft-musikalischen Welt wiederzufinden. Dennoch richtet sich ihre Aufmerksamkeit immer wieder auch aufeinander, dann motivieren sie sich gegenseitig mit Zurufen oder schaffen lediglich durch Blickkontakt die Basis für gewagte Melodien und Zwischenspiele.

Trotz dieser Lässigkeit und Coolness ist die Freude am Spielen und am Publikum bei diesen Musikern echt. Daher steigt Vait schon nach zwei Liebesliedern, einem Genre, mit dem man nicht viel falsch machen kann, auf ein Thema um, das vor sozialer Kritik nur so strotzt: Mit dem Song "Schätze" sprechen sie den verkommenden Umgang der Menschen miteinander an. "Die Menschen bluten", singt Müller, und bedauert, "dass die Guten dieser Welt alle nur Statisten sind". Dabei jammert Vait aber nicht nur, sondern übt konstruktive Kritik, denn das Lied bietet auch einen Ausweg, eine Alternative, eine letztendliche Hoffnung. Nachdem "alte Leinen" gekappt seien, heißt es, entdecke man "unerkannte Plätze" und merke: "Vor der Tür liegen die Schätze." Das junge Publikum in der sehr gut besuchten Schrottgalerie erlebte also an diesem Sonntag dank Vait einen Abend mit viel mehr als nur herausragender Musik: Lehren aus dem Leben, verpackt in peppige Melodien.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2018
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